Sollte man Dialekte durch bilingualen Unterricht erhalten?

vom 13.06.2010, 14:50 Uhr

Ich habe bereits in einem anderen Thread erwähnt, dass ich letzte Woche mit meinem Freund in Stuttgart war, um seine Familie zu besuchen. Da mein Freund eben bei seinem Vater aufgewachsen ist, war ich sehr überrascht zu hören, dass seine Mutter einen sehr starken Dialekt spricht, den sie als Schwäbisch bezeichnet. Der Freund hingegen meint er würde Badensisch sprechen, ich kann das bisher nicht so wirklich unterscheiden. Nun hat der Sohn der beiden, der sehr gut zwischen Dialekt und Hochdeutsch umstellen kann, mir erzählt, man würde in der Schule diskutieren, ob man nicht vielleicht einen bilingualen Unterricht einführt. Man würde dann Hochdeutsch und Dialekt sprechen und nicht, wie ich das kenne, Englisch und Deutsch. Das würde dann dazu dienen, dass der Dialekt erhalten bliebe. Im Moment würden sich nämlich immer mehr und mehr Menschen den Dialekt abgewöhnen wollen und auch Kinder werden teilweise schon ohne Dialekt aufgezogen. So würde der Dialekt eben nach und nach verschwinden und das wolle man nicht.

Ich wusste zunächst nicht wirklich, was ich davon halten sollte. Die Mutter hatte mir erzählt, dass der Dialekt im Grunde auch ein Handicap sei, da man ihn sich schwer abgewöhnen kann und im Berufsleben braucht man meistens Hochdeutsch und hat auch schlechtere Chancen, wenn man seinen Dialekt nicht los wird, beispielsweise nicht gut umstellen kann. Deshalb kann ich gerade nicht verstehen, wieso man den Dialekt daher erhalten will. Es geht also hauptsächlich darum, dass er nicht ganz verschollen und in Vergessenheit gerät, so wie Latein und Altgriechisch. Der Junge sagte mir sogar, es sei bereits ein Dialekt verschwunden (ich weiß nicht mehr genau, um welchen es sich handelt), der nur noch in einigen Sprachkursen gelehrt werde, aber nicht mehr benutzt werde. Das wolle man bei den andern Dialekten verhindern, indem man eben einen bilingualen Unterricht an den Schulen einführt. Das ganze sei noch sehr umstrittenen und in der Diskussion, aber vielleicht wird das tatsächlich irgendwann man umgesetzt.

Wie seht ihr das? Findet ihr Dialekte wichtig und sollte man sie erhalten? Ich persönlich finde jetzt eigentlich nicht, dass ein Dialekt sowas besonderes ist. Wenn man schon bilingualen Unterricht einführen will, würde ich vielleicht eher eine andere Sprache, wie Englisch oder Spanisch einführen, anstatt einen Dialekt. Der Dialekt würde dann zwar erhalten belieben, aber anfangen können die Schüler doch im Grunde nichts damit, da wäre es doch deutlich besser, wenn man irgendwann im Lebenslauf angeben könnte, man könne Spanisch sprechen. Das man einen Dialekt gelernt hat interessiert doch schließlich keinen Arbeitgeber.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich bin der Meinung, dass man Traditionswahrungen - und dazu zähle ich auch Dialekte - nicht als Unterrichtsfächer betreiben, sondern dem Bereich der mündlichen Überlieferung und Traditionspflege überlassen sollte. Ich lebe in einem kleinen Ort, in dem die Traditionspflege durch auch stark religiös geprägte Schützenbruderschaften und Heimatverbände sehr intensiv betrieben wird, und genau so könnte man meines Erachtens auch die Dialekte pflegen und aufrecht erhalten - wenn es genügend Interessierte gibt, die sich darum kümmern.

Wenn andererseits etwas ausstirbt, weil es immer weniger Interesse findet, dann sollte man das als Entwicklung betrachten und akzeptieren. Ich betrachte es auch nicht unbedingt als Mangel, dass das Mittelhochdeutsche im Stil von Walther von der Vogelweide und ähnlichem nicht mehr als aktuell gesprochene Sprache nicht mehr vorhanden ist.

Zur Sicherung könnte man ja umfangreiche Sprachproben auf Speichermedien aufbewahren und alle paar Jahre entsprechend den technischen Fortschritten aktualisieren. Im Bereich der Schule, die schließlich auch für den Beruf vorbereiten und konkurrenzfähig machen sollte, dürfte man so etwas allenfalls in Arbeitsgemeinschaften anbieten, nicht als Pflichtprogramme.

» RopiusK » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Mir geht es da ähnlich wie dir, denn ich kann auch nicht so recht verstehen, was das Lehren eines Dialektes für einen nachhaltigen Nutzen für den einzelnen Schüler haben soll. Irgendwie kann ich ja nachvollziehen, dass viele, vor allem ältere, Menschen an ihrem Heimat-Dialekt hängen und diesen als Tradition der jüngeren Generation weitergeben möchten, damit er erhalten bleibt. Viele Menschen sind ja extrem stolz auf ihren Dialekt und möchten, dass er nicht in Vergessenheit gerät, allerdings ist dieser Grund für mich eher von sentimentaler Natur und liefert für mich kein schlüssiges Argument, warum ein Dialekt gesondert an Schulen unterrichtet werden sollte.

Für mich steht die zentrale Frage im Vordergrund, wofür der Dialekt im späteren Leben nützlich sein soll. Ein potentieller Arbeitgeber wird, wie du schon sagtest, darin weder einen Vor- oder Nachteil sehen, ebenso wenig, wie ein Dialekt für das spätere Studium eine Rolle spielt. Da erachte ich den bilingualen Unterricht im Sinne davon, eine gelernte Fremdsprache auch auf ein anderes Fach, beispielsweise Erdkunde, anzuwenden, als deutlich sinnvoller.
Zudem stellt sich mir die Frage, ab welcher Altersstufe dieser Dialekt dann unterrichtet werden sollte. Bei jüngeren Kindern, die ihn vielleicht noch mit Freude lernen würden, sehe ich nämlich die Gefahr, dass sie das Hochdeutsch und den Dialekt vermischen, was dann wiederum zu Problemen im Schriftdeutsch führen könnte. Ich glaube, für ein Kind ist es schwer zu unterscheiden, wann nun Hochdeutsch und wann der Dialekt anzuwenden ist, weil es sich ja in beiden Fällen um dieselbe Sprache handelt. Deswegen sehe ich zusätzlich die Gefahr, dass Kinder, die einmal mit einem reinen Hochdeutsch in die Schule kamen, den Dialekt bald in ihren Sprachgebrauch mischen und ihr Hochdeutsch somit verlernen. Ältere Kinder, die vermutlich eher in der Lage wären, die beiden Fächer zu trennen, werden wohl aber keinen Sinn im Lernen eines Dialekts sehen und mit wenig Motivation an die Sache herangehen.

Eine weitere Problematik ist ja auch, dass es Kinder gibt, die einen Dialekt schon bei Schuleintritt perfekt beherrschen, und Andere, die immer nur Hochdeutsch gesprochen haben. Man müsste dann ja praktisch die Klasse teilen, denn die bereits schon immer im Heimatdialekt erzogenen Kinder würden sich doch in einem solchen Unterricht nur langweilen. Das wäre ja, wie wenn man jemanden mit der Muttersprache Deutsch in einen Deutschkurs für Anfänger setzen würde. Gut, dass geschieht schon einmal, wenn ein Deutscher in eine ausländische Schule geht, aber in diesem Fall könnte es ja auch die Hälfte der Klasse sein, die einen Dialekt schon beherrscht und sich in diesen Dialekt-Stunden zu Tode langweilt.

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Als Unterrichtsfach soll es doch schließlich auch überhaupt nicht unterrichtet werden, es gibt also keine ''Dialekt-Stunden'' an sich. Es wird halt ein bilingualer Unterricht, so wie das heute oftmals schon an vielen Schulen mit Englisch gemacht wird. Mündlicher Überlieferung kann man einen Dialekt ja eben nicht überlassen, weil die Leute ihn nicht mehr sprechen wollen. Viele zumindest. Und solche Organisationen wie Heimatsbund oder Schützenbrüderschaft sind nicht verlässlich und anscheinend will man sicher gehen und den Dialekt somit in die Schulen verlegen, wo er so schnell nicht verloren gehen kann. Ich kann mir außerdem vorstellen, dass es solchen Verbänden eh nur alte Menschen gibt und da wird man eine Dialekt nicht erhlaten könne, weil kein Jugendlicher sich für sowas interessiert.

Ich finde aber eigentlich auch, dass das nicht in die Schule gehört. Entwicklung muss man hinnehmen, dass ist nichts negatives. Probleme würde es aber an den Schulen nicht geben, weil es sich hier nicht um alle Schulen, sondern nur um die in den Betroffenen Gebieten handelt. In Stuttgart wir halt viel Schwäbisch gesprochen, deshalb soll es an den Schulen dort Unterricht in Hochdeutsch und in Schwäbisch geben. Andere Bundesländer, in denen kein Dialekt gesprochen wird, betrifft das nicht. Die Kinder wären daher mehr oder weniger schon mit dem Dialekt aufgewachsen sein, so dass es da keine großen Probleme geben würde.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Dann habe ich dich wohl missverstanden. Ich ging von Stunden aus, in denen ausschließlich der jeweilige Dialekt gelehrt wird. Wenn aber das Sprechen dieses Dialektes immer wieder als bilingualer Unterricht in das ein oder andere Fach eingebracht wird, das zudem ohne festgelegte Stunden dafür, dann sehe ich noch viel mehr die Gefahr, dass vor allem jüngere Kinder Hochdeutsch überhaupt nicht mehr vom Dialekt zu trennen wissen. Viele Eltern sprechen ja mit ihren Kindern nur hochdeutsch, um zu verhindern, dass es später zu Problemen bei der Rechtschreibung kommt. Ich denke also eher, dass das Lernen eines Dialektes einer guten Rechtschreibung von Anfang an entgegenwirken könnte. Diese Gefahr sah ich ja schon bei Dialektstunden, allerdings könnte das durch strikte Trennung eventuell noch vermieden werden. Wenn der Dialekt aber immer wieder in den normalen Unterricht einfließen soll, sehe ich diesbezüglich schwarz.

Auch das Problem, dass der Dialekt von den einzelnen Kindern unterschiedlich gut beherrscht wird, sehe ich weiterhin. du magst Recht haben, dass in einer bestimmten Region jedes Kind schon einmal mit dem dort üblichen Dialekt in Berührung gekommen sein dürfte, aber es gibt sicherlich genügend Kinder, die ihn höchstens hin und wieder gehört, aber nie gesprochen haben. Mit mir wurde als kleines Kind beispielsweise ausschließlich Hochdeutsch gesprochen, bis ich dann eines Tages ein Kindermädchen bekam, dass im herrlichsten Bayerisch mit mir kommunizierte. Ich habe schon eine Weile gebraucht, jeden Satz von ihr zu verstehen, wirklich bayerisch sprechen kann ich aber bis heute nicht. Ich frage mich also weiterhin, wie diese Unterschiede behoben werden sollen. Auch die Benotung halte ich aufgrund dieser Differenzen für sehr schwierig, wobei man hierauf aber ja auch verzichten könnte.

Mir ist aber noch eine weitere Ungereimtheit aufgefallen. Man legt ja beispielsweise in den Grundschulen Wert darauf, dass die Kinder in den Hauptfächern stets von derselben Lehrkraft unterrichtet werden. Wenn nun der Dialekt immer wieder in den Unterricht einfließen soll, müsste man ja voraussetzen, dass dieser Lehrkörper ebenfalls den typischen Dialekt beherrscht. Ich denke nicht, dass das durchführbar ist.

Natürlich könnte man für all diese Probleme eine Lösung finden, beispielsweise auf die Benotung für die Dialekte zu verzichten oder zusätzlich Lehrkräfte einzustellen, die die Kinder in besagtem Dialekt unterrichten. Aber ganz ehrlich, ich sehe nicht im Geringsten, dass sich dieser Aufwand lohnen würde. Es geht ja nicht darum, dass die Kinder dadurch Kernkompetenzen für ihr späteres Leben erwerben, sondern all das würde lediglich aufgrund der Traditionsweitergabe geschehen. Das hat für mich weder Hand noch Fuß.

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ich bin in einem Gebiet aufgewachsen, in dem der Dialekt schon so gut wie ausgestorben ist und eigentlich nur noch Hochdeutsch gesprochen wird. Aber von einigen Verwandten und Bekannten weiß ich auch, was denen ihr Dialekt bedeutet. Das sind dann aber Gebiete, in denen der Dialekt sowieso noch erhalten bleibt. Ich kenne aber auch ein Gebiet, in dem es so ist, dass der Dialekt praktisch ausstirbt, weil die Eltern den Kindern Hochdeutsch beibringen, weil sie damit gerade in der Schule und im Berufsleben einfach weiter kommen.

Ich finde Dialekte gar nicht so unwichtig, weil sie auch den Charakter einer Region für mich ein wenig ausmachen und prägen. Aber ob bilingualer Unterricht dafür wirklich notwendig ist, vermag ich nicht zu sagen. Sicher kann dadurch verhindert werden, dass ein Dialekt ausstirbt, aber ob dadurch der Dialekt in dem Ort auch wieder vermehrt gesprochen wird, ist doch fraglich. Außerdem denke ich auch, dass es sinnvoller ist, bilingualen Unterricht auf Sprachen zu beschränken, mit denen man im späteren Berufsleben eher etwas anfangen kann, also vielleicht Englisch oder Spanisch. Den Unterricht im Dialekt würde ich dann vielleicht auf eine freiwillige AG beschränken.

» Barbara Ann » Beiträge: 28945 » Talkpoints: 58,57 » Auszeichnung für 28000 Beiträge


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