Atomkraft in Deutschland

vom 19.09.2010, 16:01 Uhr

Nach einer Diskussion über Atomkraft in Deutschland, die ich gerade mit meinem Vater geführt habe, stellen sich mir mehrere Fragen. Die Diskussion ist aufgekommen da letztes Wochenende über 50.000 in Berlin demonstriert, das Motto war ,,Atomkraft, Nein Danke''.

Brauchen wir die Atomkraft in Deutschland? Es ist doch so, dass wir durch die Atomkraft deutlich effizienter Energie gewinnen als durch zum Beispiel ein Kohlekraftwerk oder durch natürliche Energiegewinnung durch Stauseen und Windräder. Können wir es uns leisten zu verzichten? Wäre es überhaupt möglich alle Atomkraftwerke abzuschaffen? Kann Deutschland sich das leisten, also ist das überhaupt wirtschaftlich und logistisch möglich und welche Alternativen gibt es die wirklich realistisch sind?

» Jurze1992 » Beiträge: 180 » Talkpoints: 14,81 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Zunächst einmal sollte man die Rolle der Atomenergie für die Energiegewinnung in Deutschland klären: Ca. 22% des deutschen Stromverbrauchst werden durch Strom aus Atomkraftwerken gedeckt. Beim Primärenergieverbraucht beträgt der Anteil gerade einmal etwas mehr als 11%, weshalb die Frage, ob ein Ausstieg aus der Kernkraft nicht doch möglich ist, ernsthaft gestellt werden sollte.

Kohlen-, Öl- und Gaskraftwerke werden immer effizienter und umweltfreundlicher und sind meines Erachtens auf jeden Fall für die zukünftige Energieversorgung zu berücksichtigen. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung liegt bereits jetzt bei 14,8% und liefert damit schon heute 2/3 des Stromes, den Atomkraftwerke produzieren. Eine weitere Steigerung der Produktion wird folgen und kann, den Aufbau eines intelligenten und modernen Stromnetzes vorausgesetzt, einen noch größeren Anteil an der Stromproduktion übernehmen. Interessant sind aus meiner Sicht jedoch mittelfristig vor allem moderne Braunkohle- und Gaskraftwerke: Insbesondere die Braunkohle bietet den Vorteil, dass sie in Deutschland gewonnen werden kann, was bei Uran im Übrigen nicht der Fall ist.

Ein erheblicher Nachteil der Kernenergie und meines Erachtens der Wichtigste von allen ist in dieser beginnenden Diskussion allerdings noch zu kurz gekommen: Das Haupt-Problem an Kernkraftwerken ist nicht die Sicherheit der Reaktoren, denn die haben wir dank hoher Sicherheitsstandarts weitestgehend im Griff, sondern die Frage der Lagerung der radioaktiven Abfälle. Nicht nur die Brennstäbe, sondern alles, was sich in bestimmten Bereichen des Kraftwerkes befand, vom Besen über den Sicherheitsanzug bis zum Kraftwerk an sich, muss mindestens 1 Million Jahre sicher gelagert werden. Das ist nach dem heutigen Stand der Technik nicht möglich, was man an den Katastrophalen Zuständen der Asse eindrucksvoll sehen kann. Ein Eindlager müsste in der Lage sein, Erdbeben, Eiszeiten, Hitzeperioden und gewaltige tektonische Aktivitäten zu überdauern. Eine sicheres Endlager kann und wird es daher nicht geben.

Sicherlich sind Kohle, Öl und Gas nicht gerade umweltfreundlich, doch da wir die Risiken der Endlagerung der radioaktiven Abfälle nicht kontrollieren können, ist dies meiner Meinung nach eindeutig das deutlich geringere Übel.

Eine Möglichkeit für die Zukunft ist allerdings noch die Kernfusion, bei der radioaktive Abfälle mit einer Halbwertszeit von nur etwas mehr als 100 Jahren entstehen, was durchaus im Rahmen des noch zu kontrollierenden liegt. Sollte es Forschern in einigen Jahrzehnten tatsächlich gelingen, Kernfusionsreaktoren zu bauen, die mehr Energie "produzieren" als sie "verbrauchen" (die Physiker unter uns entschuldigen die Formulierung), wäre das eine gute Alternative. Doch bislang ist das leider noch Zukunftsmusik.

» weeky » Beiträge: 53 » Talkpoints: 28,74 »


Zwar handelt es sich bei der Atomkraft um eine wesentlich effizientere Form der Energieproduktion als alles andere am Markt, man vergisst dabei aber zwei wichtige Faktoren.

1.) Es gibt (noch?) keinen Brennstoffkreislauf in der Atomkraft. Was als sogenannter "fast breeder" beziehungsweise "schnelle Brüter" Reaktor bekannt ist, kann nach heutigem Stand der Technik in keinster Weise für die kommerzielle Anwendung herangezogen werden, schon gar nicht wenn man bedenkt wie gefährlich diese Reaktoren sind und wieviele in der Vergangenheit geschlossen wurden. Dazu kommt noch, dass der Uranpreis in den nächsten Jahrzehnten ständig steigen wird. Studien vermuten, dass das momentan verbrauchte Uran noch etwa 50 Jahre unter halbwegs akzeptablen Kosten bei gleich bleibendem Verbrauch gewonnen werden kann, danach würde sowohl der Abbau signifikant teurer werden (alternative Besorgungsmethoden) als auch die benötigte Kapazität nicht mehr erreicht werden. All das deutet auf stetige Preiserhöhungen am Markt hin, die natürlich direkt dem Kunden übergeben werden.

2.) Die Endlagerung von Atommüll ist sehr, sehr teuer ... aber erst auf den zweiten und dritten Blick. Leider ist es in Deutschland so, dass sich der Staat von den AKW-Betreibern regelrecht ausnehmen hat lassen während für die Betreiber jedes Jahr Milliardengewinne möglich wurden. Diese Unternehmen konnten ihren verseuchten Müll früher sogar kostenlos an den Staat verscherbeln und seit 1976 zahlten sie dafür weniger als 2 Millionen Euro. Im Vergleich dazu musste der Steuerzahler seither 2-4 Milliarden Euro (!) beitragen. Diese Zahlen beziehen sich auf das "Forschungsberkwerk" Asse, wo angeblich zu versuchszwecken Atommüll eingelagert wurde. Eine Rechnung mit ähnlichem Ausmaß kommt übrigens auch auf Morsleben zu, wenn man vom schlimmsten Fall ausgeht. In der Praxis bedeutet die Herangehensweise der Regierung jedenfalls, dass die AKW-Betreiber ihren Atommüll für Millionenbeträge an den Staat verkaufen können, welcher dann die Lagerung für die Ewigkeit sicherstellen muss. Alleine durch tektonische Aktivität ist in den nächsten Jahrzehnten mit zehn- und hundertfachen Kosten für den Steuerzahler zu rechnen.

Tatsächlich bietet Atomstrom aber auch einen Vorteil, denn zu Spitzenzeiten kann dieser alle Notwendigkeiten abdecken, während Wind- und Solarenergie selbst nach einem massiven Ausbau den Netzbedarf alleine möglicherweise nicht decken könnten. Der Umgang mit Stromspitzen ist die eine Hürde, die von erneuerbaren Energien noch überwindet werden muss. Sollte das einmal geschafft sein, lässt sich auch eine Zukunft ohne Atomstrom vorstellen. Weil erneuerbare Energien über kurz oder lang aber auch fossile Brennstoffe ersetzen müssen, ist eine technische Weiterentwicklung geradezu notwendig und ich bin zuversichtlich, dass man das Ziel auch irgendwann erreichen kann.

Was die tatsächlichen Kosten der Stromproduktion betrifft - und damit sind auch alle Folgekosten eingerechnet - so werden erneuerbare Energien (dank technischem Fortschritt zu höherer Effizienz) stetig günstiger während Atomstrom sehr lange Nachwirkungen hat und wenn auch in 100 oder 1000 Jahren keine permanente Lösung für die Lagerung von Atommüll gefunden wurde, wird der heute produzierte Strom nicht mehr doppelt oder dreifach so teuer sein sondern vielleicht zehn- oder hundertfach.

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» Reaper » Beiträge: 576 » Talkpoints: 1,11 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Deutschland braucht keinen Atomstrom!

1.) Deutschland ist Stromexporteur: leider behaupten die vier Großen (EnBW, Vattenfall, E.On und RWE) immer wieder, dass wir dann zum Stromimporteur würden und unsere Unabhängigkeit verlieren würden. Die Aussage ist nicht nur falsch, sondern es wird dabei komplett vergessen, dass wir auch jetzt schon Energieimporteur sind. Und zwar weit mehr, als wir das bei einer 100-prozentigen Versorgung mit Ökostrom wären. Wir wandeln nämlich nur die importierte Energie selber um, Kohle und Atom kommen aber fast komplett aus dem Ausland. Und gerade Steinkohle aus Ländern wie Rusland oder Südafrika. Zudem exportiert Deutschland aktuell durchschnittlich die Leistung von 8 Atomkraftwerken, nimmt man dann noch die zwei bis Reaktoren dazu, die nicht am Netz sind, dann bleiben maximal 5 übrig, die Strom für Deutschland liefern. Und das wäre leicht zu ersetzen.

2.) Die Kosten für Atomstrom sind einseitig berechnet: allein Grüßabnehmer und die Betreiber rpofitieren davon. Gerade auch hier gilt, dass der Strompreis zwar an der Leipziger Strombörse gemacht wird, aber davon betroffen sind vor allem in Spitzenzeiten Gaskraftwerke, die zugeschaltet werden müssen. Steigt der Strompreis, dann ist zusätzlicher Atomstrom besonders teuer zu verkaufen und die Gewinne steigen, sinkende Strompreise bringt dieses System aber nicht.

3.) Endlagerung: das bezahlen komplett die Steuerzahler. Und allein mit diesen Kosten könnte man Deutschland auf 100 Prozent Ökostrom umstellen. Dies hätte auch den Vorteil, die besonders schädliche Kohle gleich mit abzustellen.Zudem ist der positive Effekt auf den Arbeitsmarkt jetzt schon so enorm, dass bei einem beschleunigten Umbau mit weiteren 300.000 Jobs zu rechnen ist.

Das waren nur einige Gründe für die Abschaltung der Atomkraftwerke. Also ich seh wirklich keinen Grund, warum die Laufzeiten verlängert werden sollten. Ausser Zusatzgewinne für die großen Vier.

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» betty » Beiträge: 1460 » Talkpoints: 0,13 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Hallo!

Ich finde es interessant, was die Bundesregierung da gerade vorhat. Ich denke wir sollten das dreimonatige Moratorium abwarten, denn danach werden wir schlauer sein welche Richtung die Koalition nach dem doch recht überraschenden Stopp der Laufzeitverlängerung nach dem immer noch brisanten Unfall in Fokushima I einschlagen wird. Aber die ältesten drei Atommeiler sollen oder sind auch schon vom Netz gehen/gegangen.

Ich denke persönlich auch nicht, dass Atomstrom zukunftssicher ist. Auch durch die steigende Gefahr von Terroranschlägen oder ähnlichem. Jedoch geht es einfach nicht alle 17 deutschen Atomkraftwerke von heute auf morgen vom Netz zu nehmen. Dabei würden nämlich wirklich Engpässe entstehen, die wir dann durch Atomstrom aus Frankreich ausgleichen müssten. Und deren Kernkraftwerke sind nochmal unsicherer als unsere.

Ich finde auch, dass es nichts bringt, wenn mal wieder Deutschland alleine davon marschiert und kein anderes Land mitzieht. Weil einen wirklichen Erfolg ist durch solch einen Alleingang auch nicht gerade abzusehen. Wir müssen jetzt den Ausbau an alternativen Energiequellen kontinuierlich weiter ausbauen. Wenn man auf die geplanten offshore-Windparks in der Nordsee und Ostsee schaut sieht man ja auch, dass hier einiges passiert. Und wenn wir dann genügend erneuerbare Energiequellen besitzen können wir ein Kernkraftwerk nach dem anderen vom Netz nehmen. Wobei man auch bedenken sollte, dass ein Kernkraftwerk nach der eigentlich Ausschaltung noch lange nicht "aus" ist. Bis alles ausgekühlt ist dauert es Jahre und dann muss man es auch noch Schritt für Schritt zurück bauen. Von der Lagerung des Atommülls ganz zu schweigen.

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» Porsche » Beiträge: 190 » Talkpoints: -0,13 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Der Atomstrom ist in der Erzeugung eine sehr kostengünstige Variante der Energiegewinnung. Deshalb ist er ja auch bis zu den tragischen Ereignissen in Japan so beliebt gewesen. Auch wenn unsere Politiker stets beteuert haben, dass doch alles ja so sicher sei und absolut nichts passieren könne, so sehen wir doch, dass die Realität andere Welten zeigt. Die Natur wird uns immer überlegen sein - und wir müssen uns diesen Gewalten beugen. Daher ist die Existenz von nur einem Atomkraftwerk der reine Selbstmord. Doch leider wird es auch nichts bringen, wenn in Deutschland alle Atommkraftwerke abgeschaltet werden. Denn unser Nachbarland Frankreich wird dementsprechend aufrüsten, sodass wir im Falle eines Terrorangriffs beispielsweise mit betroffen sein würden.

Wir brauchen diesen Atomstrom nicht, weil unsere erneuerbaren Energien für den derzeitigen Bedarf ausreichen. Und auch wenn ich zugeben muss, dass mich die Idee der Kernfusion begeistert, weil in diesem Prozess keine Schadstoffe als resultierende Produkte entstehen und riesige Mengen an Energie entstehen - Ich glaube, dass wir umso mehr Energie verschwenden, je mehr Energie wir versuchen zu gewinnen. Wenn in 50 Jahren viele Rohstoffquellen als Energielieferanten zu Ende gehen, dann wird sich unsere fortgeschrittene westliche Welt ohnehin etwas einfallen lassen müssen - und wenn es autarke Selbstversorgungshäuser sind.

» derpianist93 » Beiträge: 112 » Talkpoints: 0,76 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Ich denke im Moment können wir uns noch nicht komplett ohne Atomkraft über Wasser halten. Aber den Weg, den die Bundesregierung einschlägt , führt schon mal in die richtige Richtung.

Natürlich begrüße ich es, wenn man den kompletten Ausstieg aus der Atomkraft irgendwann schafft. Aber überschnell sollte man auch nicht handeln. Denn wenn wir jetzt alle Atomkraftwerke sofort abschalten, können wir schlicht und einfach unseren Energiebedarf nicht mehr decken. Dies hätte zur Folge, dass Strom aus dem Ausland gekauft werden muss und der Strompreis schon wieder enorm steigen wird!

Aber was bringt es mir, wenn in Deutschland alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden und direkt an der französischen Grenze steht dann ein französisches Kernkraftwerk? Ich würde es sehr begrüßen, wenn man eine europaweite Regelung finden würde, dass in naher Zukunft ganz Europa Kernkraftwerk frei ist.

» Verdion1337 » Beiträge: 763 » Talkpoints: 7,05 » Auszeichnung für 500 Beiträge



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