Arbeitet jemand in der psychiatrischen Pflege?

vom 18.09.2010, 00:54 Uhr

Ich mache zurzeit eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Welche Richtung, dass ganze für mich nehmen soll, habe ich auch relativ durchgeplant. Die psychiatrische Pflege als Weiterbildungsmöglichkeit reizt mich sehr. Noch ist es zwar ungewiss, ob es zu hundert Prozent das richtige für mich wäre, aber spätestens nach den Praktika in der Psychatrie wüsste ich bescheid. Schon jetzt ist klar, dass es von den Themenfächern am meisten meinen Interessen entspricht.

Eine Weiterbildung zur psychiatrischen Pflege beansprucht zwei Jahre, und mehrere Theoriestunden/ Praxisstunden. Davor benötige ich ein Jahr Berufserfahrung, die ich schon während meinem Bachelorstudiengang s erlangen würde - dort kann ich mich auf zwei Bereiche spezialisieren, u.a. die psychiatrische Pflege. Es gibt die Möglichkeit im Ausland in dieser Zeit Erfahrungen zu sammeln.

Meine Fragen an alle, die Erfahrungen mit der psychiatrischen Pflege haben:

- Sind die Unterschiede zur Gesundheits- und Krankenpflegerin groß?
- Sind besondere Vorraussetzungen zu beachten?
- Ist diese Weiterbildung sehr begehrt?
- Ist die Belastung größer?
- Besteht ein größeres Verletzungsrisiko?
- Was für Patienten trifft man genau in der Psychatrie?
- Was macht euch Freude an der Arbeit?
- Was macht weniger Freude an der Arbeit?

Ich bin dankbar, für alle hilfreichen Erfahrungen!

» JeanSmith » Beiträge: 422 » Talkpoints: 4,88 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Also ich lerne auch Gesundheits- und Krankenpflegerin, habe aber davor schon mal im psychatrischen und im geistig Behindertenbereich gearbeitet. Es kommt auf jeden Fall auch auf die Einrichtung an, in der du dann mal arbeitest. Es werden ja auch viele Heilerziehungspfleger und Ergotherapeuten eingesetzt. In größeren Einrichtungen wirst du wahrscheinlich mehr nur waschen, spritzen, Medikamente verabreichen, etc. als wenn du in einer kleineren Einrichtung bist.

Dort musst du sicherlich auch mal an Spielen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten beteiligt sein. Das musst du einfach vor Ort erfragen, was man von dir dann verlangt. In meiner Einrichtung war es schon so, dass Krankenschwestern vorwiegend den reinen pflegerischen Teil übernommen haben und solche Leute wie Heilerziehungspfleger dann eben den pädagogischen, betreuerischen Teil.

Aber es kann dich auch so treffen - ich weiß ja nicht genau wie die Ausbildung (Weiterbildung) sein wird, dass du dich schon auch auf Pädagogik einstellen musst und Medizinisches nur 50% deiner Arbeit betreffen wird, in manchen Einrichtungen wahrscheinlich noch weniger, kommt auch darauf an, ob du nun in der Psychatrie (und auf welcher Station) oder ob du zum Beispiel in einem Behindertenwohnheim arbeiten wirst. Viele Gespräche gehören natürlich auch dazu! Die Ausbildung ist immer das Eine, der individuelle Praxiseinsatz dann das andere, aber das wirst du bei deiner jetzigen Ausbildung ja schon gemerkt haben. :wink:

Der Unterschied liegt natürlich vorwiegend bei den Patienten/ Bewohnern. Pflege reicht da allein nicht aus, man muss die Krankheitsbilder und Persönlichkeiten verstehen können. Das bedarf besonderen Fingerspitzengefühls und du wirst somit auch vor andere Probleme gestellt, als wenn du einem "normalen Erwachsenen" "nur" eine Spritze setzt. Patienten im Krankenhaus sind mitunter wie Kunden, wie Klienten, aber die Leute, die du in der Psychatrie oder im Behindertenwohnheim vorfindest, die brauchen mehr als nur eine Dienstleistung.

Voraussetzung ist natürlich, dass dir diese Arbeit liegt. Nicht jeder kann das, was nicht schlimm ist, aber man muss eben einfach "dafür gemacht sein". Wo wir gleich bei der Belastung sind. Andere Menschen bzw. Krankheiten, andere Belastung. Ich habe es für mich nie als größere Belastung empfunden, es war nur anders. Das hängt aber auch davon ab, wie du das selbst für dich definierst. Manche kommen mit Schizophrenen, Alkoholikern, Demenzkranken, Depressiven und was es nicht alles gibt nicht klar. Die können eben einfach nicht an diesem kleinen Wahnsinn so einfach teilnehmen und so kann man sich natürlich auch nicht in die Leute reinversetzen, was die zweite wichtige Voraussetzung ist. Ich denke, man muss selbst auf jeden Fall ein gewisses Maß an Sensibilität mitbringen. Man heilt bzw. lindert das Krankheitsausmaß der Leute nicht durch Animation, sondern durch Empathie. Das ist ganz wichtig.

Verletzungsrisiko hast du auch immer. Auch als Krankenschwester kannst du dich mit MRSA anstecken oder dich an einer Spritze verletzen, was mitunter auch keine schönen Auswirkungen hat. Im psychatrischen Bereich musst du eben schon mal damit rechnen, dass man dir eine knallt oder dir was hinterherwirft oder dich beleidigt. Manchmal muss man das aushalten. Vieles hängt dann aber auch wieder von deiner Empathie ab. Wenn sich die Leute unverstanden fühlen, ist es klar, dass manche wütend werden. Fingerspitzengefühl ist das A und O in diesem Bereich, was zwar auch in der Krankenpflege meiner Ansicht nach notwendig ist, aber es schnappt dir dort nicht wieder so ran, wenn du es nicht hast wie im psychatrischen Bereich.

Ja und zu den Patienten habe ich ja schon einiges gesagt. Du triffst dort ganz viele verschiedene Leute, was auch wieder davon abhängt, wo du gerade eingesetzt bist. In der Psychatrie ist das manchmal ja noch etwas unterteilter als in einem Wohnheim. Dort sind Depressive, Schizophrene, Alkoholiker, Demenzkranke, Menschen mit frühkindlichem Hirnschaden wahrscheinlich eher weniger in der Psychatrie, mehr im Behindertenwohnheim, Menschen mit Essstörungen, Psychosen - teilweise Neurosen, Ängste, Panikattacken, Zwänge, dipolare Störungen, Traumatisierung, Burnout, Borderline, etc. Es gibt unheimlich viele verschiedene Störungen und Krankheiten. Viele Leute werden dir auch gar nicht als auffallen "verrückt" erscheinen, das sind eben oft Leute wie du und ich mit irgendeiner Krankheit.

Mir hat immer sehr viel Spaß gemacht, dass man diese Leute nicht so leicht durchschauen konnte, dass es Arbeit macht, wenn man an sie rankommen möchte. Und weil es eben so viel Arbeit macht, freut man sich ganz besonders über jeden kleinen Erfolg. Ich habe mich immer sehr beschenkt gefühlt, wenn ich es endlich geschafft hatte, dass jemand gerne in meiner Nähe war, mir anfing zu vertrauen, sich mir öffnete, mich anlächelte, wenn er mich sah, etc. Es ist einfach etwas ganz Besonderes, man fühlt sich auch selbst gleich viel wertvoller! Ungeheuer spannend finde ich die Verhaltensmuster.

Ich wollte auch mal Erzieher werden, aber das war mir zu oberflächlich. Das war eher Animation und zu wenig Herausforderung in Sachen Fingerspitzengefühl. Im psychatrischen Bereich bekomme ich aber auch das, was mir am meisten Spaß macht: dieses stille Arbeiten, was jemand, der nicht mit den Krankheitsbildern und dem Beruf vertraut ist, meistens gar nicht verstehen kann und denkt, dass man das so einfach aus der Hand schütteln kann. Wie viel Arbeit da dahintersteckt, begreift der "Outsider" nicht, aber was solls - ich liebe diese Herausforderungen und werde wahrscheinlich auch mal so eine Weiterbildung machen, wenn ich fertig bin. Wobei mich auch das Hospiz sehr interessiert, mal sehen.

Was mir nicht so gefallen hat...ja, eine gute Frage. Eigentlich gefällt mir alles, außer, dass eben nur wenige Leute zu schätzen wissen, was man tut und dass diese Öffentlichkeitsarbeit so schwierig ist. Ich sehe es auch als einen Teil meiner Arbeit an, dass man der Öffentlichkeit begreiflich machen muss, dass Psychatrie nicht Klapsmühle bedeutet und dass das wunderbare Menschen sind, die man dort und in Behindertenheimen, Sozialastationen, Altersheimen, etc. trifft! Ich rede mir hauptsächlich in meiner Freizeit den Mund fusslig, um der Aufklärung nachzukommen, aber nur selten trägt das richtige, dauerhafte Früchte. Das ist das, was mir nicht gefällt. Aber das ist eben das gesellschaftliche Problem, was man bei dieser Arbeit immer im Nacken mit sich tragen muss. Man liebt ja seine Arbeit auch - also ich liebe diese Arbeit (auch wenn ich sie gerade nicht hauptberuflich ausführe, aber das kommt noch/ wieder) und da tut einem das schon weh, was in der Gesellschaft so geredet bzw. nicht geredet wird.

» Mandragora » Beiträge: 1763 » Talkpoints: 0,49 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ich kann dir einen Teil deiner Fragen aus Sicht einer Psychiatriepatientin beantworten. Und vielleicht auch rüber bringen, was man als Patienten vielleicht erwarten oder eher erhoffen würde.

- Sind die Unterschiede zur Gesundheits- und Krankenpflegerin groß?

In der Regel wesentlich weniger Aufwand bei der körperlichen Pflege. Zumindest was die offenen Stationen betrifft. Dort gibt es hauptsächlich Patienten die sich selbst versorgen können und das wird auch erwartet. Und bei manchen Pflegern klingt es auch raus, dass sie lieber in der Psychiatrie arbeiten, weil der körperliche Aufwand weniger ist. Der pflegerische allerdings auch. Und bei uns ist es zum Teil so, dass die Pflege mit Menschen die körperlich betreut werden müssen, also Windeln wechseln etc. überfordert zu sein scheinen. Weil es halt auch die Ausnahme ist.

Die Pflege gibt an sich grob gesagt nur Medikamente aus und das war es im groben. Ansonsten kommt es auf die Pflege an sich an. Bei uns im Haus ist es so, dass mit Bezugspflege gearbeitet wird. Sprich die Pflege übernimmt einen Großteil der therapeutischen Arbeit. Was ein zweischneidiges Schwert ist. Jedem Patienten ist quasi ein Bezugspfleger zugeteilt. Mit dem man dann auch regelmäßig Gespräche hat und an den man sich an sich mit Probleme oder wenn es einem nicht gut geht wenden kann. Leider fehlt den meisten dazu aber einfach die Ausbildung. Ich muss aber dazu sagen, die Pflege bei uns hat in den seltensten Fällen die Zusatzausbildung.

Je nach Patienten müssen die auch mal zu Therapien gebracht und wieder geholt werden. Essen und so was- das machen die Patienten zum Großteil selbst. Hier wird alles in Buffettform angeboten und das richten wie gesagt zum Großteil die Patienten.

Außerdem gibt es halt noch tägliche Gesprächsrunden, hier Morgen- und Abendrunden, bei denen die Pflege anwesend ist. Da geht es generell um das Befinden der Patienten. Was natürlich auch dokumentiert werden sollte. Hauptteil der Arbeit in der psychiatrischen Pflege scheint dokumentieren zu sein. Und Medikamente ausgeben. Und je nach Pfleger Kontrollfunktionen. Leider sitzt die Pflege immer am längeren Hebel. Und es gibt Pfleger die das auch bewusst ausnutzen.

- Sind besondere Vorraussetzungen zu beachten?
- Ist die Belastung größer?
- Besteht ein größeres Verletzungsrisiko?

Menschlichkeit finde ich ganz wichtig. Ich kenne zwei Pfleger die vorher mal irgendwas bei der Bundeswehr gemacht haben und mit uns Patienten auch im Kasernenton sprechen. Ich kann damit gar nicht umgehen und weiß, dass es auch anderen Patienten so geht.

Die Belastung ist nicht ohne. Da den richtigen Abstand zu finden, ist sicherlich manchmal schwer. Wem eh schon Kleinigkeiten nahe gehen, wird wahrscheinlich sehr belastet sein. Und die Geschichten die Psychiatriepatienten erzählen können, sind nicht ohne.

Man sollte sich auch bewusst sein, dass Patienten in dem Bereich nicht unbedingt persönlich was gegen einen haben. Sprich es gibt Sachen die sollte man nicht persönlich nehmen. Auf der anderen Seite, sollte man halt auch zu sehen, den richtigen Umgang zu finden. Ich für mich empfand es mal als ganz schlimm, als ein Pfleger enorme Probleme damit hatte, als sich eine Mitpatient selbst verletzt hatte. Das gehört aber zum Krankheitsbild und hatte in dem Fall auch nichts mit dem Pfleger zu tun. Der sprach daraufhin mit der Mitpatient kein Wort mehr, sah sie bitterböse an und drohte mir Verlegung auf die Geschlossene. Was in dem Fall und der Situation vor allem unangebracht war. Sprich so was kann vorkommen. Aber damit muss man auch umgehen können.

Verletzungsrisiko besteht überall. Eine Junkie mit einer Nadel im Schuh kann auch auf eine andere Station kommen. Nur als Beispiel. Und Psychiatriepatienten sind auch nicht automatisch gewalttätiger als andere Patienten. Wobei hier das Sicherheitsnetz für die Angestellten sehr hoch ist.

- Was für Patienten trifft man genau in der Psychatrie?

Kommt darauf an, was für einen Schwerpunkt die Stationen haben. Hier wird an sich gemischt behandelt, wobei eine Station an sich Sucht macht. Aber wenn dort kein Platz ist, werden die Betroffenen auch auf die anderen Stationen verteilt.

Manche Kliniken habe noch geriatrische Stationen. Die gibt es hier leider nicht. Wir haben zwar wenig dieser Fälle hier, aber es ist für den ganzen Stationsablauf nicht immer einfach, auch für die Patienten nicht, wenn geriatrische Fälle dabei sind. Und es erhöht natürlich auch den Pflegeaufwand. Wobei der Personalschlüssel halt nicht erhöht wird, sondern die anderen Patienten dann halt zurück stecken müssen.

Manche Kliniken haben auch Borderline- Stationen. Wenn du in die Richtung willst, wird dir eine reine Fortbildung zur Fachpflege wahrscheinlich nicht reichen. Da gibt es dann noch spezielle Fortbildungen, zu denen ich jedem in dem Bereich nur raten kann. Als ich das erste Mal in einer Klinik war, allerdings nur einer Tagesklinik, war ich die erste Borderline- Patientin. Man stellte die Diagnose dort, aber jeder war überfordert. Wir sind alle, sowohl das Team wie auch ich, frustriert aus der Sache raus. Auf Grund dessen durfte das Team dann eine DBT- Weiterbildung machen, die mir leider nichts mehr brachte.

Und man sollte als Pfleger in dem Bereich auch generell ein wenig sensibel mit seinem Privatleben umgehen. Ich empfand es schockierend, als ich die Seite eines Pflegers in einem Netzwerk sah, auf dem sämtliche Alkoholexzesse in einer reichlichen Bilderauswahl zu sehen waren. Ach ja ein Pfleger der unter Anderem viel mit Suchtkranken zu tun hat. Und noch schockierter war ich, als ich las, dass er uns Patienten ja quasi für Abschaum hält und wie er sich öffentlich im Blog darüber ausließ, wie mies er in dem Moment seine Arbeit fand. Ich selbst saß genau zu dem Zeitpunkt seit Stunden heulend irgendwo auf der Station, wusste weder ein noch aus und keiner kümmerte sich um mich.

Psychiatrische Patienten sieht man ihr Leiden nicht an. Wer sagt, stell dich nicht so an, ist hier fehl am Platz. Denn vieles hat einfach nichts damit zu tun, dass man sich anstellt.

Ich für mich würde mir wünschen, dass die Pflege besser ausgebildet wäre. Ich erinnere mich mit Grauen an Bezugspfleger, die gerade mit der Ausbildung fertig waren und mit mir als Patientin überfordert waren, wenn ich heulend vor ihnen stand. Andere Pfleger/ Schwestern konnten das zeitweise mit Verständnis etc. wett machen. Aber das schaffen die wenigsten. Vor allem wenn ein lachender Mensch vor einem steht, bei dem man sich fragt, warum er in einer Klinik ist.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



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