Reaktion bei gereizten behinderten Menschen

vom 17.07.2010, 12:27 Uhr

OK, ich habe mich vielleicht ein wenig falsch ausgedrückt. Ich finde im allgemeinen, dass ein erwachsener Mensch einen anderen erwachsenen Menschen nicht unbedingt in der Öffentlichkeit zurechtweisen sollte und wenn dann noch ein blinder Mensch rummeckert oder man merkt, dass dieser sich unwohl fühlt, muss man diesen nicht unbedingt in der Öffentlichkeit zurechtweisen. Das bringt doch auch nichts. Dieser Mensch steigt in den Bus und ich denke nicht, dass er groß drüber nachdenkt. Was habe ich bzw. was hat der gesunde Mensch davon den blinden Menschen anzumeckern?

Ich muss sagen, dass ich mich in dieser Situation ganz einfach zurückgehalten hätte. Wenn ich möchte, dass mit mir freundlich umgegangen wird, dann lasse ich mich nicht reizen und gehe dann mit meinen Mitmenschen so um, wie ich es nicht will. Die gesunde Frau, die die blinde Frau zurechtgewiesen hat, hat doch in dem Moment nicht anders reagiert, wie die blinde Frau, die zuerst gemeckert hat.

Toleranz gegenüber anderen Menschen, egal, ob behindert oder nicht sollte angesagt sein und wenn eben die blinde Frau meckert, muss ich nicht zuückmeckern. Dann halte ich mich zurück.

Benutzeravatar

» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



@LittleSister
So war das von mir nicht gemeint, denn ich wollte damit eine ganz andere These unterstreichen. Klar, keiner wird beispielsweise dich in Schutz nehmen oder sogar andere Regeln aufstellen wegen deiner Krankheit keine Frage. Allerdings sollten wir damit alle Leben können, dass behinderte Menschen auf Grund ihrer Behinderung auch einmal anders reagieren können.

Es tu uns doch nicht weh und wir können es auch für einen gewissen Augenblick akzeptieren. Das ist dann auch wieder schnell vergessen. Man muss auch in jeder Situation die Realität an der Sache sehen. Beispielsweise kann die betreffende Dame an der Nächsten Haltestelle oder am nächsten Tag total anders reagieren. Man kann viele Dinge dem Menschen anerziehen aber es gibt und wird immer wieder neue Situationen geben, die wir noch nicht kennen. Und diese Situationen sind daher für alle neu.

Benutzeravatar

» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


Das ist mir alles bewusst und auch ich gehe mit Menschen die in irgendeiner Form krank sind, anders um als mit "Normalos". Ok ich nehme mir allerdings auch die Freiheit mit Menschen die mir ähnlich sind, anders umzugehen, als es vielleicht "Normalos" tun würden.

Ich wollte eher darauf hinaus, das man auch als kranker Mensch seine Erkrankung nicht ständig als Schutzschild und Erklärung vor sich hertragen kann. Während meiner Borderline- Karriere habe ich genügend "Betroffene" erlebt die ständig sagen: Ich habe Borderline- ich darf das. Und das in allen passenden und vor allem unpassenden Situationen. Irgendwo sind einfach Grenzen.

Und so sehe ich das in vielen Lebenslagen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Wenn die Kinder der Nachbarn durch die Wohnung rasen, denkt man lange: Ach es sind ja Kinder. Man drückt ein Auge zu, weil es ja Kinder sind. Aber irgendwann sagt man dann doch mal: Hört mal zu, es reicht. Und ähnlich sehe ich die beschriebene Situation. Die Frau muss sich ja, so wie es der Threaderöffner darstellt, vorher schon ziemlich daneben benommen haben. Ich glaube mir wäre auch irgendwann der Kragen geplatzt und ich hätte gesagt, das es nun aber mal reicht.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Um der Richtigkeit halber muss man hier allerdings auch die einzelnen Anschauungen der Behinderten in Betracht ziehen. Das habe ich nun gerade nicht gemacht, weil ich eigentlich die Logik an der Sache heraus arbeiten wollte. Wenn jemand nun sagt er dürfe ein solches Verhalten an den Tag legen, weil er behindert ist und so nichts dafür kann, ist es eine reine Einstellungssache.

Das hat allerdings mit den meisten Behinderten nichts zu tun und stützt daher auch keine Aussagen. Jemand der beispielsweise nicht lesen kann, ärgert sich nicht über aufdringliche Werbung oder Gewinnversprechen. Er reagiert daher unter Umständen anders wie jemand der den Inhalt der Werbung lesen kann und auch versteht. Das basiert auf eine gewisse Logik und ist auch nachvollziehbar. Alle anderen Aspekte sind mehr oder weniger nur die Einstellungen einzelner Behinderter zu ihrer persönlichen Behinderung.

Benutzeravatar

» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Ich finde es ehrlich gesagt ziemlich irrelevant, ob sich da ein behinderter oder ein nicht behinderter Mensch daneben benommen hat. So ein Verhalten gehört sich einfach nicht und wenn jemand die derbsten Schimpfwörter in den Mund nimmt dann muss er die ja auch irgendwo her haben und es gewohnt sein sich so auszudrücken, wenn ein verspäteter Bus schon als Anlass ausreicht. So was nenne ich schlicht und einfach schlechte Umgangsformen und dafür gibt es auch keinen Behindertenbonus.

Behinderte Menschen sind vollwertige Mitglieder der Gesellschaft und müssen sich an gewisse Spielregeln halten. Integration bedeutet ja nicht nur Chancengleichheit im Beruf oder Barrierefreiheit im Alltag, sondern setzt auch den Willen zur Integration von ALLEN Seiten voraus. Und dazu gehört für mich eben auch, dass ein behinderter Mensch nicht erwartet, dass sein Fehlverhalten von seiner Umwelt toleriert wird, weil er ja behindert ist und die gesunden Menschen ja so tolerant und verständnisvoll sein wollen. Aber manche Antworten hier sind ja leider ein schönes Beispiel dafür, dass das Verstecken hinter der Behinderung immer noch sehr gut zu funktionieren scheint.

Ich kann die Zurechtweisung schon verstehen, aber ich hätte mich wahrscheinlich zurück gehalten. Ich finde es schon etwas unpassend, wenn man einen erwachsenen Menschen in aller Öffentlichkeit zurechtweist und ich glaube auch nicht, dass jemand, der sich nicht zu benehmen weis, daraus für sich den Schluss ziehen würde, dass er sein Benehmen in Zukunft ändern muss. Man hätte seinem eigenen Ärger dann zwar Luft gemacht, aber letztendlich nichts damit erreicht.

Benutzeravatar

» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Ich kann hier Cloudy24 absolut zustimmen. Integration ist gewünscht, aber dann bitte nicht nur mit gleichen Rechten, sondern auch mit gleichen Pflichten, sofern es die Behinderung zulässt. Natürlich muss man auf die speziellen Bedingungen, die eine Behinderung schafft, achten. Aber Behinderungen sind keine Extrawürste, mit denen man sich einfach daneben benehmen darf. Diese hier auch schon von LittleSister beschriebene "Ich bin krank, ich darf das"-Mentalität habe ich auch schon öfters erlebt und ich finde sie schrecklich. Ich kann kein Verhalten leiden, was anderen Menschen oder auch Tieren schadet, egal, ob dieses Verhalten von einem Behinderten oder einem Nicht-Behinderten kommt. Da sollte man das nun wirklich nicht unterscheiden.

Ich habe auch noch ein konkretes Beispiel für eine solche Situation. Ich ging auf eine Grundschule, an der es mehrere geistig behinderte Kinder gab, die in die Klassen integriert wurden, also zusammen mit nicht-behinderten Kindern lernten und auch die Pausen verbrachten. Zwei Jungen waren dabei, die bekamen wohl immer, was sie wollten. Da hieß es immer sinngemäß "Hab doch Mitleid mit dem armen behinderten Kind und mach alles, was es verlangt". Bekamen diese Jungen mal nicht, was sie wollten, wurden sie gewalttätig und haben gebissen und geschlagen. Einmal wurde ein Mädchen von einem dieser Jungen wirklich verprügelt, weil sie ihm nicht ihr Pausenbrot geben wollte. Die Reaktion der Erzieherinnen war das Schockierendste. Sie machten dem verprügelten Mädchen Vorwürfe, wie sie denn "den armen Behinderten" "verpetzen" konnte und wieso sie ihm denn nicht einfach das Brot gegeben habe. Behinderten mache man nämlich keine Vorwürfe, sie hätten es schon schwer genug.

Diese geistig behinderten Kinder an jener Schule bekamen also alle möglichen Extrawürste, mussten sich an keine Regeln halten und konnten machen, was sie wollten. Eine Erziehung zu einem sozialen Verhalten gab es nicht, man überließ sie quasi sich selbst. Was es gebracht hat, hat man ja gesehen. Und ich glaube, dass das auch für den Behinderten selbst schlecht war, denn was sollen diese Leute als Jugendliche oder später auch Erwachsene machen? Wenn sie nie gelernt haben, wie man mit anderen Menschen umgeht, was für Chancen haben sie dann? Das schreit doch nach dem Abschieben in irgendein Kämmerchen, was ja nun nicht gerade die schönste Lebensperspektive für die meisten Menschen sein dürfte.

Also, natürlich muss man auf die besonderen Dinge, die eine Behinderung mit sich bringt, achten. Ein Blinder hat bestimmte Schwierigkeiten, bei deren Meisterung man ihm, wenn er dies wünscht, helfen sollte. Wenn jemand durch seine Behinderung oftmals frustriert ist und dann flucht, dann nehme ich das auch hin. Allerdings andere Menschen verbal oder gar körperlich anzugreifen, das geht zu weit. Diese Extrawurst sollte kein Mensch, behindert oder nicht, bekommen, da diese eben anderen Menschen schadet, und genau da liegt ja wohl die Grenze des Erlaubten.

Benutzeravatar

» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich denke an sich schon, das ich mich durchaus versuche in Andere reinzuversetzen. Aber irgendwo ist auch eine Grenze und alles muss man nicht dulden. Und jeder Mensch hat in irgendeiner Form sein Päckchen zu tragen und man kann nicht seine Bedürfnisse Non Stop über die anderer Menschen setzen.

Es gibt sicherlich Menschen, die nicht damit umgehen können, wenn da einer nur am rumnöhlen ist. Ehrlich gesagt macht mich sowas auch unruhig. In der beschriebenen Situation würde ich dann auch denken, klar die Frau ist noch schlimmer als ich dran, weil sie halt die Situation aufgrund ihrer Behinderung noch weniger abschätzen kann als ich.

Nehmen wir einfach ein Beispiel, aber eine ähnliche Situation, die fast jeder von uns in ähnlicher Form schon mal erlebt hat. Man steht an einer Bushaltestelle und der Bus kommt nicht. An der Bushaltestelle stehen auch mehrere Kinder. Oder eher die Kinder toben wie wild rum, sind am rumkreischen etc. Irgendwann nervt es einfach und man versucht zu denken, das es ja nur Kinder sind. Wenn der Bus dann endlich kommt, ist der natürlich schon proppevoll. Die Kinder rasen auf die Türen zu, lassen die Fahrgäste die raus wollen noch nicht mal einsteigen und stehen dann noch mitten im Bus rum, das für die nachfolgenden Fahrgäste kaum noch ein reinkommen in den Bus möglich ist. Und spätestens da sind es nicht mehr nur Kinder, sonder ich erwarte da auch irgendwo, das mal ein Erziehungsberechtigter oder so eingreift. Aber oftmals sehen die Mütter ( oder wer auch immer die Kinder begleitet) nur weg oder man bekommt noch dumme Kommentare ab.

Miteinander leben heißt auch andere akzeptieren und respektieren und auch einen freundliches miteinander. ich will genauso respektiert werden wie andere Menschen. Also muss ich mich auch in manchen Punkten einfach den gesellschaftlichen Gepflogenheiten anpassen. Ausnahmen mag es geben, wie eben das Tourette- Syndrom.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Sicherlich muss man seine Mitmenschen akzeptieren und vor allem auch repektieren, denn das ist auch eine Grundvoraussetzung des Zusammenlebens. Allerdings muss die Person auch in der Lage sein, diese bedingungslos tun zu können. Manche behinderte Personen können das leider nur eingeschränkt und verursachen daher solche geschilderte Situationen.

Man kann nämlich die Psyche eines behinderten Menschen als Laie nur sehr schwer einschätzen. Und genau hier liegt auch die größte Schwierigkeit bei einer Integration. Solche Ausbrüche von Zorn sind ja von den Leuten nicht gewollt, denn ihnen ist es später dann auch peinlich. Allerdings sind sie leider in ihrer speziellen Situation gefangen und können daher sich in andere schlecht hinein versetzen.

Benutzeravatar

» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


karlchen66 hat geschrieben:Man kann nämlich die Psyche eines behinderten Menschen als Laie nur sehr schwer einschätzen.

Wenn du so viel Verständnis für diese Frau aufbringst, was ich an sich nicht verkehrt finde, müssten für dich ja die gleichen Regeln für jeden anderen Menschen auch gelten, denn als Laie kannst du die Psyche von NIEMANDEM einschätzen. Das hätte dann zur Folge, dass du so ziemlich jedes Fehlverhalten mit Gelassenheit und Verständnis hinnehmen würdest und das kann ich eigentlich nicht so recht glauben.

Oder du teilst die Gesellschaft eben in behinderte und nicht behinderte Menschen ein, wobei letzteres ja nur auf deinen Vermutungen beruhen kann, und das finde ich persönlich schon schlimm. Vor allem, weil ich der festen Überzeugung bin, dass die Gruppe, die du hier abgrenzt und denen du Sonderrechte einräumst, diese Art von Behandlung überhaupt nicht will.

Benutzeravatar

» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Nun gut, Erblindung ist kein Grund, um sich da sonstwie daneben zu verhalten, aber vielleicht hatte sie einfach nur einen schlechten Tag und war sehr genervt, vielleicht hat sie kurz vorher irgendeinen dummen Kommentar wegen ihrer Blindheit zu hören bekommen und war deshalb schon so mies drauf. Wer weiß, wer weiß. Ich meine, es kommt auch vor, dass Nichtbehinderte Menschen dort stehen und im wahrsten Sinne des Wortes die Sau rauslassen. Es gibt auch "Drachen", die keinesfalls behindert sind und sowas sieht man mancherorts fast jeden Tag. Vielleicht ist sie ja sonst ganz verträglich oder vielleicht ist sie immer so cholerisch oder vielleicht hat sie noch eine geistige Behinderung, kann alles sein.

Aber auch wenn sie noch eine geistige Behinderung gehabt hat, muss man nicht alles durchgehen lassen und sie in Watte einpacken. Klar, auf viele Dinge muss man dann schon Rücksicht nehmen, aber "Erziehung", wenn man bei einer erwachsenen Person davon reden kann, ist auch bei Behinderten unerlässlich. Viele Leute sagen immer: ach der Arme, der ist ja behindert, schimpft nur nicht mit ihm. Aber das ist genau das Falsche.

Behinderte sind auch Menschen und wenn man sie alles machen lässt, werden sie genau solche Tyrannen wie Nichtbehinderte, die man nicht ab und an in die Schranken weist. Ich hab auch mal mehrere Wochen/Monate in einem Wohnheim für erwachsene Behinderte gearbeitet. Man muss den Leuten einfach genauso ihre Fehler zeigen wie Nichtbehinderten, man kommt nicht drum herum. Sonst tanzen die einem wie Kinder auf der Nase herum, weil sie glauben, ihre Behinderung rechtfertigt schlechtes Verhalten. Und dann hat man in Sachen "Lebens-Normalisierung" als Betreuer oder Angehöriger versagt.

Naja, aber wenn ich in zivil unterwegs bin und auf mir nicht bekannte Behinderte treffe, halte ich mich aus solchen Situationen allerdings heraus, es sei denn, ich weiß genau, dass derjenige geistig fit ist, der dort so herum tyrannisiert. Es wäre hier eher die Aufgabe des Mannes gewesen, etwas zu sagen. Wenn man denjenigen nicht kennt, weiß man nicht, wieso er so reagiert und dann hält man sich manchmal wirklich besser raus. Ich sage nur Tourette Syndrom. Den Leuten tut ihr Geschimpfe selber Leid, aber die können das eben nicht abstellen und da richtet man nur noch mehr Schaden an, wenn man sich da als Ahnungsloser einmischt.

» Mandragora » Beiträge: 1763 » Talkpoints: 0,49 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^