Außenwirtschaftliches Gleichgewicht - Zusammenhänge unklar

vom 21.01.2011, 18:14 Uhr

Wir schreiben demnächst eine Klausur in Wirtschaft und nehmen gerade das magische Achteck durch. Die meisten Punkte sind mir auch weitgehend klar, nur mit dem außen wirtschaftlichen Gleichgewicht habe ich so meine Probleme. Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es verschiedene Bilanzen, welche die Geld- und Güterströme anzeigen. Die Handelsbilanz stellt die Summe aller Einfuhren der Summe aller Ausfuhren gegenüber, zeigt also nur den Import und Export von Gütern. Währenddessen wird in der Dienstleistungsbilanz dargestellt, welche Dienstleistungen die Landesgrenzen überschreiten, ein Beispiel hierfür könnte die Entwicklung von Computer-Software in Indien sein, welche hier in Deutschland genutzt wird, aber auch der Tourismus ist ein typisches Beispiel. Außerdem gibt es noch die Kapitalbilanz, sie zeigt die Geldströme zwischen den einzelnen Volkswirtschaften an. Hierzu zählen beispielsweise die Unterstützung anderer Länder durch gemeinnützige Organisationen, aber auch die Kapitalanlage im Ausland, deren Zinsen wiederum in eine andere Volkswirtschaft überwiesen werden. Diese drei Bilanzen lassen sich in der Leistungsbilanz zusammenfassen, anhand derer sich dann ein Zahlungsbilanzüberschuss oder ein Zahlungsbilanzdefizit errechnen lässt.

Soweit ist mir der Sachverhalt noch klar, ich komme nur mit den Konsequenzen eines Defizits beziehungsweise Überschusses nicht zurecht. Bei einem Defizit finden zuerst Devisenabflüsse statt, was dann wiederum zu einem erhöhten Zinsniveau, einem fallenden einem Rückgang der Beschäftigung und einem Rückgang der Inflation führen würde. Bei einem Überschuss der Zahlungsbilanz hingegen gibt es einen Devisenüberschuss im Inland, der dann wiederum zu einem niedrigerem Zinsniveau, einer Ankurblung der Wirtschaft, mehr Arbeitsplätzen und einer höheren Inflationsrate führen würde.

Auswendig gelernt nutzen mir diese Dinge für die Klausur allerdings recht wenig, deswegen wäre ich sehr dankbar, wenn mir hier jemand die Zusammenhänge erklären könnte. Wie baut so eine Wirkungskette aufeinander auf? Was haben die Devisen mit dem Zinsniveau zu tun? Sind diese Wirkungsketten der einzige Grund, warum es ein außen wirtschaftliches Gleichgewicht geben sollte, oder gibt es weitere Gründe hierfür?

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Kramen wir mal unser Halbwissen zu so später Stunde noch zusammen. Mal sehen, ob ich dir im Ansatz helfen kann. Nehmen wir doch das, was sich zwischen Deutschland als Überschussland und einem anderen defizitären EU Land abspielt.

In Deutschland ergibt sich aus dem Zusammenspiel zwischen Produktivitätsniveau und Lohnwachstum ein Güterpreisniveau. Das steht in Konkurrenz zu den Niveaus anderer Länder. Da Deutschland seit einigen Jahren der Billigheimer in dieser Hinsicht ist (Grund u. a. das geringe Lohnwachstum), müssen die anderen Länder bei uns einkaufen. Das heißt, es müsste eigentlich zu einem Geldzufluss in Deutschland kommen und in der Folge rein theoretisch zu Investitionen und einer Erhöhung der Beschäftigung. (Das tut es aber praktisch eben nicht automatisch). Das höhere Geldangebot führt hier dann zu sinkenden Zinsen. Wer Geld braucht, kann es sich aufgrund des großen Angebots billig leihen.

Nun hat diese Wettbewerbsstärke Deutschlands auf der anderen Seite dazu geführt, dass sich andere Länder über Jahre verschuldet haben, also Leistungsbilanzdefizite angehäuft haben. Da sie sich im Währungsverbund Euro befinden, müssen sie ihre Schulden irgendwie in Euro bezahlen. Sie müssen sich also Geld leihen - aber von wem? Im eigenen Land sind die Zinsen hoch, weil das Geld knapp ist. Also leihen sie es natürlich von uns, denn bei uns lungert das Kapital herum, dass nach Anlage sucht. Was passiert, ist also nichts weiter, als das wir erst dieses Land zwingen bei uns einzukaufen (indem wir die Löhne bei uns drücken) und es sich gleichzeitig bei uns das Geld dafür leiht und sich bei uns verschuldet. Mit dem Risiko, dass - wie man sieht - diese Länder das Geld irgenwann nicht mehr zurückzahlen können. Gleichzeitig haben diese Defizitländer nur wenig Chancen aus der Nummer wieder herauszukommen. Sie müssten auch ein Lohndumping betreiben, um die Produktivität wieder zu erhöhen. Die Forderung nach Sparen würde gleichzeitig dazu führen, dass die unsere Mercedesse nicht mehr kaufen (genau das wird aber gefordert). Ein ziemlich dümmliches Verhalten des Überschusslandes im Wärhungsverbund.

Was wäre, wenn das andere Land kein Euroland wäre, sondern eine andere Währung hätte? Dann würde es seine Währung abwerten, was sofort preiserhöhend auf die Importe und preissenkend auf die Exporte wirkt. Die Einfuhren gehen zurück, die heimischen Güter werden nachgefragt, Es kommt zu einer Verbesserung der Handels- bzw. Zahlungsbilanz. Gleichzeitig steigen die Löhne, denn die Nachfrage ist gestiegen.

» Meerbuscher » Beiträge: 398 » Talkpoints: -14,49 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Vielen Dank für deine ausführliche Antwort, Meerbuscher, sie hat mir sehr geholfen, die ganzen Zusammenhänge etwas besser zu verstehen. Dein erster Absatz ist mir vollkommen klar, beim zweiten Absatz hakt es aber noch ein wenig. Dass diese Import-Weltmeister ein Defizit in ihrer Leistungsbilanz haben, weil sie deutlich mehr importieren als exportieren, ist mir klar und es ist auch logisch, dass dies Folgen für das eigene Land hat; zum Beispiel dürfte ja die Geldmenge sinken, wenn viel ins Ausland überwiesen wird, und das dürfte dann auch zu einer Erhöhung des Zinsniveaus führen.

Ich verstehe aber noch nicht ganz, warum sich das Import-Land dann verschuldet; natürlich ist die Geldmenge an sich gesunken und es gibt ein Defizit in der Leistungsbilanz, aber was hat das mit einer Verschuldung zu tun? Meinst du damit nur, dass ein Import-Land nach einer gewissen Zeit einen Kredit bei einem anderen Land aufnehmen muss, um die Geldmenge im Land wieder zu erhöhen und damit dem steigenden Zinsniveau und den anderen Konsequenzen entgegenwirken zu können? Oder ist damit noch etwas anderes gemeint?

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Anemone hat geschrieben:Ich verstehe aber noch nicht ganz, warum sich das Import-Land dann verschuldet; natürlich ist die Geldmenge an sich gesunken und es gibt ein Defizit in der Leistungsbilanz, aber was hat das mit einer Verschuldung zu tun? Meinst du damit nur, dass ein Import-Land nach einer gewissen Zeit einen Kredit bei einem anderen Land aufnehmen muss, um die Geldmenge im Land wieder zu erhöhen und damit dem steigenden Zinsniveau und den anderen Konsequenzen entgegenwirken zu können? Oder ist damit noch etwas anderes gemeint?


Wenn das Defizit steigt, heißt das, dass ein Land mehr aus dem Ausland bezieht, als es selbst exportiert. Es kann aber auch heißen, dass ein Land mehr verbraucht, als es selbst an Werten schöpft (BIP). Gleichzeitig bedeutet das Vorliegen eines Leistungsbilanzdefizits (quasi definitionsgemäß) dass die Investitionen dieses Defizitlandes nicht durch dessen Ersparnis (privat und staatlich) gedeckt werden können (sonst hätten wir kein Defizit in der Bilanz). Ergo muss das Defizit duch Kapital aus dem Ausland finanziert werden. Die Forderungen des Auslands steigen, die Schulden des Defizitlandes auch. Das sieht dann so aus, dass wir als Überschussland sozusagen zur Ware den Kredit gleich mitliefern, von dem wir hoffen, dass er eines Tages bezahlt wird (in der Realität ist die Verflechtung der Kapitalströme natürlich weit komplexer).

An der Stelle müsste dann eine entsprechende Abwertung der Währung des Defizitlandes stattfinden, wodurch sich das Leistungsbilanzdefizit im Laufe der Zeit abbauen würde, denn die Exporte des Defizitlandes würden sich verbilligen und dessen Importe verteuern. Es ist leicht vorstellbar, dass das in einem gemeinsamen Währungsraum dann aber nicht geht, denn schließlich haben beide beteiligten Länder die gleiche Währung. Hier bleiben dem Importland dann nicht allzuviel Möglichkeiten zur Reaktion. Vor allem heißt die: "Spare und kürze, erhöhe die Steuern." Mit der Folge, dass in diesem Land die Binnenkonjunktur zusammenbricht, ebenso wie die Importe. Und das exportierende Land - fährt mit seinen Mercedessen in Zukunft im Kreis herum. Das ist die Stelle, wo man sich am Kopf kratzen muss und sich fragen muss, ob das wirklich der richtige Weg des Wirtschaftens ist.

Vielleicht sollte man noch kurz erwähnen, dass in Deutschland ja immer kolportiert wurde, wir würden "über unsere Verhältnisse leben". Wie aber kann eigentlich ein Land, dass mehr produziert, als es selbst verbraucht, über seinen Verhältnisse leben? Was machen denn dann die Defizitländer, wenn wir schon angeblich über unsere Verhältnisse leben? Und noch viel mehr Überschussland als Deutschland kann man nicht sein. Leben wir nicht vielleicht sogar unter unseren Verhältnissen? Wieso nehmen wir dauerhaft Löhne hin, die unterhalb des Produktivitätsfortschritts liegen? Wo geht dieses Geld eigentlich hin? In Investitionen (so wie es die reine Lehre orakelt) zumindest mal nicht, aber natürlich sucht dieses Geld nach Anlage - und hier dann u. a. zur Finanzierung der Kredite der Importländer.

Meine Einlassungen hier solltest du aber nicht auf die Goldwaage legen. Ich würde niemals behaupten, hier tiefes Wissen zu besitzen, das bezieht sich auch auf ein gepflegtes Theoriedefizit. So manches kann ich mir selber nicht erklären. Wenn allerdings Menschen mit Bild-Zeitungs Wissen sich in dieser Hinsicht äußern, kann ich das schon lange. Ich weiß ja auch nicht, ob dich eher die praktischen Erklärungen interessieren, die sich weit weg von der herkömmlichen Lehre, weg von der Neoklassik bewegen, oder ob es die reine Lehre ist (die mit der Praxis so gut wie nichts zu tun hat, leider aber noch herrschende Lehre und großer Teil der Politikberatung ist). Ich hoffe, dass ich dir trotzdem etwas Input geben konnte.

» Meerbuscher » Beiträge: 398 » Talkpoints: -14,49 » Auszeichnung für 100 Beiträge



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