Berlin zum Anfassen - Tipps gesucht
Der Titel klingt vielleicht ein bisschen seltsam, trifft den Nagel aber meiner Meinung nach ganz gut auf den Kopf. Es geht darum, dass ich für nächstes Jahr einen Kurztrip nach Berlin plane. Die Besonderheit: Ein großer Teil der Gruppe wird vollblind oder zumindest stark sehbehindert sein. Die Blindheit ist nun keine große Einschränkung, was das Reiseverhalten betrifft, da ich bereits genug Begleitpersonen organisiert habe, die bei der Mobilität und ähnlichem behilflich sein können.
Viel mehr frage ich mich, was man nun genau unternehmen könnte. Natürlich gibt es einige Basics, über die man sofort stolpert, wenn man sich im Internet umsieht, so beispielsweise eine Stadtführung, ein Besuch im DDR-Museum, im jüdischen Museum und im Rittersport-Museum, eine Fahrt auf der Spree, die Besichtigung des Doms und des Wachsfigurenkabinetts, und so weiter. Die Frage ist nun eben nur noch, was davon für blinde Menschen geeignet ist. Ich stelle jetzt keine Ansprüche an Barrierefreiheit im Sinne von wenigen Stufen, guter Erreichbarkeit oder Ähnlichem, sondern mir geht es eher darum, dass man als Blinder etwas erleben kann, womit ich meine, dass es eben nicht nur um das Sinneserlebnis „sehen“ gehen soll, sondern im besten Fall etwas angehört, befühlt oder gerochen werden kann. „Mit allen Sinnen erleben“ heißt hier das Motto.
Natürlich habe ich bei vielen der Veranstalter auch schon angerufen und gefragt, ob sie für Blinde geeignete Führungen anbieten. Viele bestätigten mir, dass dies möglich sei, aber ich habe eben oftmals die Erfahrung gemacht, dass diese angebotenen Behindertenführungen nicht besonders gut gemacht sind , da sie oftmals so ablaufen, dass eben einfach nur das erzählt wird, was bei normalen Führungen auch erzählt wird, mit dem Unterschied, dass auf die Bilder verzichtet wird. Diese Führungen ohne jegliches Anschauungsmaterial sind nun eben einfach langweilig.
Deswegen meine Frage: Hat jemand Tipps für mich, was ich unternehmen könnte, um Berlin mit anderen sinnen zu erleben? Die Tipps müssen nun nicht von jemandem sein, der bereits Erfahrungen mit Blinden gemacht hat, mir reicht auch schon, wenn sich jemand vielleicht an ein Museum oder eine Veranstaltung erinnert, wo viel angefasst oder erlebt werden konnte. Also, hat jemand interaktive Ideen für mich?
Das Wachsfigurenkabinett würde ich für eine gute Idee halten. Die Figuren stehen ja meist im Raum verteilt und man darf diese auch anfassen. Nun sollte man vielleicht nachfragen ob man eine gesonderte Führung mit Erklärungen bekommt und ob man die Figuren wirklich komplett abtasten darf. Bei meinem Rundgang konnte ich jede Figur anfassen oder mich an sie kuscheln für ein Foto, allerdings gab es keine Erklärungen sondern nur Wandtafeln mit Beschriftung um etwas über die Personen zu erfahren. Außerdem konnte man sie Wachsabdrücke von den eigenen Händen machen lassen. Wenn man also einige Erklärungen oder sogar eine Führung bekommt kann das bestimmt interessant sein.
Wie wäre es denn mit dem Fernsehturm. Einerseits die Erklärung wie schnell man mit dem Fahrstuhl fährt und einfach das Gefühl in 200m Höhe zu sein und andererseits hat man ja die Möglichkeit dort zu Essen und das Restaurant dreht sich und das bekommt auch mit wenn man nichts sieht und es ist wirklich ein tolles und auch merkwürdiges Gefühl zu spüren das sich alles unter mir bewegt obwohl ich selbst sitze und mich kaum bewege.
Ich kann Dir in Berlin das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt empfehlen. klick.
In diesem Museum geht er auch, aber nicht nur um Blinde. Erzählt wird vor allem die Geschichte von Otto Weidt, einem sehr couragierten Blinden, der im NS-Regime sehr beherzt einige Menschen vor dem KZ gerettet hat, in dem er eine kriegswichtige Produktion von Bürsten aufgezogen hat.
Das Bürstenmachen ist auch heute noch eine Tätigkeit, die in Blindenwerkstätten praktiziert wird. Im Museum werden wohl auch Bürstenmachworkshops angeboten. Die ganze Austellung ist auch für Blinde konzipiert, die Aufschriften an den Vitrinen ist sogar weitgehend in Blindenschrift angebracht und die Museumsleute wohl auch auf Blinde Besucher gut eingestellt. Erkundige Dich doch mal genauer, was sie Dir anbieten würden.
Vielleicht wär auch das Holocaust-Denkmal geeignet. Ich war zwar selbst noch nicht dort, aber ich habe mir sagen lassen, dass die Steine dort so aufgebaut sind, dass sie am Anfang ganz niedrig und gegen Ende sehr hoch sind. Auch so etwas kann ertastet werden und die Anordnung der Steine ist bestimmt auch beeindruckend, beinahe wie ein Irrgarten.
Ich war letztens in der Ausstellung "Story of Berlin" am Ku´damm. Ich weiß nicht ob du die schon auf deiner Liste für Anfragen hattest. Zwar gab es nur vereinzelt wirklich etwas zum Anfassen, aber in vielen - eigentlich in den meisten - Räumen gab es Geräusche und Erzählungen. Ich habe zumindest in erster Linie zu gehört und dann erst alles angeschaut. Wenn es da eine entsprechende Führung gibt, kann das sicher interessant sein. Es gab auch einen Luftschutzbunker, in dem war ich aber nicht, ich weiß nciht, ob man da etwas anfassen darf. Die Ausstellung ist aber nciht gerade klein und irgendwie ist alles interessant. Wir waren knapp zwei Stunden und haben und bei weitem nicht alles genau angesehen und angehört. Ist auf alle Fälle eine Ausstellung die sich lohnt.
Vom Holocaustmahnmal bin ich für blinde auf den ersten Blick nicht begeistert gewesen. Mag sein, dass das Blinde anders sehen. Die Ansammlung an Betonstelen wurde so konzipiert, dass auch Sehende im Zentrum der Stelen möglichst die Orientierung erschwert werden sollte. Wie aber mag das für einen Blinden sein, wenn man inmitten von Betonklötzen Schwierigkeiten hat, die Orientierung zu behalten? Ich stelle mir das eher unangenehm vor. Im Zuge meiner Recherchen habe ich hier gelesen, dass es genau für diesen Ort und viele andere Orte einen speziellen Audioguide für Blinde gibt. Dieser erlaubt den Blinden die weitgehend selbstständige Erkundung der Stadt. Zudem ist der Audioguide kostenlos verfügbar. Da fällt es sicher nicht schwer, den mal auszuprobieren.
In dem obenstehenden Link wird auch erwähnt, dass es in Berlin ein Museum der Dinge geben soll, wo die Besucher die Ausstellungsgegenstände aus den Vitrinen nehmen und befühlen können. Ich kenne das Museum nicht, das Konzept hört sich aber vielversprechend an. hier findest du die Homepage des Museums. Persönliche Erfahrungen habe ich mit dem Museum leider nicht gemacht.
ChaosXXX sagt, dass es in der von ihm genannten Ausstellung auch Räume mit Geräuschen und Audiotexten gäbe. So weit ich mich erinnere, gibt es in vielen Berliner Museen, die Möglichkeit einen Player zu leihen, den man als Audioguide nehmen kann.
Im Haupthaus des jüdischen Museums sind die Menschen, die die Museumsbesucher herumführen meiner Einschätzung nach besonders toll. Bei meinem letzten Besuch hatte ich einige der Leute beobachtet, wie sie mit den Schulklassen arbeiten. Die haben wirklich tolle Arbeit geleistet, so dass sogar in Schulklassen, die eigentlich ein problematisches Alter haben, konzentrierte Stille herrschte. Außerdem haben sie über das Museum verteilt einige Fühlboxen. Diese sind zwar eigentlich für Kinder konzipiert, könnten aber auch für Blinde interessant sein. Man befühlt z. B. einige Alltagsgegenstände. Da Führungen speziell auch mit Gebärdendolmetschern angeboten werden, würde ich gezielt nach Möglichkeiten für Sehbehinderte fragen. Für Kinder gibt es auch spezielle Workshops, z.B. über traditionell jüdische Speisen oder Alltagsgegenstände, die dann auch angefasst oder mit anderen Sinnen wahrgenommen werden dürfen. Vielleicht würde man euch da eine spezielle Führung anbieten. Es empfiehlt sich aber, rechtzeitig Kontakt aufzunehmen, da schon bei Standardführungen um eine Voranmeldung von 4-5 Wochen gebeten wird. Ach ja, Audioguides gibt es auch zu mieten.
Kennst Du übrigens schon die Seite Berlin für Blinde? Dort wird einiges aufgelistet, was für Blinde und auch Sehbehinderte in Berlin interessant ist. Von Erlebnisangeboten, Museen bis hin zu speziellen Einkaufsangeboten ist vieles aufgelistet. Auf der Seite steht zum Beispiel auch, welche Restaurants problemlos Blindenhunde in ihre Gaststätte lassen. Da Berliner oft schnodderig auch ungewöhliches Verhalten reagieren, sind solche Infos sicher nützlich. Dort wirst Du viele nützliche Infos finden. Es gibt zwar auch in Berlin einige Dunkelrestaurants, die natürlich auch auf Blinde eingestellt sind, dort ist das Essen allerdings meist relativ teuer, was eventuell ein Problem sein könnte. Ebenso findest Du dort eine Liste mit blindengerechten Unterkünften. Zudem stehen die meisten Infos auf dieser Seite auch im Audioformat zur Verfügung, so dass Du deine Reiseteilnehmer bei der Entscheidung einbeziehen könntest.
trüffelsucher hat geschrieben:ChaosXXX sagt, dass es in der von ihm genannten Ausstellung auch Räume mit Geräuschen und Audiotexten gäbe. So weit ich mich erinnere, gibt es in vielen Berliner Museen, die Möglichkeit einen Player zu leihen, den man als Audioguide nehmen kann.
Kleine Anmerkung am Anfang, nicht von "ihm" sondern von "ihr". Ich bin eine Frau .
Aber zum Wichtigen. Das war keine Ausstellung, in dem man sich Player und Ohrhörer ausleihen konnte. In jedem Raum waren Stimmen und Geschichten zu hören. Ob zum Nationalsozialismus oder zum Wirtschaftswunder. Daher dachte ich, dass es auch für Blinde interessant wäre. Die Ausstellung geht aber über mehrere Etagen, daher wäre eine Führung notwendig. Vieles konnte man selbst einschalten und dann hören, manches aber auch nur sehen und lesen. Aber es war z.B. ein Hinterhof nachgestellt, in dem man das Kopfsteinpflaster unter den Füßen fühlte und bei dem man eine Wasserpumpe betätigen konnte. Es war einfach total viel auf das anhören ausgerichtet. Aber es ist für Blinde sicher nur richtig interessant, wenn es dazu eine etxra Führung gibt. Daher würde ich sagen, wenn die so etwas anbieten und das Interesse für die Berliner Geschichte da ist, dann sollte man die Ausstellung unbedingt besuchen. Aber wie gesagt, man sollte Zeit mitbringen. ich hatte den Eindruck, dass man den ganzen Tag da drin verbringen kann, wenn man alles mitnehmen will.
Vielen Dank für die zahlreichen Tipps. Ihr habt mir wirklich weitergeholfen. Das Wachsfigurenkabinett halte ich für eine sehr gute Idee, wobei man mir noch gar nicht gesagt hat, dass man dort auch Handabdrücke aus Wachs machen kann. Diesen Rohstoff im weichen Zustand zu fühlen und selbst etwas anzufertigen, ist vermutlich um einiges spannender, als nur Fertigerzeugnisse anzusehen, wobei ich schon einmal sehr froh darüber bin, dass man trotzdem alles anfassen darf. Auch das Otto-Weidt-Museum kannte ich bisher noch nicht, ich habe mir aber gerade die Homepage angesehen und es klingt wirklich interessant, sodass ich es mal mit einplanen werde.
Wie Trüffelsucher glaube ich auch, dass das Holocaust-Denkmal eher weniger geeignet wäre, nicht wegen der Wirkung des Labyrinths, sondern eher, weil ein blinder Mensch immer nur einen Stein anfassen kann und sich somit schlecht einen Überblick über das ganze Gebilde verschaffen kann, und gerade diese verwirrende Wirkung wäre ja hier etwas Besonderes. Auch glaube ich, dass man sich den Fernseh-Turm sparen kann, weil wir bereits eine Fahrt mit dem Fesselballon gebucht haben und somit das Höhen-Erlebnis schon vorhanden ist. auch habe ich gehört, dass das Restaurant im Fernsehturm ziemlich teuer ist, stimmt das?
Auch das jüdische Museum, das Museum der Dinge und die hier angesprochene Ausstellung gefallen mir gut, wobei ich mich vermutlich für zwei dieser Museen entscheiden müsste, weil ich sonst mit meinen Zeitplan nicht hinkommen würde. Vielen Dank außerdem für den Linktipp. Die Seite „Berlin für Blinde“ enthält wirklich einige sehr nützliche Informationen. Eine Unterkunft haben wir zwar schon, aber bezüglich der Restaurant-Suche könnte mir die Seite in der Tat noch gute Dienste leisten, wobei ich noch nicht weiß, wie viele meiner Teilnehmer einen Hund mitbringen werden.. Ohne Blindenhunde wäre es vermutlich deutlich einfacher.
Lohnt sich dieser Audioguide für die ganze Stadt auch noch, wenn man schon eine Stadtführung bekommt? Ist das ein Gerät mit Lautsprechern oder braucht man unumgänglich Kopfhörer dazu? Wenn ja, müssten wir uns wohl acht Stück davon ausleihen, was deutlich schwieriger werden dürfte. Wo bekommt man diese Guides?
Zum Restaurant im Fernsehturm: Teuer ist ja eine ziemlich relative Größe. Man zahlt schon einen Aufschlag dafür, dass man bei Essen ein schönes Panorama hat. Für Blinde fällt dieser Effekt schon mal weg. Ich war bislang nur auf dem Turm, nicht aber im Restaurant. Keine Ahnung, wie es da schmeckt. Ich habe mir eben mal hier die Speisekarten des Berliner Fernsehturms abgerufen. Allerdings kann man derartig klassische Gerichte auch anderswo in diversen Berliner Restaurants und Kneipen bekommen und, je nach dem, wo man hingeht, auch weit preiswerter.
Ich weiß nicht, wie deine Mitreisenden so sind. Berücksichtige, dass es in Berlin Restaurants mit Speisen aus aller Welt gibt. Das könnte also auch durchaus ein Highlight sein, wenn man mal etwas exotischeres essen geht. Wenn Du Restauranttestseiten abrufst, findest Du sicher Informationen darüber, ob die Speisen in der von euch anvisierten Gaststätte auch ihren Preis wert sind.
Man kann den Audioguide von der Blindenseite runterladen. Er ist kostenlos und liegt als MP3 vor. Hier auf dieser Unterseite der Blindenseite findest Du ein Inhaltsverzeichnis der Blindenseite, wo alle Audiodateien der Seite herunterladbar sind. Der Guide an sich kostet also nichts. Ich kenne die Blinden, die Du begleitest nicht. Vermutlich haben viele Blinde heute sowieso einen Player für Audiomedien, um sich z.B. Hörbücher anhören zu können. Den Guide spielt man dann einfach auf die Player der Touristen auf. Wenn eher portable CD-Player vorhanden sind, kann man die MP3s auch mit kostenloser Software so umwandeln, dass man daraus CDs brennen kann, die man in normalen CD-Playern abspielen kann. Ob sich in deinem konkreten Fall der Aufwand lohnt, und welche Kosten, z.B. für die Anschaffung von Playern anfallen würden, musst Du für deine Gruppe einschätzen.
Ich habe mir gerade die Speisekarten des Fernsehturm-Restaurants angesehen und festgestellt, dass die Preise dort schon etwas höher sind als gewöhnlich, weshalb ich geneigt bin, darauf zu verzichten. Im Normalfall haben wir eine sehr breitgefächerte Mischung an Teilnehmern, das heißt, von Blinden, die in Behindertenwerkstätten arbeiten und dort eher wenig Lohn bekommen, über Studenten bis zu Normalverdienern ist alles dabei, weswegen es meine Aufgabe ist, die Preise gering zu halten, damit sich möglichst viele Menschen die Fahrt leisten können. Ich gehe auch mal davon aus, dass das Restaurant eher groß ist, gerade dann merkt man eine langsame Drehung gar nicht unbedingt, sodass es für Blinde wohl eher uninteressant wäre. Der Tipp mit den vielfältigen Restaurants ist aber gar nicht schlecht, hier würde es sich wohl tatsächlich anbieten, neben den berliner Spezialitäten mal etwas exotischer Essen zu gehen.
Vielen Dank für den direkten Link zum Audio-Guide. Ich denke, ich werde es im konkreten Fall so machen, dass ich meinen Teilnehmern im Voraus eine Auswahl an Links zu den einzelnen Audio-Beiträgen zusammenstelle, damit sie sich diese schon einmal anhören oder, insofern vorhanden, auf einen Mp3-Player kopieren können. Da wir aber für beinahe alle Aktivitäten bereits eine Führung gebucht haben, dürfte der Guide hier nur eine interessante Zusatzinformation sein und wir sind glücklicherweise nicht ausschließlich davon abhängig. Trotzdem muss ich sagen, dass mir die akustischen Darstellungen auf der Seite sehr gut gefallen und ich sie auf jeden Fall für nützlich halte.
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