Wie gegenüber Hypochonder verhalten?

vom 17.04.2011, 05:29 Uhr

Ich habe mich letztens mal wieder mit einem Bekannten unterhalten, der immer wieder irgendwelche körperlichen Zipperlein hat oder zu haben glaubt. Zum Beispiel ist er manchmal der festen Auffassung, er hätte Schmerzen im Arm, die von einem Herzinfarkt herrühren müssen. Er schafft es, sich regelrecht in dieses Schreckensszenario hineinzusteigern, so dass er anschließend selbst glaubt, dass er dringend ins Krankenhaus muss. Es gab schon Fälle, in denen er tatsächlich einen Rettungswagen angerufen hat, der ihn mit Blaulicht ins Krankenhaus brachte. Manchmal fährt er auch selbst ins Krankenhaus und klagt dort sein Leid. Wenn es nicht das Herz ist, ist es die Atmung. Er bildet sich ein, dass er jeden Moment ersticken muss. Dann hyperventiliert er, wodurch alles natürlich noch schlimmer wird und sich die Atemnot verstärkt.

Bisher war es immer so, dass er nach einem kurzen Check das Krankenhaus wieder verlassen konnte. Sobald er von einem Arzt untersucht wird, klingen die Symptome, die er vorher noch hatte, direkt ab. Wenn der Arzt ihm also sagt, dass mit seinem Körper eigentlich alles in Ordnung ist, dass das EKG und Blutbild sogar gute Werte aufweisen, fühlt er sich beruhigt und kann auch wieder schnell nach hause gehen. Dieses Sicherheitsgefühl, dass alles in Ordnung ist, hält dann einige Tage bis Wochen an. Dann geht es wieder von vorne los.

Ich habe schon vorsichtig versucht, ihm zu vermitteln, dass seine Beschwerden, die er vielleicht in dem Moment wirklich empfindet, keine organischen Ursachen haben. Davon will er leider nichts hören. Auch die Ärzte im Krankenhaus sagen ihm regelmäßig, dass er organisch gesund ist und kein Grund besteht, ihn im Krankenhaus aufzunehmen - zumindest nicht aufgrund der angeblich vorhandenen Beschwerden. Es ist auch so, dass er Phasen hat, in denen es ihm richtig gut geht und in denen er nicht ins Krankenhaus geht. Es ist also so gut wie ausgeschlossen, dass hier immer wieder etwas von ärztlicher Seite übersehen wird. Er ist wohl, so unschön das auch klingt, ein Hypochonder.

Wie geht ihr mit diesen Menschen um? Ich habe ihm anfänglich, als wir uns kaum kannten, eigentlich geglaubt. Im Laufe der Zeit wurde es dann aber immer mehr und ich war auch zuletzt vor kurzem wieder dabei, als er sich urplötzlich wieder sterbenskrank fühlte und dringend einen Notarzt brauchte. Letztendlich ist es immer wieder das gleiche Muster, das immer wieder abläuft. Ich bemerke bei mir selbst, dass ich seine Schilderungen oft gar nicht mehr richtig ernst nehme, sondern direkt ablehnend reagiere, wenn er wieder erzählt, dass er sich schlecht fühlt. Die Glaubwürdigkeit ist einfach verloren gegangen. Geht es euch auch, so dass ihr diesen Leuten irgendwann kaum noch etwas glaubt, was mit irgendwelchen Krankheiten zu tun hat? Es könnte ja ausnahmsweise auch mal stimmen, dass derjenige krank ist und wirklich Hilfe benötigt, auch wenn die letzten zehn Schilderungen dieser Art letztendlich keine organischen Ursachen hatten. Ich glaube ihm auch, dass er in dem Moment körperliche Symptome entwickelt, allerdings sind diese wohl eher durch die Psyche gesteuert. Er wird sicher nicht bewusst planen, dass er mal wieder krank spielen könnte.

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» Cologneboy2009 » Beiträge: 14210 » Talkpoints: -1,06 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich habe es mit einem ähnlichen, aber nicht ganz so dramatischen Fall auf der Arbeit zu tun und daher recht gut nachvollziehen wie Du Dich fühlst wenn Du mal wieder mit einer neuen, aber altbekannten Krankengeschichte konfrontiert wirst. Mir geht es nicht anders als Dir: die Glaubwürdigkeit der Person ist schlicht dahin. Ich höre auch nur noch mit halbem Ohr zu,nicke und nehme die Schilderungen nicht mehr wirklich ernst.

Anfänglich war ich immer schockiert wenn ich hörte, wie der Kollege erzählte, dass er morgens beim Betreten des Büros einen Allergieanfall erlitten hat weil die Kollegin am Vorabend wohl wieder ihr Parfüm versprüht hat oder im angrenzenden Raucherbereich nicht ausreichend gelüftet wurde. Die Beschreibung klang dramatisch, sah man sich aber meinen Kollegen genauer an, so schien er eher das blühende Leben – nur Minuten nach dem „unglaublich starken“ Anfall. Empfehlungen, sofort zum Arzt zu gehen und auch Angebote, ihn sofort dort hin zu fahren, wurden allerdings heroisch ausgeschlagen. Er habe ja so viel zu tun.

Auf der anderen Seite verkündet er beinahe täglich wieder einen Arzttermin zu haben. Dies und jenes tut ja so weh, es ist ganz dringend, da kann man keine Minute länger arbeiten – selbst wenn das Projekt noch so dringend oder die Besprechung noch in vollem Gange ist. Sichtbar ist keines der Zipperlein, dabei müssten starke Schmerzen in Rücken oder Beinen doch zumindest eine Schonhaltung zur Folge haben.

Im Laufe der Zeit bin ich diesen Schilderungen gegenüber völlig abgestumpft. Ich habe den Eindruck, dass es eigentlich nur darum geht Aufmerksamkeit und Mitgefühl zu erlangen; und dass die Einbildung bei meinem Kollegen eine große Rolle spielt. Um sicher zu sein, dass wir dem Kollegen kein Unrecht tun haben wir beschlossen, einfach mal Krankheiten zu erfinden an denen wir gerade leiden. Die Kollegin hatte plötzlich Durchfall, eine andere kämpfte mit juckendem Ausschlag. Nachdem beide von ihren Problemen berichtet hatten, stürmte der Kollege kurz darauf zur Toilette um nach der Rückkehr zu verkünden er habe wohl auch diesen Virus. Am nächsten morgen konnte er dann auch das Jucken wahrnehmen – ganz klar; die Kolleginnen hatten ihn angesteckt.

Wie gesagt glaube ich nicht mehr daran, dass es diese Allergieanfälle wirklich gibt, und auch die anderen Zipperlein halte ich für erfunden oder eingebildet. Ich will auch keine böse Absicht unterstellen, denke nicht, dass er sich abends überlegt was er uns am nächsten Tag wieder auftischen kann. Noch kann ich es mir verkneifen mit den Augen zu rollen, allerdings ist der Kollege mittlerweile recht oft Gesprächsthema - und dabei kommt er nicht sehr gut weg. Manchmal mache ich mir aber auch Sorgen und frage mich was wohl passiert, wenn er wirklich mal ernsthaft krank ist und niemand ihn ernst nimmt.

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» ichwars » Beiträge: 562 » Talkpoints: 3,76 » Auszeichnung für 500 Beiträge


@Cologneboy2009, du schreibst zum Schluß: ... dass er wieder mal krank spielen möchte. Ich glaube nicht, dass ein Hypochonder krank spielt, vielmehr bin ich der Meinung, dass der krank ist. Er leidet nicht an den Krankheiten die er sich einbildet. Das sind nur Symptome, die er bekommt, weil er sie sich einbildet.

Aus einer Lappalie wird dann ganz schnell ein Herzinfarkt, weil seine Gedanken sich nur um dieses Thema drehen. Diese Angst steigert sich dann bis zur Panik und läßt ihn noch schwerer atmen. Solch ein Mensch braucht die Bestätigung eines Arztes, dass alles in Ordnung ist und er nicht stirbt. Im Moment will er das glauben und tut es auch. Aber dann kommt langsam wieder der Zweifel hoch, dass keiner der Ärzte etwas findet.

Die Menschen haben Angst, ganz große Angst. Wie andere Menschen Angst haben zu versagen oder Platzangst bekommen oder in Panik geraten, wenn sie eine Spinne sehen, so hat der Hypochonder Angst zu sterben.

Auslöser dieser Angst kann alles Mögliche sein, auch ein Traumata aus der Kindheit zum Beispiel. Diese Menschen sind depressiv. Man darf sie nicht als Simulanten abstempeln. Man sollte freundlich mit ihnen umgehen und meiner Meinung nach auf keinen Fall schon aus purer Verzweiflung sagen, dass es wohl so sein wird, dass er krank ist. Vielleicht kann man ihn bewegen, Autogenes Training zu machen. Auf jeden Fall gehört er in die Hände eines Arztes seines Vertrauens, der ihm hilft, aber nicht gleich abstempelt als Simulant.

Der Umgang mit solchen Freunden, Bekannten, Familienmitgliedern oder Arbeitskhollegen ist sehr schwer und geht an die Nerven. Aber gerade die darf man nicht verlieren. Nur kann niemand wissen, wie lange ein helfender Mensch diesen für ihn Psychoterror aushält, bevor er selbst nervlich Hilfe braucht.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge



Ich habe auch so eine Person in meinem Bekanntenkreis, die der Meinung ist, sie leide ständig unter Infektionskrankheiten. Wenn das mal nicht so sein sollte, so hat sie ständig Panik davor, dass sie sich irgendwo anstecken könnte. Das hat in der Tat schon etwas krankhaftes an sich. Und ich denke auch, dass diese Person das nicht absichtlich so macht und sich die Symptome einbildet.

Ich selbst meide inzwischen diese Person. Denn das Problem ist einerseits, dass ich keinerlei medizinische Ausbildung besitze und daher der Person gar nicht helfen könnte - ihr also die Rückmeldung geben könnte, dass alles in Ordnung sei.

Da ich mich selbst für eine Person halte, die recht frei von Komplexen etc. ist, habe ich dafür auch recht wenig Verständnis. Denn immerhin wirkt es ja auf Außenstehende schon sehr merkwürdig, wie sich so ein Hypochonder benimmt. Denn ich achte zwar auch auf Symptome, wenn ich irgendwelche Schmerzen habe und ich tue dann auch etwas um die Ursache zu bekämpfen. Allerdings denke ich dann auch, dass man alles übertreiben kann und dazu gehören für mich eben auch die Hypochonder.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich kenne einen ähnlichen, wenn auch weniger extremen Fall aus meinem eigenen Bekanntenkreis und hatte daher auch schon mit solchen Menschen zu tun. Bei mir ist es nur leider so, dass ich es mir meistens gar nicht aussuchen kann, wie ich nun auf diese Person reagiere, weil es oftmals in Situationen passiert, in denen es nicht viele Möglichkeiten gibt. Besagte Person ist nun eine Kameradin aus der Schule und ich hatte in den letzten drei Jahren zweimal das Vergnügen, mit ihr auf Kursfahrt zu fahren. Kursfahrten, besonders von unserer Schule aus, sind nun leider nicht gerade das ultimative Spaßerlebnis und so waren wir doch recht froh, dass uns eine Reise nach Paris und in diesem Jahr nun gar eine erste Reise nach Rom genehmigt worden war. Da nun besagte Bekannte, ich nenne sie hier mal K., eine gute Freundin meiner eigenen Freundin ist, war sie auf beiden Kursfahrten mit uns auf einem Zimmer.

K. ist an sich eine recht schmächtige Person, die von sich aus eigentlich schon immer recht kränklich wirkt. Da ich in der Schule nie viel mit ihr zu tun hatte, war ich mit ihren ''Gebrechen'' nicht vertraut, wurde allerdings von anderen bereits darauf hingewiesen, dass K. öfters mal Schwächeanfälle hatte und ihr ständig schwindelig wurde. Ich habe das auch geglaubt, da K. eben recht kränklich wirkte und es ihr daher durchaus zuzutrauen war, dass sie einen eher schwachen Kreislauf hatte. Auf diesen Kursfahrten nun, ergab es sich nun immer wieder und wieder, dass K. mitten in unseren Unternehmungen ihre Schwächeanfälle erlitt. Wir stehen am Eiffelturm Schlange, K. wird schwindelig, wir suchen uns in Rom ein nettes Restaurant, K. meint keine Luft mehr zu bekommen und muss sich für eine halbe Stunde setzen. Besonders das Phänomen, dass K. keine Luft mehr bekam, tauchte verhältnismäßig häufig auf. Laut K.s Aussage war sie damit auch bereits bei mehreren Ärzten gewesen, er hätte sich allerdings nichts ergeben.

Nachdem ich das nun ein paar Tage lang geduldig ertragen hatte und sicherlich schon an die vier Stunden dadurch aufgehalten worden bin, dass sie sich setzen musste und wir ihr gut zureden mussten, hatte ich es irgendwann satt, weil ich auf dieser Kursfahrt trotz kränkelnder Mitschüler auch irgendwie noch was von der Stadt sehen wollte. Sobald wurde ich darauf aufmerksam, dass es nicht irgendwelche Situationen waren, in denen K. urplötzlich Symptome für Atemnot, Kreislaufschwäche oder anderen Leiden verspürte. Mir fiel auf, dass es meistens Situationen waren, in denen K. alleine war. Als eher stiller Mensch, der wenig zu sagen hatte und sich unauffällig verheilt, kam es an sich öfters vor, dass wir in unserer Vierergruppe sich nur zu dritt oder zweit unterhielten, so dass K., nie ausgeschlossen und immer noch in der Möglichkeit sich unserem Gespräch anzuschließen, etwas abseits war und nicht mitredete.

Wir unterhielten uns über unser Essen im Restaurant, K. fing an zu weinen und bekam keine Luft, wir diskutierten mit unserem Lehrer über den Eiffelturm, K. kippte auf ihrer Bank zur Seite, wir besprachen gemeinsam, wo denn der Disney Store sei, K. sackte zusammen und klagte über Bauchkrämpfe, wollte ein Taxi haben, was sie zurück zum Hotel brachte. Jedesmal erschienen mir K.s Anfälle lediglich wie ein Versuch, Aufmerksamkeit zu erlangen und da auch bei den Arztbesuchen, die sie in Paris und Rom und auch schon zuvor in Deutschland nichts neues ans Licht kam, begann ich sehr bald an ihrem Leiden zu zweifeln und glaubte ihr schnell nicht mehr, versuchte gar, ihre Beschweren zu ignorieren. Leider hat man in diesen Situationen keine Wahl, denn wenn jemand meint, ihm wäre nun schwindelig und will nicht weiter gehen, dann muss man warten oder man muss ein Taxi holen. Mehr bleibt einem nicht, man ist aufgehalten denn man muss in der Gruppe bleiben und ist von dieser Person abhängig, darf sie nicht alleine lassen.

Nachdem ich K. nun länger kenne, weiß ich das sie diese Krankheiten nie absichtlich vorgespielt hat, sondern immer von ihrem Leiden überzeugt war, zumal sie auch wiederholt Ärzte zu Rate rief. Ich bin aber überzeugt davon, dass sich hier auch alles nur auf psychischer Ebene abspielt und es sich lediglich um K.s Versuche handelt, Aufmerksamkeit zu erlangen. Recht armselige Versuche, das will ich nicht verschönern, aber auch wenn die Symptome zunächst sehr real scheinen, so sind sie in gewisser Weise eben doch nur gespielt und harmlos. Wie ich damit umgehe? Ich bin ganz ehrlich, ich mag keine schwierigen Menschen. Kompliziert ist was anderes als schwierig und Hypochonder sind meiner Meinung nach sehr schwierig, weil sie einem mit ihren Phantasien die Zeit rauben und mich aggressiv machen. Aus dem Grund meide ich solche Menschen, besonders nach solchen Erfahrungen und belasse es dabei, sie zu grüßen, möchte aber keinen näheren Kontakt zu ihnen aufbauen, weil ich nicht der geduldige Mensch bin, der mit diesem Leiden zurecht kommen und ihnen zusprechen, sie beruhigen würde. Menschen die sich sowas einbilden und einfach nicht einsichtig werden, das überfordert mich, weil ich mir diesen Zustand nicht vorstellen kann und daher nicht verstehe, wie sie ernsthaft an ihre Phantasien glauben können.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


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