Die Angst vor Ablehnung
Ich habe in meinem Bekanntenkreis eine sehr gute Freundin, die ich auch schon seit dem Kindergarten kenne. Was genau die Ursache dafür ist, weiß ich nicht, aber meine Freundin kann sehr schlecht mit Ablehnung umgehen, auch wenn es nur ironisch gemeint ist. Da ich sie gut kenne und das verstehe, nehme ich auch darauf Rücksicht, aber das können andere Personen nun mal leider nicht.
Nun hatte sie Anfang dieser Woche ein Erlebnis, dass sie nicht mehr loslässt und das sie einfach nicht verarbeiten kann. Wir hatten an dem Tag eine Klausur geschrieben, die auch abiturrelevant ist und vor der sie große Angst gehabt hatte. Nach dem wir die Klausur hinter uns hatten, gingen wir erstmal eine Weile nach draußen um frische Luft zu schnappen, als meiner Freundin einfiel, dass sie dem Lehrer, bei der wir gerade geschrieben hatten, noch etwas sagen musste, was die nächste Kursfahrt anbelangte. Nun gingen wir also ins Sekretariat und fanden besagten Lehrer vorm Drucker, wo er Arbeitsblätter kopierte. Meine Freundin sprach ihn auch sofort auf die Kursfahrt an und er unterhielt sich ganz normal mit ihr. Nachdem sie das geklärt hatte, trat sie einen Schritt weg, als wollte sie gehen, blieb aber dann doch stehen und sprach den Lehrer auf die eben geschriebene Klausur an. Ich hielt mich währenddessen im Hintergrund, da ich nur Begleitung war und der Lehrer sah mich auch nicht, da ich an der Tür stand.
Meine Freundin erwähnte ihre Probleme die sie bei der Aufgabenstellung gehabt hatte und bezeichnete die Klausur schließlich spaßeshalber als ''grausam''. Der Lehrer hatte währenddessen weiter am Drucker seine Blätter kopiert und murmelte nur ein ''ich werde sie mir durchsehen'' auf die Worte meiner Freundin. Diese stand noch kurz im Raum und wartete, ob noch was kommen würde und ging dann schließlich. So dramatisch fand ich das Ganze nun wirklich nicht. Ich habe auch gesehen, dass der Lehrer im Grunde mit den Kopien keine große Arbeit hatte, sondern das er ihr einfach den Rücken gekehrt und nicht geantwortet hatte, weil er sich wohl einfach nicht mir ihr unterhalten wollte. Aber was ist denn schon dabei? Es ist schließlich nur ein Lehrer und wenn er sich nicht unterhalten will, dann eben nicht. So sehe ich das zumindest, meine Freundin sieht das schon etwas differenzierter.
Sie hat die Reaktion des Lehrers als pure Ablehnung und Missachtung wahrgenommen und fühlt sich dadurch nun mal sehr gekränkt. Es ist erst einige Tage her, doch sie hat jetzt schon Angst davor den Lehrer wiederzusehen und interpretiert sein Verhalten auf alle möglichen Arten, wie etwas ''er hat die Notiz in meiner Formelsammlung gesehen und weiß das ich gespickt habe'', ''ich bin ihm zu Nahe gekommen und er wollte es ausnutzen das wir allein waren um mir zu zeigen, dass er mich nicht leiden kann'', '' ich habe ihn mit meinem Gejammer genervt und er wollte zeigen, dass er mich satt hat'' und so weiter und so fort. Ich habe ihr versucht deutlich zu machen, dass er sich vielleicht einfach nur auf das Kopieren konzentrieren wollte, obwohl für mich offensichtlich war, dass er sich ihr gegenüber wirklich ablehnend verhalten hat.
Trotzdem finde ich, dass man sich das nicht so zu Herzen nehmen sollte und der Begegnung dieser Person gegenüber wieder offen sein sollte, anstatt Angst davor zu haben und sich dermaßen in die Situation hinein zu steigern. Seit Tagen liegt sie mir mit nichts anderen mehr in den Ohren und ich zweifel nun auch ernsthaft daran, dass sie das eine Ablehnung jemals in ihrem bisherigen Leben richtig verarbeiten konnte. Ich will mir auch nicht ausmalen, wie das mal aussehen könnte, wenn ihre Beziehung in die Brüche geht. Findet ihr dieses Verhalten krankhaft und kennt ihr Personen in eurem Umfeld, die sich ähnlich verhalten? Was würdet ihr tun um besagte Person aufzumuntern und ihr klar zu machen, dass sie die Sache nicht so ernst nehmen soll? Würdet ihr einer solchen Person vielleicht sogar eine Therapie empfehlen um über diese Ängste hinweg zu kommen?
Ich glaube nicht, dass Deine Freundin eine Therapie oder dergleichen braucht. Ich habe mich bis vor kurzem ganz ähnlich gefühlt – und habe es auch noch immer nicht ganz abgelegt. Ein schiefer Blick, ein unbedachter Ausdruck, die falsche Ton-oder Wortwahl und schon setzt sich in meinem Kopf eine unaufhaltsame Maschinerie in Gang die mich die verschiedensten Szenarien durchspielen lässt warum und wieso mir das gerade wohl passiert ist. Was habe ich falsch gemacht? Mag der mich nicht? Meint es meine beste Freundin vielleicht doch nicht so gut mir? Liebt mich mein Freund nicht mehr? Gehe ich meiner Schwester auf die Nerven?
Dieses – von meiner Mutter gerne mimosenhaft genannte – Verhalten ist meiner Meinung nach auf mangelndes bis nicht vorhandenes Selbstbewusstsein zurückzuführen. Wie auch ich wird Deine Freundin lernen müssen dass sie nicht der Nabel der Welt ist und nicht jede Äußerung und jeder Blick immer gleich eine Kritik oder Ablehnung beinhaltet. Nicht alles was gesagt oder getan wird hat etwas mit ihr zu tun und ein gereizter Ton oder das abwesende Verhalten eines Gesprächspartners ist manchmal einfach darauf zurückzuführen, dass derjenige einen schlechten Tag hat oder mit den Gedanken ganz woanders ist. Vielleicht hat der Lehrer den Kopf wirklich voll gehabt und wollte sich jetzt nicht unterhalten. Na und? Natürlich ist es unangenehm wenn man abgewimmelt wird oder man sich gerade mißachtet fühlt, aber ich vermute dass Deine Freundin sich einfach den falschen Zeitpunkt für ein solches Gespräch ausgesucht hat und der Lehrer nicht in Plauderlaune war. Schon gar nicht in Bezug auf die gerade geschriebene Klausur.
Hat sich Deine Freundin auch mal gefragt ob er sich vielleicht ähnlich gefühlt hat wie sie als sie ihm sagte dass sie seine Klausur „grausam“ fand? Vielleicht ist er ja ebenso sensibel und mimosenhaft? Ein Wechsel der Perspektive tut ihr vielleicht mal ganz gut, denn dann erkennt sie vielleicht, dass sie vieles nicht so ernst zu nehmen braucht. Du kannst ihr auch ab und an ruhig sagen wenn gerade ihre Fantasie mit ihr durchgeht und sie sich wieder abgelehnt fühlt obwohl es eigentlich keinen Anlass gibt. Und erzähl ihr auch immer mal wieder, dass niemand auf der Welt so ist, dass er von allen gemocht wird. Muss auch nicht sein, dafür sind wir alle Individuen.
Liebe Grüße an meine Leidensgenossin.
Nach meinen Erfahrungen (mit mir selbst in ähnlichen Situationen) hat das Gefühl der Ablehnung mit mangelndem Selbstwertgefühl zu tun. Anlass der "gefühlten Ablehung" ist m.E. immer eine Auseinanderssetzung, eine Meinungsverschiedenheit o.ä., wie klein und unbedeutend sie auch sein mag. Diese "Minikämpfe" zu gewinnen ist für einige Menschen schwieriger, als diese zu verlieren. Es ist für sie der leichtere Weg, sich in ein Gefühl der Ablehnung zu flüchten, insbesondere dann, wenn dieses Gefühl schon lange bekannt ist, z.B. aus der Kindheit. Es ist dann die subjektiv empfundene, immer wiederkehrende Bestätigung, dass man bei anderer Meinung / Auffassung keine Wertschätzung erfährt, die einen im Laufe der Zeit immer wieder resignieren lässt.
Was kann man tun? Fakt ist, dass niemand so ohne weiteres seine Umwelt ändern kann. Also bleibt nur das Arbeiten an einem selber, die Frage nach dem eigenen Anteil an der Situation. Ich habe viele Menschen kennen gelernt, die einen eigenen Anteil schlicht und einfach ablehnen (der/die Andere hat sich ja schließlich falsch verhalten ...). Dabei reicht es schon aus, wenn man ein Gespräch mit jemandem beginnt und die potenzielle Ablehnung dabei (in der Regel unbewusst) voraussetzt. Dies teilt sich dem Gegenüber mehr oder weniger mit, auch ohne Psychologiestudium. Oftmals erfüllt der Andere nur die eigene Erwartungshaltung. Ich glaube, dass man an dieser Stelle ansetzen kann, d.h. die Erwartungshaltung, abgelehnt zu werden abzubauen und sich vor Augen zu führen, in dieser Gesellschaft einen Wert zu haben.
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