Wird Angst oft mit Ekel verwechselt?

vom 16.07.2010, 09:54 Uhr

Viele Menschen sind in psychologischer Behandlung wegen irgendwelche Phobien. Das sind Angstzustände, die auch oft behandelt werden können oder müssen. Aber verwechselt man nicht auch oft die Angst mit einfachem Ekel? Ich kann mir zum Beispiel denken, dass die wenigsten wirklich Angst vor einer Spinne haben, sondern sich eher fürchterlich davor ekeln. Ich ekel mich auch sehr vor Spinnen. Weiß aber, dass sie eigentlich nichts tun und man keine Angst vor diesen Tieren haben muss. Trotzdem bekomme ich keine Luft, wenn ich Spinnen sehe, die etwas größer sind.

Hängen Angst und Ekel so dicht aneinander, dass man den Unterschied eigentlich nicht selber merken kann?

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Hallo Diamante,

deine Vermutung kommt der Wahrheit schon sehr nahe. Wenn wir uns vor etwas ekeln, dann haben wir auch immer zu einem gewissen Grade Angst davor, damit in Berührung zu kommen und so den Ekel zu steigern. Wenn es sich dann auch noch um etwas handelt, dass sich (zumindest potentiell) aktiv auf uns zu bewegen könnte, ist das schon ausreichend, um einige Menschen in regelrechte Panik zu versetzen.

Häufig spielt aber auch die umgekehrte Sicht eine Rolle: Wir ekeln uns vor Dingen, die wir fürchten. Das machen wir häufig, weil wir diese Dinge - teils unbewusst - mit allen möglichen negativen Eigenschaften belegen, um unsere Angst zu rechtfertigen und zu erklären.

Bei waschechten Phobien spielt noch ein anderer Faktor eine große Rolle: Die Fehlattribution. Wir Menschen schreiben unseren physiologischen Reaktionen immer rationale Gründe zu. Wenn wir beim Anblick eines Reizes also Herzrasen bekommen, dann muss eine Erklärung dafür her. Ein 'gesunder' Mensch wird, sofern ihm der Anblick einer Spinne überhaupt etwas ausmacht, meist einfach Ekel als Erklärung für diese Reaktion anführen. Oder vielleicht die Möglichkeit, dass die Spinne giftig sein könnte.

Phobiker gehen da oft anders vor: Wenn ihr Puls sich beschleunigt, weil sie eine Spinne sehen, dann setzen sie meist unbewusst voraus, dass sie gefährlich sein muss, weil sie eine solche Reaktion in ihnen hervorruft. Je öfter diese Attribution stattfindet, desto stärker wird sie natürlich, weil sie vollkommen unabhängig von der tatsächlichen Gefahr ist, die die Spinne darstellt.

Nun ist es so, dass zumindest in Bezug auf Spinnen eigentlich jeder wissen müsste, das die Arten, die in unseren Breitengraden zu finden sind, so gut wie alle harmlos sind (und selbst diejenigen Giftspinnen, die Menschen überhaupt beißen können, einem gesunden Erwachsenen keinen dauerhaften Schaden zufügen können).

Aber richtig schwierig wird es, wenn es sich um Dinge handelt, die wirklich gefährlich sein können, wie zum Beispiel Schlangen. Bei denen haben dann Phobiker auch ganz rationale Gründe, von einer Gefahr zu sprechen, denn tödliche Schlangen gibt es viele und die Wenigsten können sie von den harmlosen unterscheiden. Aber selbst bei Fahrstühlen trifft dieses Problem zu, denn diese könnten ja rein theoretisch durchaus stecken bleiben oder gar abstürzen. In diesen Fällen wird zwar die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses maßlos überschätzt, aber dennoch haben Menschen, die vor diesen Angst haben, ein scheinbar stichhaltiges Argument. Wenn diese zwei Faktoren zusammen kommen, ist es oft unglaublich schwierig, sich von allein aus diesem Denkmuster zu befreien.

Ich habe vor einigen Jahren mal in meinem Zimmer beobachtet, wie sich zwei Spinnen von sehr unterschiedlicher Größe eine ganze Weile umkreist und betastet haben. Ich fand das recht interessant, auch wenn ich Spinnen zugegebenermaßen doch auch eklig finde. Aber als plötzlich die größere Spinne die kleine mit einem einzigen Biss tötete, kam dieser Angriff für mich als Beobachter so unerwartet und so schnell, dass mein Herz schneller anfing zu schlagen, als ich das für möglich gehalten hätte. Mir brach sogar ein wenig der Schweiß aus. Ich war richtig geschockt.

Ich wusste damals natürlich, dass das eben an der unerwarteten Bewegung und meinem Ekel lag. Aber verhindern konnte ich diese Reaktion nicht. Wenn ich aber vor diesem Ereignis schon der Überzeugung gewesen wäre, Spinnen seien tatsächlich gefährlich, dann hätte mich nach dieser Beobachtung bestimmt niemand mehr vom Gegenteil überzeugt. Ich hätte wahrscheinlich noch daraus abgeleitet, dass ich niemals im Leben eine Chance hätte, einer angreifenden Spinne auszuweichen, weil ich ja nun weiß, wie blitzschnell sie sich bewegen können.

Wenn man dann noch bedenkt, dass Menschen meist Angst vor Tieren haben, bei denen sie keinerlei Möglichkeit haben abzuschätzen, ob diese gerade angriffslustig sind oder nicht - oder auch vor Gegenständen, bei denen sie nicht kontrollieren können, wie die tatsächliche Gefahr in einem gegebenen Moment ist - dann kann man sich, glaube ich, schon ganz gut in einen Phobiker hinein versetzen, auch wenn man selbst vielleicht keine Phobien hat.

Aloha,

ka mau

» ka mau » Beiträge: 203 » Talkpoints: 13,21 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Hier vereinfachst Du vielleicht ein paar Zusammenhänge. So ist es schwierig, Platzangst mit Ekel irgendwie in Einklang zu bringen. Schließlich überkommt einen die Platzangst auch in einem Kernspintomographen (und der sollte sauber sein) oder auch in Fahrstühlen.

Und psychische Probleme (Phobie) sind ja in den wenigsten Fällen über logische (und auch richtige) Erklärungen zu beheben. Das Wissen, dass einem eine Spinne nichts anhaben kann und wohl auch nichts anhaben will, hilft einem in einer konkreten Paniksituation nicht wirklich weiter.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



@Diamante
Angst und Ekel haben nun wirklich keinen nachweislichen Zusammenhang, denn sie sind völlig anders gelagert. Bei der richtigen Angst kann es sogar unter Umständen zu Todesfällen kommen. Beim Ekel ist es zum Glück nicht der Fall. Hier unterscheiden sich beide Zustände schon alleine am Grad der Schwere.

Angst ist daher auch ein äußerst krankhafter Zustand und der Ekel wird als eine Körperreaktion dargestellt. Der betreffenden Person sind damit gewisse Dinge einfach nur unangenehm. Die Angst oder besser gesagt die Angstzustände kommen allerdings mehr aus der Tiefe.

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» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Wie erklärst du dir mit deiner "Theorie" denn dann die ganzen anderen Phobien, die es sonst noch so gibt? Ekelt man sich deiner Meinung nach bei einer Akrophobie vor hohen Gebäuden? Oder doch eher vor den Abgründen zwischen den hohen Gebäuden? Oder denkt man vielleicht an das eklige Resultat, das man bei einem Fall aus großer Höhe hinterlassen würde? Ich wüsste auch nicht, wie ich meine Abneigung gegen Clowns, die sich bei manchen Menschen ja auch zu einer richtigen Phobie entwickelt, mit Ekel in Einklang bringen sollte. Und wie ein Vorredner schon anmerkte - Klaustrophobie kann man auch in einem klinisch sauberen Raum bekommen.

Ein noch besseres Beispiel, dass das Quatsch ist, ist aber meine Abneigung gegen Spritzen. Ich finde den Gedanken an die Nadel, die sich gegen meine Haut presst, auf Widerstand trifft und die Haut schließlich durchdringt einfach ekelerregend. Ich möchte mir das nicht vorstellen und ich kann mir das schon gar nicht anschauen. Es gibt nun immer wieder Leute, die mit einem "du brauchst keine Angst haben, das tut nicht weh" ankommen und obwohl mir so immer wieder suggeriert wird, dass ich Angst hätte, weis ich sehr genau, dass das nicht der Fall ist.

Ich könnte mir aber schon vorstellen, dass sich bei manchen Menschen beide Gefühle im Bezug auf manche Dinge vermischen. Denn Angst und Ekel sind ja erlernte Gefühle und da ist es sicher möglich, dass man lernt sich vor Spinnen zu ängstigen und zu ekeln. Die Reaktionen der Umwelt, vor allem der Mütter, machen es den Kindern da auf jeden Fall leicht.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Da kann ich den meisten hier nur widersprechen, auch wenn das sicherlich nicht bei jedem immer so ist. Das eine ist nämlich das Primärgefühl, während das andere das Sekundärgefühl darstellt. So ist die Angst z.B. manchmal das primäre Gefühl, was man eigentlich hat, aber da man dieses verschleiert oder nicht wahrhaben will, kann es dann zu einem Sekundärgefühl wie Ekel kommen.

Man sieht dann nur den Ekel, wobei die Angst einem gar nicht (mehr) bewusst sein muss. Ähnlich wie es sein kann, dass jemand der ursprünglich Angst hat, verlassen zu werden, jemand anderen durch Ärger oder Traurigkeit einengt. Derjenige muss sich dabei aber nicht bewusst sein, dass es sich dabei um ein Muster handelt, was er oder sie vermutlich mal entwickelt hat. Zum Beispiel als Schutzmechanismus vor diesem unangenehmen Gefühl wie der Angst. Wer will denn schon ängstlich sein? Damit muss man erst einmal umgehen lernen, wenn einem aber in solche einer Situation dann kein Lösungsweg aufgezeigt wurde, dann steht man (vielleicht erst einmal) ziemlich "dumm" da. Aber so etwas kann man erlernen. Ich möchte jetzt auch gar nicht weiter darauf eingehen, aber als generell "verkehrt" gedacht, kann man das auch nicht stehen lassen.

» ygil » Beiträge: 2551 » Talkpoints: 37,52 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Moment, ich glaube, da ist es zu einem Missverständnis gekommen.

Ich habe meine Ausführungen lediglich als Erklärung für einen Attributionsmechanismus angeführt, der häufig bei Phobien eine Rolle spielt. Das bedeutet nicht, dass das immer der Fall wäre. Und auf gar keinen Fall, dass alle Phobien so entstünden.

Auch, dass Ekel immer aus Angst entsteht, habe ich nicht geschrieben. Das glaube ich auch nicht, da es durchaus Fälle gibt, in denen sich das nicht so herleiten lässt.

Ich halte es aber auf Grund deiner Ausführungen, cloudy24, zumindest sehr wahrscheinlich, dass es sich bei dir um einen klassischen Fall von Fehlattribution handelt. Dabei ist es durchaus möglich, dass das aktuell gar nicht mehr so nachzuvollziehen ist. Denn wenn du als Kind irgendwann einmal Angst vor Spritzen hattest, könnte es durchaus sein, dass dieses Gefühl dich erst dazu gebracht hat, eine Abneigung dagegen zu entwickeln. Und eben auch, dir überhaupt erst so eingehende Gedanken darüber zu machen, was da genau mit deiner Haut passiert.

Das bedeutet keineswegs, dass du heute noch davor Angst haben müsstest, wenn dem so gewesen wäre. Wenn du als Kind den Ekel aus der Angst heraus entwickelt hast, kann es durchaus sein, dass diese Koppelung über die Zeit aufgebrochen wurde. Als Erwachsener kann man sich ja relativ einfach davon überzeugen, dass Spritzen gar nicht gefährlich sind. Dann würdest du aber, sofern es eine solche Verbindung jemals gegeben hat, dennoch deinen Ekel bewahren. Wenn man einmal darauf konditioniert ist., auf einen bestimmten Reiz auf eine bestimmte Weise zu reagieren, dann hat man selten eine Chance, genau herauszufinden, wie es dazu gekommen ist, oder auch rational dagegen vorzugehen. Aber das ist, wie gesagt, natürlich nur eine Vermutung.

» ka mau » Beiträge: 203 » Talkpoints: 13,21 » Auszeichnung für 100 Beiträge



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