"Alternativlos" - Eine gute Wahl?

vom 20.01.2011, 09:09 Uhr

Seit einiger Zeit wird von einer selbstständigen Jury der Uni Frankfurt das "Unwort des Jahres" gekürt. Jedermann kann hier Vorschläge einreichen über sprachliche Missetaten des laufenden Jahres, also etwa sachlich grob unangemessene oder die Menschenwürde verletzende Begrifflichkeiten. Dabei sei am Rande erwähnt, dass man - wenn man denn wollte - hier leicht Einfluss nehmen könnte. Die Vorschläge aus der Bürgerschaft übertreffen selten die 1000, ebenso liegt die Zahl der Einsendungen meist unter 2000.

In diesem Jahr kürte die Jury das Wort "alternativlos" zum Sieger und ich muss sagen, im Prinzip eine exzellente Wahl. Was aber hat das ZDF gestern aus der Nummer gemacht? Weit weg vom klar neoliberalen Ursprung des Begriffs, wurde er lediglich auf einige Ereignisse in der deutschen Politik bezogen. Die besteht zwar im Kern auch aus neoliberaler Politik, aber das Wort "neoliberal" fiel noch nicht mal.

"Alternativlos" hat seinen Ursprung im sog. TINA-Prinzip der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. "Maggy" Thatcher fiel wohl als erste durch die inflationsartige Verwendung dieses Begriffs in ihren Reden auf: "There is no Alternative!" bügelt jegliche Notwendigkeit einer Begründung für das Handeln ab - der Sachzwang lässt eben (angeblich) keine Alternative. Seit Thatcher wird uns im Zuge der neoliberalen Umgestaltung der Welt dieser Begriff permanent um die Ohren geblasen und gleichzeitig der Rechtfertigungsdruck des politisch Handelnden weggewischt. TINA erhebt das Handeln quasi zum Naturgesetz. Dahinter steht eine nicht diskutierbare, starre Weltsicht.

Gleichzeitig machen sich die Akteure zu Profiteuren und Komplizen dieser angeblichen Sachzwänge. Die Liste der Personen wäre lang, nehme ich z. B. mal Tietmeyer den ehemaligen Bundesbanker. Der war auch Mitgestalter des Maastricht-Vertrages, er war Vorsitzender des Kuratoriums der mächtigen, wirtschaftsliberalen PR-Agentur "Initiative Neue Soziale Marktwirschaft" (INSM) und schon 1981 war er (Haupt)autor des wirtschaftsliberalen Lambsdorff-Papiers (das lese sich jeder junge Mensch mal durch, denn das Ding ist die Vorlage für die Politik seit Kohl über Schröder bis heute).

Da wird nicht alternativlosen Sachzwängen gefolgt, da wird hinten herum kräftig an Strippen gezogen, um vorne die Unausweichlichkeit von Entscheidungen zu begründen - und als I-Tüpfelchen bringen sich die handelnden Personen dann noch in eine Position, in der sie spätestens in der Zeit nach der Politik auch selber finanaziell profitieren. By the way - was macht eigentlich Steinbrück? Eigentlich sitzt der doch noch im Bundestag und wird dafür gut bezahlt. Aber bis auf seine profitable Buchveröffentlichung hat man nach seiner Alternativlos-Nummer mit Kanzlerin und Ackermann und seiner Ablösung absolut nichts mehr von dieser schnoddrigen Plaudertasche gehört. Im Bundestag wurde er - trotz Bezahlung - kaum noch angetroffen. Allerdings konnte man ihn zu gleichzeitig stattfindenden (gut bezahlten) Vortragsterminen quer durch das Land besuchen.

Um das Modell der Alternativlosigkeit noch kurz zu skizzieren: Da werden z. B. auf der einen Seite die Steuern für Unternehmen gesenkt, was selbstverständlich zur Folge hat, dass die Einnahmen wegbrechen und das ergibt dann den Sachzwang, um Einschnitte am Gemeinwesen und den für die Mächtigen zu fett gewordenen sozialen Errungenschaften zu begründen. Das wird dann noch mit einer (wissenschaftlich nich zu begründenen) "automatischen Schuldenbremse" garniert und zementiert, womit das Heft des Handelns dann vorsorglich gleich per Gesetz aus der Hand gegeben wird. Und damit gar niemand mehr auf dumme Gedanken kommen kann, schiebt man das noch dem europäischen Parlament unter und verankert es in den Verträgen.

Insofern geht die Wahl des Unwortes "alternativlos" weit über das hinaus, was uns gestern das ZDF weismachen wollte. Das klang alles viel zu harmlos und schien hauptsächlich die Politik der Kanzlerin zu betreffen. Die meisten werden leider gar nicht begreifen, wie prägend dieses Wort für das Leben auf dieser Welt seit den 80er Jahren geworden ist, denn die gucken lieber "Dschungelcamp".

» Meerbuscher » Beiträge: 398 » Talkpoints: -14,49 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ach ja, darüber habe ich mich auch fast gefreut. "Alternativlos" im Zusammenhang mit der Atomkraftenergie fiel mir ja sofort ein. Daneben hatte ich dann noch herum gespielt mit dem Wort Naturkatastrophe, weil eine durch den Menschen verursachte Naturkatastrophe meiner Meinung nach auch wirklich noch so zusätzlich bezeichnet werden sollte, damit Leute sich nicht erst überlegen müssen, warum eine Naturkatastrophe überhaupt eintreten konnte und zustande kam.

Das wäre natürlich nicht so ein Unwort wie "alternativlos", aber ich fände das auch nicht schlecht, spart Zeit zum denken und regt vielleicht auch dazu an. Traurig ist das.

» ygil » Beiträge: 2551 » Talkpoints: 37,52 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


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