Trümmerliteratur: "Nachts schlafen die Ratten doch"

vom 18.07.2010, 12:52 Uhr

Die Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“ des deutschen Schriftstellers Wolfgang Borchert zählt zu den bekanntesten Beispielen für einen Text der Trümmerliteratur.

Die Erzählung handelt von einem neunjährigen Jungen, der zwischen Schutt, Trümmern und Asche auf jener Stelle harrt, an der sein vierjähriger Bruder durch einen Bombenangriff, der die gesamte Stadt verwüstet hat, gestorben ist. Er fürchtet, dass der Leichnam von den Ratten gefressen werden würde, wenn er nicht jeden Tag und jede Nacht über ihn – bewaffnet mit einem Stock – wachen würde.

Zufällig kommt ein Mann vorbei und gewinnt langsam dessen Vertrauen, schafft es sogar dem Jungen wieder etwas Hoffnung und ein Stück seiner verlorenen Kindheit zurückzugeben. Er trägt einen Korb mit sich und verspricht dem Jungen zu verraten, was sich in diesem befinde, wenn er ihm im Gegenzug sagt, worauf er aufpasse.

Allerdings errät der Junge, dass der Korb Kaninchenfutter enthält, und lehnt auch die Einladung des Mannes ab, diese Kaninchen zu sehen. Als der Mann bereits im Gehen ist, erzählt der Junge, dass er seinen Bruder davor bewahre, von Ratten gefressen zu werden. Daraufhin erklärt ihm der Mann, dass die Ratten nachts schliefen und er folglich nächtens schlafen könne und nicht über seinen verstorbenen Bruder wachen müsse. Anfangs noch zögernd gibt der Junge dem Angebot nach, die Kaninchen des Mannes zu sehen und fasst dann den sicheren Entschluss ein Kaninchen haben zu wollen und wartet auf die Rückkehr des Mannes, der ihm zugesagt hat, dass er ihm eins mitnehme.

Der Fokus dieser Kurzgeschichte befindet sich ausschließlich auf die Opfer des Krieges und das Leid, das ihnen wiederfahren ist. Hierbei werden politische Rahmenbedingungen in den Hintergrund gestellt, auch ist eine präzisere Einordnung des Geschehens – sowohl zeitlich als auch räumlich – nicht möglich. Ein sehr scharfer Kontrast ergibt sich dadurch, dass die Protagonisten nicht näher vorgestellt werden, lediglich einen Namen (Jürgen) erhält der Junge im späteren Verlauf der Erzählung. Die Stadt – oder besser gesagt, die übrig gebliebenen Trümmer – wird vor allem durch Verben personifiziert.

Typisch für eine Kurzgeschichte sind auch der offene Anfang und Schluss. Obgleich in der Er-Form erzählt wird, findet oft ein Wechsel in die Perspektive des Kindes statt. Ein beschreibender oder gar kommentierender Erzähler fehlt, die Geschichte lebt vom Dialog des Jungen und des Mannes.

Im Prinzip beschreibt die Geschichte einen Prozess: den Weg des Jungen, dem es mithilfe des alten Mannes wieder gelingt, in eine Welt der Hoffnung und des Vertrauens, zurückzufinden. Dieser Wandel wird sprachlich illustriert. So merkt man, dass am Anfang der Junge äußerst knapp antwortet, sehr kurze Sätze, wenn nicht gar Satzbrocken, dominieren den Dialog. Gegen Ende werden seine Sätze klarer, strukturierter und der Junge findet sogar die Kraft, dem bereits gehenden Mann nachzurufen. Auch bildlich wird dem alten Mann die Rolle des „Lebensbringers“ zuteil. Der Junge sieht durch die krummen Beine des Mannes hindurch und erheischt so einen Blick auf die Sonne, Sinnbild für alles Leben.

Dennoch ändert sich am Rahmen des Geschehens zu Ende der Geschichte nicht viel. Der Junge ist immer noch von Trümmern umgeben, immer noch am selben Platz. Das am Anfang beschriebene Setting wird wieder aufgegriffen, allerdings mit einem äußerst bedeutenden Unterschied: Die Statik, die erkennen ließ, wie verzweifelt und hoffnungslos der Protagonist gewesen ist, hat sich unübersehbar in eine Dynamik gewandelt.

Auch farblich wird dieser Eindruck untermalt. Während der Mann geht, sieht der Junge kurz das Kaninchenfutter im Korb: „Grünes Kaninchenfutter, das war etwas grau vom Schutt“ - eine unmissverständliche Metapher für die keimende Hoffnung.

» nirandor » Beiträge: 129 » Talkpoints: 1,72 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich habe verschiedene Geschichten von Wolfgang Borchert gelesen, das war so etwa in der achten Klasse. Die mit den Ratten war natürlich auch dabei, außerdem eine, die "Die Küchenuhr" hieß und ich glaube mich außerdem an eine zu erinnern, in er es um Brotrationen ging, die ein älteres Ehepaar teilt.

Im Grunde habe ich es nicht mit großer Literatur, das meiste ödet mich an. Wolfgang Borchert bildet da allerdings eine Ausnahme, der hat mich sogar mit 14 gefesselt. Seine Geschichten habe ich immer gerne gelesen und besprochen, auch wenn ich mich sonst im Deutschunterricht gelangweilt habe.

Ich denke in allen Geschichten geht es genau um das, was du in deinem letzten Absatz angedeutet hast: Um die aufkeimende Hoffnung. Alle sind in der Nachkriegszeit angesiedelt, als die Menschen in Deutschland viel hatten erleiden müssen und von Verzweiflung heimgesucht wurden. Dennoch erscheint für die meisten ein Licht am Ende des Tunnels und sei es noch so klein. Ein Junge, der über all dem Kummer in einem Kaninchen einen neuen Freund findet, ein altes Ehepaar, das trotz des Hungers noch einander hat und miteinander teilt. Zwar wird auch das Unglück der Menschen stets sehr eindeutig, aber es ist eben nicht endgültig. Heinrich Böll sagte in diesem Zusammenhang mal etwas von Leid und Größe des Menschen, die Borchert in seinen Geschichten skizziert. Ich finde, damit hat er es gut getroffen.

» Sorcya » Beiträge: 2904 » Talkpoints: 0,01 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^