Zeugen Jehovas = militärischer Drill für Kinder?
Ich möchte an dieser Stelle gleich vorweg nehmen, dass ich zwar auch in einem Haushalt von den Zeugen Jehovas aufgewachsen bin, mich aber hier nicht über diese Glaubensgemeinschaft beschweren will. Viel mehr wäre für mich interessant, zu wissen, ob ihr Leute kennt, denen es genauso ergangen ist, vorallem bei den Kindern. Denn aus Erfahrung kann ich sagen, dass es nicht immer leicht war und das ist jetzt noch milde ausgedrückt.
Es fing schon in jungen Jahren an. Zu DDR-Zeiten waren die Zeugen Jehovas ja verboten, so dass die Zusammenkünfte immer in den Wohnungen der Mitglieder stattfinden mussten. Im Sommer ist das natürlich ätzend, wenn man als Kind schön baden und im Wasser planschen will und es dann heißt "Reinkommen, waschen, fertigmachen, wir müssen nachher los". Ich habe diesen Satz gehasst, es hat mich richtig angestunken, bei der Wärme in irgendeinem stickigen Wohnzimmer zwischen älteren Leute zu sitzen und das ganze 2 Stunden! Nur zuhören und still sitzen! Für ein Kind ist das doch der blanke Horror!
Aber auch im Kindergarten musste ich mich aus vielem ausgrenzen. Wenn zum Beispiel mal jemand Geburtstag hatte, wurde immer ein Stuhlkreis gemacht und alle sind nacheinander aufgestanden und haben dem Geburtstagskind gratuliert. Nur ich blieb sitzen und sagte dann, dass ich nicht gratulieren darf. Das war mir so peinlich, zumal die Erzieherin mich draufhin fragte, ob ich einen Tick hätte?!
Gleiches war dann auch in der Schule der Fall, da ich ja nicht in die Pionierorganisation durfte. Gut, mich selber hat das nicht gestört, denn ich wollte nach der Schule eh nach Hause und nicht noch in der Schule abhängen (Pioniernachmittage). Aber trotzdem werden sich sicher einige gefragt haben, warum ich kein Pionier bin. Weihnachten war auch so ein Fall. Meine Eltern haben ja kein Weihnachten gefeiert, so dass ich an Heiligabend bald vor Langeweile eingegangen wäre. Meine Freunde haben alle mit ihren Familien gefeiert, aber ich habe zu Hause gesessen, das Fernsehprogramm war ja damals noch nicht so wie heute. Und wenn ich dann gefragt wurde, was ich denn zu Weihnachten bekommen hätte, habe ich mir meistens irgend etwas ausgedacht, um nicht doof da zu stehen.
Ich habe mich mal mit meinem Hausarzt darüber unterhalten, weil ich im Jahr 2003 auch eine Psychotherapie anfing, aufgrund meiner Selbstzweifel, Depressionen und Eifersucht. Er sagte zu mir, dass viele meiner Probleme auch auf diese Vergangenheit zurückzuführen sind. Und dass es für Kinder wie militärischer Drill wäre. Was denkt Ihr darüber? Kennt Ihr Menschen, denen es auch so ergangen ist? Ich habe mich zwar mit 18 davon losgesagt, aber es hat noch Jahre gedauert, bis ich das ganze Thema verarbeitet hatte.
Ich selbst kann dir nur meine Meinung zu diesem Thema sagen, weil meine Eltern nicht religiös sind und auch sonst niemand in meiner Verwandtschaft. Ich kenne auch keine Leute die das durchgemacht haben.
Ich selbst finde auch, dass es für Kinder sehr schlimm ist, wenn sie zu diesem Glauben erzogen werden. Der Glaube an sich ist ja nicht so schlimm, aber alles was dazu gehört. Wie du bereits gesagt ahst ist es so, dass es für ein Kind sehr hart ist, wenn es zum Beispiel zu Weihnachten keine Geschenke bekommt. Das Kind kennt das vielleicht nicht anders, aber es steht vor seinen Klassenkameraden trotzdem ein bisschen doof da und die anderen Kinder könnten das Kind, dessen Eltern zu den Zeugen Jehovas gehören, vielleicht auch für ein bisschen doof halten und es ausgrenzen.
Des weiteren erlebt das Kind auch in der Schule und im Kindergarten Nachteile. Es wird immer doof geguckt, wenn ein Kind einem anderen aufgrund seiner Religion nicht zum Geburtstag gratulieren darf. Das andere Kind versteht das vielleicht noch nicht wirklich und ist dann beleidigt. Dadurch kann das Kind der Zeugen Jehovas auch viele Freunde verlieren.
Letztendlich finde ich, dass man den Eltern den Glauben nicht verbieten sollte, weil sie ja alt genug dafür sind. Aber ich bin der Meinung, dass man frühestens ab einem Alter von 12 Jahren eintreten darf und dann auch nur, wenn man das möchte.
Ich halte auch überhaupt nichts von den Zeugen Jehovas generell, ich habe mich noch nie genauer mit dieser Religion beschäftigt, aber bei uns in der Gegend haben die Zeugen Jehovas generell einen schlechten Ruf, was daran liegt, dass sie dauernd mit ihren Prospekten uns stören. Ich finde es sehr gut und bemerkenswert, dass du deinen eigenen Weg gegangen bist und dich von den Zeugen Jehovas gelöst hast, denn ich finde das, was du da ertragen musstest, wirklich schon fast etwas Ähnliches wie einen militärischen Drill und das würde ich einfach nicht dulden.
Die Erzieherin wird eben ein wenig überreagiert haben, weil sie wie zum Beispiel ich einfach nicht über die verschiedenen Umgehensweisen in den verschiedenen Religionen informiert gewesen sein wird und deshalb eben sehr überrascht war, dass bereits kleine Kinder schon so vertieft in ihre Religion sein können. Aber das bekräftigt meiner Meinung nach auch bereits wieder das Argument des Arztes, dass militärischer Drill dir eingepflegt wurde. Denn schließlich lässt man sich als Kind für gewöhnlich nicht ganz so viel sagen lässt und es ein natürlicher Prozess doch einfach ist, dass wenn alle dem Geburtstagskind gratulieren, schließlich haben dir ja wohl auch bis zu diesem Moment alle gratuliert und keiner hat sich wegen irgend welcher Religionen von dir abgewendet, oder?
Aber man kann dir natürlich überhaupt keinen Vorwurf machen, so jung wie du damals noch gewesen bist. Aber dafür deinen Eltern umso mehr, wie ich finde, wie sie dir so eintrichtern konnten, dass du den Geburtstagskindern nicht gratulieren durftest. Hättest du damals schon ein ausgeprägteres Selbstbewusstsein und Selbstdenken gehabt, hättest du doch ganz bestimmt es genauso wie die anderen Kinder gemacht und einfach dem Geburtstagskind gratuliert, oder? Also stimmt es schon, was der Arzt dir da prophezeit hat, das finde ich schon sehr bedrohlich und sogar ein wenig krank, was deine Eltern dir da versuchen haben, einzuprägen, nur wegen so einer Religion kann man doch ganz normale Reaktionen eines Menschen nicht versuchen, zu unterdrücken.
Ich teile ebenfalls die Meinung von Hufeisen, mit 12 oder 13 Jahren, wenn die Pubertät erst so richtig ihren Lauf nimmt, dann kann es richtig losgehen mit der Religionsfindung oder eben auch dem Atheismus, wie es sich bei mir ergeben hat. Wenn das Kind dann eben diese Richtlinien bei den Zeugen Jehovas gut findet und sich diesen anpassen möchte, dann muss man das natürlich auch genau so respektieren und dann ist es natürlich auch kein militärischer Drill mehr.
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