Soldat als Beruf - Realitätsverlust?

vom 26.01.2011, 16:28 Uhr

In den letzten Tagen tauchen immer neue Enthüllungen und auch Bilder auf, die die Zustände in Deutschlands Marine auf drastische Art beschreiben. Was davon im Detail wahr oder falsch ist, wird erst die Zeit zeigen. Aufgrund dessen, was da momentan kolportiert wird, darf man sich wohl kaum verlassen.

Allerdings stelle ich mir folgende Frage: Ich habe ja keine Ahnung, welche Vorstellungen junge Männer und Frauen heute haben, wenn sie den Beruf des Soldaten oder der Soldatin ergreifen und dann auch noch speziell bei der Marine - aber könnte es sein, dass da ein völlig anderes Bild vorherrscht, als man eigentlich bei gesundem Menschenverstand erwarten würde?

Jeder weiß, dass der Feierabend eines soldatischen Berufsalltags auch so aussehen kann, das man sich z. B. tot in einer Plastiktüte wiederfindet - oder vielmehr, Mutter und Vater finden einen dort. Jeder weiß auch, dass es in allen Armeen dieser Welt mehr oder weniger Aufnahmerituale und ähnliches gibt - auch von der Marine weiß man das. Auch weiß jeder, dass der Job bei der Marine schon ohne Feindeinwirkung extrem gefährlich ist und dort zudem traditionell ein rauer Ton herrscht, ja aus Sicherheitsgründen sogar herrschen muss. Dass der physische und psychische Druck auf solchen Schiffen dann irgendwohin muss, ist ebenso klar. Natürlich wird dort gesoffen, das war auf See schon immer so und es kommt auch zu solchen Ritualen wie jetzt berichtet und natürlich auch mal zu sonstigen Übergriffen.

"Im Krieg und auf hoher See" ist ein geflügeltes Wort und hier hat man im Prinzip sogar beide Übel auf einmal. Was erwartet man da bitteschön? Ein Freibrief für Übergriffe darf das natürlich nicht sein, wenn man aber die momentane Diskussion verfolgt, frage ich mich, was Menschen denken, wie hart und gefährlich es auf so einem Schiff ist - das ist doch kein Kreuzfahrer.

Natürlich tut auch die Bundeswehr ihren Teil dazu, indem sie zunehmend die Arbeit beim Bund so darstellt, als wäre das ein normaler Job aus einem Hochglanzheftchen. Ich bin ja absolut dagegen, dass die Bundeswehr so etwas macht (und auch zunehemend an Schulen auftaucht, gleich mit dem Mitarbeiter der Arge), aber wie ich in meinem Umfeld mitkriege, stört das nicht allzu viele. Und das ist wohl Teil des Problems.

Wie empfindet ihr, wenn ihr an einen Job beim Militär denkt. Haben vielleicht viele da falsche Vorstellungen? Ist das ein Job wie jeder andere?

» Meerbuscher » Beiträge: 398 » Talkpoints: -14,49 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Vorweg sei gesagt, dass ich mir selbst eine Anstellung bei der Bundeswehr überhaupt nicht vorstellen könnte, auch wenn meine körperlichen Einschränkungen nicht vorhanden wären, weil mir dieser Beruf deutlich zu gefährlich ist. Natürlich, es mag ruhige Jahre geben, in denen man nicht in den Krieg ausgesandt wird, aber genauso gibt es auch die turbulenten Jahre, in denen man in ein Kriegs- oder Krisenland ziehen muss, täglich mit Tod und Elend konfrontiert wird und zudem um das eigene Leben fürchten muss. Diese Punkte sind auf die Arbeit bei der Marine ebenso anzuführen, mit dem Unterschied, dass man wegen der Beengtheit wohl auch schnell in Streit mit Kollegen gerät und das Klima demnach alles andere als kuschelig sein dürfte. Bedenken sollte man auch, dass man sich nicht nur selbst in Lebensgefahr begibt, sondern auch geliebte Menschen in Kummer und Sorge zurücklässt.

Trotzdem sehe ich viele meiner Klassenkameraden, die in etwa einem Jahr ihr Abitur machen werden und einer Karriere bei der Bundeswehr nicht halb so skeptisch gegenüberstehen. Natürlich berichten Medien täglich von Einsätzen in Krisengebieten und wöchentlich sieht man derzeit einen Bericht über Tote aus Afghanistan, aber das ist alles so weit weg, dass viele Jugendliche diese Berichte gar nicht mit sich selbst in Verbindung bringen. Sie sehen nur, dass sie ja erst einmal ihren Wehrdienst verrichten werden, den sie für harmlos halten, und dann sogar an der Universität der Bundeswehr studieren können. An die zwölf Jahre, für die man sich nach dem Studium verpflichtet, denken sie gar nicht. Da helfen auch mahnende Worte der Eltern wenig.

Es ist nämlich in der Tat so, dass die Bundeswehr fleißig Werbung für ihr Studienprogramm macht. Nach nur fünfzehn Monaten bei der Marine können erfolgreiche Bewerber mit ihrem Studium beginnen. Sie werden an einer Universität mit besten Voraussetzungen studieren: Neue Technik, gute Dozenten und kleine Lerngruppen. Das komplette Studium, inklusive eines eigenen Appartements mitsamt Verpflegung, wird ebenfalls gestellt. Es stehen verschiedenste Studienrichtungen zur Verfügung, sodass die Studenten freie Wahl haben und obendrein gibt es an diesen Universitäten eine sehr geringe Durchfallquote. Dazu kommt, dass hier nach einem Eignungstest und nicht nach der Durchschnittsnote des Abiturs entschieden wird, wer für das Studium geeignet ist; das verschafft Jugendlichen mit schlechten Noten neue Hoffnung.

Ich denke schon, dass dieses Studium ein großer Anreiz für viele ist, sich bei der Bundeswehr einzuschreiben, ohne dabei wirklich an die nachfolgenden zwölf Jahre zu denken. Neben der Gleichgültigkeit von Schulnoten spielt hier sicher auch das Finanzielle eine Rolle. Viele Eltern können ihren Kindern nicht viel zum Studium zuschießen, für Unterstützung in Form von BAföG verdienen sie aber nicht wenig genug. Natürlich gäbe es Alternativen, wie beispielsweise einen Nebenjob, aber der All-Inclusive-Service von der Bundeswehr scheint praktikabler zu sein.

Hier müsste letztendlich auch angeknüpft werden. Man müsste den Bewerbern die Augen öffnen, dass es sich bei ihrem zukünftigen Job nicht immer um eine spaßige Angelegenheit handelt, man müsste ihnen Einzelschicksale zeigen, man müsste ihnen aufzeigen, dass sie in dreizehn Jahren vielleicht schon gerne eine Familie hätten, aber gerade durch die Bundeswehr in Anspruch genommen werden. Man müsste; aber wer tut das? Die Eltern, auf die hört man nicht, auf Lehrer ebenso wenig. Diese Warnung müsste von Fachleuten kommen, von Menschen, die das Elend selbst erlebt haben, aber von denen wird kaum einer warnen, schließlich profitiert die Bundeswehr von den neuen Studienanfängern.

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Hallo,

ich denke das es auf keinen Fall ein Job wie jeder andere ist. Alleine das Risiko im Krieg oder Gefecht zu sterben macht diesen Job zu einem besonderem. Auch der Fakt das man kaum zu hause ist führt ja dazu das man eigentlich kein normales Familienleben führen kann. Das Risiko das ein Familienvater vielleicht sterben kann finden die meisten Frauen wohl nicht gerade attraktiv.

Hinzu kommt das man eigentlich kein richtiges zu hause hat. Der Soldat an sich lebt ja entweder in der Kaserne oder im Feldlager. Man ist nie bei seiner Familie und dient meiner Meinung nach fast nur noch als Ernährer da man das Geld in Afghanistan ja fast gar nicht ausgeben kann. Besitz wird vollkommen wertlos wenn man ihn nicht mitnehmen kann.

Was ich jedoch sehr lobenswert an einem Job bei der Bundeswehr finde ist, das man Menschen helfen kann und den Aufbau eines Landes beschleunigen oder mitgestalten kann. Die Bundeswehr ist somit fast zu einer Art Hilfsorganisation geworden, die auch Menschen aus Notsituationen helfen kann. Leider müssen dafür manchmal auch Menschen sterben, was man mit sich selbst vereinbaren können muss.

Traurig finde ich allerdings das viele Soldaten nach ihrem Einsatz im Ausland vollkommen kaputt sind. Die Soldaten sind reif für den Psychiater und können meist kein richtiges Leben mehr führen. Einen Vater der innerlich vollkommen kaputt ist will keine Frau und kein Kind. Ich denke man muss entweder ein Egoist oder ein alleinstehender Mann sein um diesen Job verfolgen zu können. Andernfalls stelle ich mir so ein Leben sehr schwierig vor.

» 1337 » Beiträge: 692 » Talkpoints: 7,29 » Auszeichnung für 500 Beiträge



1337 hat geschrieben:Was ich jedoch sehr lobenswert an einem Job bei der Bundeswehr finde ist, das man Menschen helfen kann und den Aufbau eines Landes beschleunigen oder mitgestalten kann. Die Bundeswehr ist somit fast zu einer Art Hilfsorganisation geworden, die auch Menschen aus Notsituationen helfen kann. Leider müssen dafür manchmal auch Menschen sterben, was man mit sich selbst vereinbaren können muss.


Dass humanitäre Hilfseinsätze nicht zu den originären Aufgaben der Bundeswehr gehören, ist dir aber schon klar, nehme ich an. Das ist ja gerade die Täuschung. Mit diesem Bild wurden und werden (heute redet die Bundeswehr von Abenteuer) unsere Kinder angelockt und nicht wenige davon finden sich heute in Afghanistan wieder. Naiv verpflichtet in Zeiten humanitärer Einsätze und dann plötzlich Menschen töten müssen oder eben getötet werden.

Und auch das Gerede vom Aufbau eines Landes, der Mitgestaltung, der Rettung von Menschen aus Notsituationen, das sind doch nur noch hohle Worthülsen. Ein Soldat bekommt einen Auftrag und den führt er aus. Wer von denen ist denn in der Lage zu beurteilen, ob z. B. der Einsatz in Afghanistan überhaupt einen Sinn hat? Meiner Meinung nach ist es sinnlos, es hat laut allen Statistiken die ich je darüber gesehen habe, die Lage der Menschen nicht verbessert.

Ich persönlich kann kaum nachvollziehen, wie jemand das Töten zu seinem Beruf machen kann, perfide ist dabei, dass die Bundeswehr das schon an den Schulen als Abenteuereinsatz verkauft und im Prinzip als Beruf wie jeden anderen hinstellt. Ich denke, da wird die Naivität und wirtschaftliche Notsituation junger Menschen schamlos ausgenutzt.

» Meerbuscher » Beiträge: 398 » Talkpoints: -14,49 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Du kennst doch das Sprichwort „gib dem Deutschen ein bisschen Macht“, da hast du dann auch deine Antwort. Bei der Bundeswehr sind Hierarchien extrem ausgeprägt und wer in seinem Leben nichts anderes kennengelernt hat der wird es später im zivilen Leben auch sehr schwer haben dort zu Recht zu kommen. Der Realitätsverlust macht sich aber mit Sicherheit erst nach der Entlassung besonders bemerkbar. Gegen vier Jahre Dienstzeit als Überbrückung oder zum Geldverdienen ist eigentlich nicht einzuwenden, aber meistens gewöhnt man sich sehr schnell an das gute Arbeitsleben und kohlt doch noch einmal auf. Ob die fachliche Ausbildung einen hohen Stellenwert hat kann ich nicht beurteilen, ich vermute aber einmal dass es nicht so ist. Nicht umsonst kriechen die in das zivile Leben entlassenen Bundeswehrangehörigen mit Vorliebe in den Behörden unter oder gehen in die Politik. Die vom üppigen Übergansgeld finanzierten Selbstständigen die ich so aus der Ferne kenne sind alle innerhalb kürzester Zeit grandios gescheitert.

Ich stelle mir das immer so vor dass so 18-jährige Bürschchen zum Bund gehen, im Leben noch nichts großartiges gerafft haben, eine militärische Laufbahn beginnen und innerhalb kürzester Zeit militärischer Vorgesetzter sind. Sie führen Befehle aus und erteilen auch Befehle die nicht hinterfragt werden, das ist doch alles sehr bequem geregelt. Dann dauert es auch oft nicht mehr lange bis sie in einer Parallelwelt leben. Ich denke aber dass dieses Führungsfehlverhalten ein grundsätzliches Problem ist, nicht nur bei der Bundeswehr. Hier Führungskräfte leben in Parallelwelten hatte ich auch schon einmal meine Gedanken zu diesem Thema geäußert.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


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