Umgang mit körperlich eingeschränkten Menschen
Auf diese Thematik bin ich gekommen, weil ich damit momentan tagtäglich konfrontiert werde. Bei mir in der Schule gibt es einen Kollegen, der an MS leidet und inzwischen am Stock geht. Dadurch ist er natürlich in mancherlei Hinsicht eingeschränkt und ich weiß nicht immer so recht, wie ich damit umgehen soll. Wenn sich die Gelegenheit ergibt hält ihm natürlich jeder die schweren Schwingtüren auf, geht man mit ihm, passt man den eigenen Schritt seinem Tempo an, das zwangsweise etwas langsamer ist. Außerdem hat er einen eigenen Klassenraum im Erdgeschoss wohin die Kinder zum Unterricht kommen, da weite Strecken für ihn sehr anstrengend sind und Treppen steigen praktisch unmöglich ist.
Das funktioniert auch soweit ganz gut, aber trotzdem bin ich manchmal etwas verunsichert. Denn zum einen benötigt der Mann in einigen Belangen ganz objektiv Unterstützung, das ist nun mal ganz einfach so und dessen ist er sich auch bewußt und geht sehr offen und selbstverständlich damit um. Zum anderen frage ich mich aber manchmal, wo man die Grenze zieht, um seinen Stolz nicht zu verletzen.
Bei uns an der Uni hatten wir einen Komilitonen mit tetraspastischer Lähmung, der schon auf einfache Höflichkeitsgesten, wie das Aufhalten der Türe oder das Aufheben eines herunter gefallenen Stiftes (was man im besten Fall ja auch für völlig gesunde Leute tut) extrem aggressiv reagierte. Ich selbst hatte keine Veranstaltungen mit ihm, aber für dieses Gekeife, das er regelmäßig in der Mensa oder im Hauptgebäude vom Stapel ließ, war er recht bekannt. Diesem Menschen wollte nachher niemand mehr bei irgendetwas helfen, weil man immer mit einem Wutausbruch rechnen musste. Und irgendwo kann ich ihn sogar verstehen, denn es ist sicher ein dummes Gefühl, wenn einen jeder sofort für unselbstständig und hilfsbedürftig hält.
Andererseits fände ich es eben unhöflich meinem Kollegen seinen Hefter nicht aufzuheben oder ihm nicht die Tür zu halten. Klar, das mache ich auch bei anderen Kollegen, aber in diesem Fall fände ich es eben noch unangenehmer, weil ich weiß, dass ihm diese Dinge schwerer fallen als anderen. Aber wie gesagt, ich bin manchmal nicht so ganz sicher, wo die Hilfsbereitschaft aufhört und das gönnerhafte Betüdeln beginnt.
Wie geht ihr mit solchen Situationen um? Entscheidet ihr jeweils nach Gefühl, sprecht ihr das Problem offen an oder wie verhaltet ihr euch?
Mir geht es ebenso wie dir. Wenn ich mit jemandem konfrontiert bin, der offensichtlich körperlich eingeschränkt ist, komme ich mir oft ziemlich unbeholfen und ungeschickt vor, da ich oft nicht sicher bin, wie ich mit demjenigen umgehen soll, wenn offensichtlich ist, dass er wirklich Hilfe gebrauchen könnte - zumindest aus meiner Sicht. Ob sich diese Sichtweise dann auch unbedingt mit dem Empfinden des Betroffenen deckt, ist eine andere Sache.
Ich versuche, diese Leute ebenso zu behandeln wie einen körperlich gesunden Menschen. Dennoch kann es immer wieder zu Situationen kommen, in denen ich nicht sicher bin, ob ich mich richtig verhalte. Hinzu kommt noch die individuelle Erfahrung, die der betroffene Mensch mit der körperlichen Einschränkung gemacht hat. Wenn diese bislang nicht allzu gut waren und er sich immer wieder nicht ernst genommen gefühlt hat, kann sich auch eine extreme Sichtweise entwickeln, so wie das bei deinem Kommilitonen offensichtlich der Fall war. Es ist ja eigentlich ein ganz normaler, höflicher Akt, wenn man für jemanden etwas aufhebt. Wenn man gerade näher an dem heruntergefallenen Gegenstand ist, ist es doch normal, dass man sich dann auch bückt. Jemand, der aber ohnehin schon ein bisschen sensibilisiert ist und regelrecht auf der Lauer liegt, um hinter jeder Freundlichkeit direkt eine Diskriminierung zu wittern, würde dieses Verhalten aber wohl schon als überflüssig und bevormundend ansieht.
Jeder Mensch ist anders und auch jeder Behinderte geht anders mit seiner Behinderung um. Daher sollte man versuchen, sich in jeder Situation dieser Art neu auf den entsprechenden Menschen einzustellen. Ein offenes Gespräch kann hierbei auch Klarheit bringen, allerdings gibt es auch in diesem Fall sicher einige Kandidaten, die ein solches Gespräch an sich schon als diskriminierend einstufen würden. Dabei müssten diejenigen aber auch ehrlich einräumen, dass die Situation wirklich ein wenig anders ist und dass sie für denjenigen, der vollkommen gesund ist, immer auch eine Ausnahmesituation darstellt. Das ist ein ebenso großes Problem wie dieses gönnerhafte und unangenehme Bevormunden.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich auch körperlich beeinträchtigte Menschen fast wie gesunde Menschen behandele. Natürlich brauchen diese Leute in manchen Situationen ein gewisses Maß an Unterstützung, aber ich habe auch bemerkt, dass die Wenigsten anders behandelt werden wollen, als Gesunde.
Das liegt jedoch vielleicht auch daran, dass ich den Umgang mit geistig und körperlich beeinträchtigten gewohnt bin. Ich habe freiwillig in einem Behindertenheim gearbeitet, habe eine schwerst beeinträchtigte Schwester und habe auch einige Zeit in einem integrativen Kindergarten ausgeholfen. Ich lebe in der Nähe des Blindenheims und unterhalte mich auch ab und zu mit dem Personal dort und diese haben mir auch bestätigt, dass die Bewohner an sich auch ihre Selbstständigkeit soweit wie möglich bewahren, bis auf einige Ausnahmen.
In diesen Einrichtungen habe ich auch gelernt, dass die Kinder und Erwachsene zum Großteil "normal" behandelt werden möchten und meistens nur Hilfe annehmen, wenn ihre Fähigkeiten an ihre Grenzen gehen.
Wenn man sich jedoch im Umgang mit einem beeinträchtigten Menschen unsicher ist, dann sollte man vorsichtig nachfragen. Die Wenigsten an sich reagieren auf eine solche Frage ungehalten, weil sie auch wissen, dass das Umfeld oft nicht um den Umgang mit der Beeinträchtigung weiß.
Natürlich gibt es auch misstrauischere Menschen, aber die habe ich auch recht selten angetroffen. Die meisten werden im Umgang mit ihrer Behinderung sensibilisiert und können auch super damit umgehen.
Je natürlicher du deinen Kollegen behandelst, desto einfacher wird der Umgang sein. Denn Menschen mit körperlichen Beinträchtigungen wollen nicht übervorsichtig behandelt werden. Und wenn ihm deine Hilfe zu weit geht, wird er dir das schon sagen.
Denn wie du selbst schreibst, geht er mit seinem Problem und das er auf Hilfe angewiesen ist, sehr offen um. Und damit kann man davon ausgehen, das dein Kollege eben auch sagt, wenn man ihm zu viel Hilfe zu teil werden lässt.
Seit einem blöden Unfall bin ich derzeit auch körperlich beim laufen einigermaßen eingeschränkt, derzeit brauch ich draußen Krücken, vorher war es ein Rollator (der aufgrund der Witterungsverhältnisse erstmal eingemottet ist). Und ich bin jedesmal wieder hoch erstaunt, wie zuvorkommend die Leute sein können, wenn man mit Krücken dahergehumpelt kommt.
Natürlich ist es nett und oft auch leichter wenn man bei verschiedenen Dingen Hilfe bekommt, wie beim aufhalten von schweren Türen, aber: Leute, dann haltet doch bitte auch hin und wieder mal die Tür auf, wenn normale Leute hinter euch durchgehen. Einfach weil sie ein paar Tüten tragen. Oder vielleicht etwas klapprig aussehen. Oder es einfach nett ist.
Im Normalfall kann man sagen: Die meisten Leute die Hilfe brauchen sagen das auch recht deutlich wenn es soweit ist. Oder stehen derart offensichtlich hilflos in der Gegend rum, das man selbst nachfragt. Solange man dabei freundlich rüberkommt, wird das ganze für gewöhnlich auch als freundliche Geste verstanden werden und ebenso erwidert werden.
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