Cranio Sacral Therapie bei Neurodermitis

vom 19.07.2010, 18:07 Uhr

Mein Sohn hat schwere Neurodermitis und bis jetzt haben wir noch nicht wirklich eine Hilfe für ihn gefunden. Im Juni waren wir für 3 Wochen auf Gran Canaria. Dort ging es ihm nach anfänglichen Schwierigkeiten dann erheblich besser, aber seitdem wir wieder zu Hause sind, geht es mit seinem Hautbild wieder rapide bergab und es ist jetzt nach 2 Wochen wieder beinahe so wie vorher. Er hat auch wieder massive Schlafprobleme wegen dem starken Juckreiz und so wacht er wieder wie vor dem Urlaub in etwa alle 30 bis 45 Minuten auf. Die letzte Nacht war wieder sehr schlimm, da hat er insgesammt vielleicht 1,5 Stunden geschlafen. Wie es seiner Haut heute geht, brauche ich dann wohl nicht mehr im Detail schildern. :(

Beim Einkaufen wurden wir heute von einer sehr sympatisch wirkenden Dame angesprochen. Sie ist offensichtlich Cranio-Sacral und Shiatsu Therapeutin und hat mir ihre Hilfe vorgeschlagen. Sie würde sogar zu mir nach Hause kommen und pro Sitzung 40 Euro verlangen, was mir jetzt nicht übermäßig viel vorkommt.

Hat jemand mit dieser Therapie bereits Erfahrung gesammelt? Wie läuft so eine Sitzung ab, was bewirkt sie? Woran kann man einen guten Cranio-Sacral-Therapeuten erkennen? Auf was sollte man achten? Wie hoch sind in der Regel die Durchschnittskosten? Ich halte normalerweise ja nicht besonders viel von Versprechungen mir unbekannter Personen, aber diese Dame wirkte wirklich sympathisch und soweit man das einfach nur durch den äußeren Eindruck überhaupt feststellen kann, kompetent und es war ihr glaube ich wirklich ein Herzensanliegen, meinem Sohn helfen zu wollen.

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» tournesol » Beiträge: 7760 » Talkpoints: 69,99 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Hallo tournesol,

es mag ja sein, dass die Dame von der Wirksamkeit ihrer Therapie überzeugt ist und auch das nötige Talent hat, diesen Eindruck glaubwürdig zu vermitteln und ich bezweifle auch nicht, dass sie den aufrichtigen Wunsch hat, helfen zu wollen. Aber Cranio-Sacral-Therapie ist vollkommener Humbug. Entschuldige bitte die krasse Ausdrucksweise, aber in diesem Falle ist sie wirklich angebracht.

Dennoch kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die Therapie einen positiven Effekt haben könnte. Aber dieser Effekt wäre dann auf die Zuwendung der Therapeutin gegenüber deinem Sohn zurückzuführen und nicht auf die Art der Therapie. Aber zunächst zur Therapie selbst:

Ich bin zwar grundsätzlich jemand, der von alternativen Heilverfahren im Allgemeinen wenig hält - eine Ansicht, die ich in dieser Totalität durchaus zu diskutieren bereit bin - und fürchte, dass man diese Meinung auch deutlich in meinen folgenden Ausführungen erkennen wird. Aber im Gegensatz zu traditioneller chinesischer Medizin oder Homöopathie sind die Mechanismen und Annahmen, auf denen Cranio-Sacral-Therapie begründet ist, nicht nur wissenschaftlich vollkommen unhaltbar, sondern auch in sich völlig abstrus. Ich finde, das solltest du der Fairness halber schon wissen.

Die Grundidee ist nämlich diese: Durch rhythmische Massage des Schädels und des Kreuzbeins (das ist der Teil der Wirbelsäule, der sich direkt über dem Becken befindet) soll ein 'Energiefluss' angeregt werden und eventuelle Blockaden des selbigen ertastbar werden und im Folgenden korrigiert werden können. Die Korrektur soll dann alle möglichen Leiden heilen können. Im Falle deines Sohnes also ein Leiden der Haut.

Wenn wir jetzt einmal alle wissenschaftlichen Zweifel schlicht ignorieren, stellen sich mir immer noch eine ganze Reihe von Fragen, die ich selbst unter Zuhilfenahme all meiner kreativen Energie nicht kohärent beantworten kann. Wobei hier die Betonung auf 'kohärent', liegt. Es passt einfach nicht zusammen. Was hat der Schädel mit dem Kreuzbein zu tun? Wie kommt man überhaupt gerade auf das Kreuzbein? Wie kann eine Bewegung an diesen Stellen auf die Haut wirken? Wie genau fühlt sich eine Energieblockade für den Therapeuten an? Woher weiß er, dass er richtig massiert und nicht durch seine Technik alles schlimmer macht? Wo kommt diese Energie her? Warum reagiert diese Energie überhaupt auf Massage? Und warum nur an diesen zwei Stellen?

Bei vielen alternativen Heilmethoden ist es so, dass sie auf den ersten Blick durchaus einleuchten, aber sich wissenschaftlich nicht bestätigen lassen. Das kann man, wenn auch selten glaubhaft, mit den Unzulänglichkeiten der wissenschaftlichen Methoden selbst erklären. Aber in diesem Falle kann ich mir aber wirklich nicht vorstellen, dass jemand, der weiß, was diese Theorie besagt, ernsthaft glaubt, dass sie zutreffen könnte und darauf aufbauende Therapieformen Ergebnisse liefern könnten. Das leuchtet mir alles überhaupt nicht ein, selbst wenn ich die Grundannahmen zunächst akzeptiere. Es ergibt einfach kein nachvollziehbares Ganzes.
Wenn eine solche Therapie wirklich Besserung verschaffen sollte, dann eben, wie bereits erwähnt, durch die Zuwendung durch die Therapeutin. Einen anderen Weg, wie es zu einem positiven Effekt kommen sollte, kann ich mir einfach nicht vorstellen. Aber ich wäre eben auch nicht im Geringsten überrascht, wenn es tatsächlich ein wenig helfen würde. Das ist auch einwandfrei medizinisch erklärbar. Deshalb würde ich persönlich Folgendes Vorgehen vorschlagen:

Ein Großteil des zu erwartenden Effektes ist nicht nur dadurch bedingt, dass dein Sohn sich ernst genommen, verstanden und umsorgt fühlt und glaubt, dass ihm geholfen wird, sondern auch dadurch, dass das nicht durch dich geschieht. Das hat überhaupt nichts mit dir als Person oder deinem Verhalten ihm gegenüber zu tun. Da geht es lediglich um die Tatsache, dass sich neben dir noch jemand um sein Wohlbefinden sorgt, den er auf Grund des Auftretens als glaubwürdig einschätzt. Aus diesem Grunde (und aus diesem allein) würde ich dieser Frau eine Chance geben.

Das scheint zwar zunächst meiner zuvor genannten Einschätzung zu widersprechen, aber meine Beweggründe für diesen Rat sind nicht nur kohärent, sondern auch mit den Fakten vereinbar, die mir bekannt sind. Denn wenn du, wie du in deinem Post geschildert hast, diese Frau als vertrauenswürdig und kompetent erlebt hast, dann besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass dein Sohn das ebenso sieht. Ob das nun daran liegt, dass er eine ähnliche Vorgehensweise hat, mit der er fremde Menschen einschätzt, weil er bei dir aufgewachsen ist, oder daran, dass er einfach (unbewusst) wahrnimmt, dass du so denkst und seine Einschätzung deinem Urteil anpasst, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass es sehr wahrscheinlich ist und – den Informationen zu Folge, die ich habe – die beste Gelegenheit für euch beide ist, das Potential dieser Situation effektiv auszunutzen. Wenn also irgendeine Therapieform, die eben keine belegbare Wirksamkeit hat, bei ihm anschlagen sollte, dann dürfte es diese sein.

Ich gehe natürlich bei all diesen Ausführungen davon aus, dass ihr die schulmedizinischen Mittel bereits ausgereizt habt. Aber da diese bei Neurodermitis leider sehr beschränkt sind, weil man eben immer noch nicht weiß, wie genau diese Krankheit überhaupt zu Stande kommt (sonst würde es ja nicht atopisches Ekzem heißen) und alle zur Verfügung stehenden Therapieformen sehr begrenzte Wirksamkeit zeigen, würde ich im Interesse deines Sohnes wirklich jeden erfolgsversprechenden Weg gehen, der sich präsentiert. Und auch wenn die Therapieform selbst mich in diesem Falle nicht einmal annähernd überzeugt, glaube ich, dass die äußeren Umstände eine mögliche Verbesserung seiner Symptome nahelegen.

Allerdings würde ich direkt bei der ersten Sitzung den Preis neu verhandeln. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass eine Besserung der Symptome, sofern sie sich denn zeigt, nur bei regelmäßigen Anwendungen über einen sehr langen Zeitraum mittel- und/oder langfristig bestehen bleiben kann.

Aber zusammenfassend - auch wenn sich mir dabei die Nackenhaare aufstellen, weil ich einige ernsthafte Bedenken habe, was eine physiologische Wirksamkeit und generelle Glaubwürdigkeit und Seriösität dieser Therapie angeht- würde ich sagen: Go for it.

Sofern du es dir leisten kannst, kann es nur helfen.

Gute Besserung für deinen Sohn.

Aloha,

ka mau

» ka mau » Beiträge: 203 » Talkpoints: 13,21 » Auszeichnung für 100 Beiträge


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