Abgrenzung zwischen privat und beruflich

vom 07.04.2010, 23:08 Uhr

In diesem Beitrag habe ich schon das Schicksal meiner Chefin beschrieben, dass ihre Tochter Selbstmord begangen hat. Meine Freundin hat beruflich einen engen Kontakt mit ihr, da sie zu zweit in einem Büro sitzen und zusammen viel arbeiten. Das Verhältnis zwischen der Chefin und meiner Freundin war und ist durchaus sehr gut, es blieb jedoch rein beruflich, auch wenn während der Arbeit immer wieder aus dem privaten Bereich erzählt wurde.

Die Chefin hat meiner Freundin auch schon öfters von der Problematik mit ihrer Tochter erzählt. Meine Freundin ist auch zum Begräbnis gegangen, da die Tochter ein halbes Jahr auch als Art Praktikantin in dem Büro gearbeitet hat und demnach kennt meine Freundin die Tochter persönlich.

Es mag jetzt sehr hart klingen, zumindest bin ich anfangs ein wenig von der "Härte" meiner Freundin erschrocken, als sie mir erzählt hat, dass sie sich nun ein wenig Sorgen um ihre berufliche Zukunft macht, weil sie nun stark befürchtet, dass sie als große Ansprechpartnerin der Chefin werden wird. Am Anfang bin ich wie gesagt total erschrocken, weil ich meine Freundin als sehr einfühlsam kenne, bis ich dann langsam verstanden habe, was sie meint.

Natürlich ist es klar, dass es in nächster Zeit eine Ausnahmesituation im Büro sein wird. Es wird sicher eine Weile dauern, bis die Chefin ihre Trauer verarbeitet hat und es kann natürlich auch sein, dass sie dieses Schicksal nie wirklich verarbeiten wird. Die Mutter meiner Freundin hat ebenfalls in einem kleinen Büro gearbeitet, wo die Situation ähnlich war. Ihre Chefin hat sie sage und schreibe 18 Jahre lang regelrecht zugetextet mit unendlichen Erzählungen von ihrem verstorbenen Mann und das war für ihre Mutter mit der Zeit schon extrem belastend.

Nun hat meine Freundin ein wenig Sorge, dass es bei ihr ähnlich werden wird. Unsere Chefin hat sie jetzt schon gefragt, ob meine Freundin nicht nach der Arbeit einmal zu ihr nach Hause kommen möchte. Meine Freundin arbeitet sehr gerne in dieser Firma, will jedoch nicht so gerne berufliches mit privatem vermischen.

Ich weiß nicht, ob ich die Problematik gut erklären konnte, ich hab es anfangs auch falsch verstanden und mir gedacht, dass meine Freundin total kühl ist, dass sie kein Verständnis für die schwierige Situation der Chefin hat, aber ein wenig kann ich es glaube ich verstehen.

Wie würdet ihr an der Stelle meiner Freundin reagieren? Wie kann sie verständnisvoll für die Situation sein, und gleichzeitig doch Beruf und privates Leben trennen? Meine Freundin ist selber von der ganzen Situation geschockt und entsetzt und sie hat gemeint, sie würde es nicht aushalten, jahrelang unendliche Geschichten von der Tochter zu hören. Es ist natürlich noch nicht gesagt, dass sich das so entwickeln wird, aber ich gebe meiner Freundin recht, dass sie mit ihren Befürchtungen wohl nicht so ganz falsch liegen wird. Ich kenne unsere Chefin nicht persönlich, nur von mehreren Erzählungen von meiner Freundin, und da kann ich mir das auch gut vorstellen, dass das in Zukunft eine schwierige Situation werden kann.

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» tournesol » Beiträge: 7760 » Talkpoints: 69,99 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Ich würde mir an Stelle deiner Freundin momentan noch nicht so viele Gedanken machen. Jetzt erstmal wird ihre Cheffin eine sehr intensive Trauerphase durchmachen und da ist es auch zu erwarten, dass sie viel von ihrer Tochter spricht und sich vor allem mit dieser Thematik beschäftigt. Und die Tochter und diese schreckliche Erfahrung werden auch immer eine große Rolle in ihrem Leben spielen, das heißt aber nicht, dass sie langfristig an nichts anderes mehr denken wird.

Was mich an deiner Beschreibung ein bisschen wundert, ist, dass deine Freundin anscheinend auf jeden Fall vermeiden will, mit ihrer Vorgesetzten ein über den beruflichen Kontakt hinausgehendes Verhältnis aufzubauen (zumindest liest sich das für mich so). Woran liegt das? Mag sie die Frau eigentlich nicht besonders? Oder möchte sie eher grundsätlich Privates und Berufliches trennen? Ich sehe das auch völlig unabhängig von den aktuellen Ereignissen - die Cheffin hätte sie ja vermutlich nicht zu sich nach Hause eingeladen, wenn sie sich ihr nicht schon vorher nah gefühlt hätte.

Hat deine Freundin grundsätzlich ein Problem damit, dass ihre Cheffin ihr private Dinge anvertraut, oder macht sie sich nur Sorgen, dass sie nun nichts anderes mehr zu hören bekommen wird als Geschichiten von der Tochter? Als Freundin oder gute Arbeitskollegin hat sie doch auch die Möglichkeit - ich würde sogar sagen die Aufgabe - die Dame wieder auf andere Gedanken zu bringen und ihr den Übergang ins normale Leben leichter zu machen. Sicher muss man ihr eine gewisse Trauerphase einräumen, aber wenn diese vorbei ist, kann deine Freundin durchaus versuchen, sie von ihrem Schmerz abzulenken, in dem sie Dinge mit ihr unternimmt oder ihr von ihrem Leben erzählt.

» channale » Beiträge: 1371 » Talkpoints: 37,37 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Nun, ich kann in gewissen Punkten meine Freundin schon verstehen. Soweit sie es mir erzählt, hat sie persönlich nichts gegen die Chefin, aber man kann ja auch jemanden mögen, ohne dass man gleich privat etwas unternehmen muss.

Ich persönlich vermute auch stark, dass sie von der beruflichen Situation ihrer Mutter etwas gebranntmarkt ist. Die Chefin ihrer Mutter hat sehr früh ihren Lebensgefährten verloren und das Verhältnis zwischen dieser Chefin und der Mutter war wohl wirklich etwas seltsam. Sie wurde wirklich den ganzen Tag regelrecht zugetextet und die Mutter hat das 18 Jahre lang über sich ergehen lassen, weil der Chefin wohl bewusst war, dass sie ihr da wohl ein wenig zuviel zumutet hat sie sich dann immer wieder insofern revanchiert, dass sie einen guten Gehalt bekommen hat, und ihr auch sonst einiges zukommen ließ.

Die Mutter konnte den Job nicht so einfach wechseln, da sie alleinerziehend war und auf den Job angewiesen und sie ist auch eine total gutmütige. Ich kann mir schon vorstellen, dass man da mit der Zeit in etwas reinrutschen kann. Am Anfang denkt man sich, das ist die Trauerphase, dann denkt man sich, dass sie wohl eine etwas längere Trauerphase hat und so kann es weitergehen.

Selbstverständlich ist auch meine Freundin so menschlich und hört ihr gerne zu und ist für sie da. Aber ich denke auch, dass es in dem Fall bei meiner Freundin auch ein wenig dazu kommen kann, dass unsere Chefin dann meine Freundin ein wenig als Tochterersatz oder wie auch immer man das bezeichnen möchte ansieht. Das kann dann schon ein wenig ungut werden.

Vielleicht hat sie auch ein wenig Sorge, dass ihr jetzt noch mehr Arbeit übertragen wird. Als die Tochter meiner Chefin die Gehirnhautentzündung hatte, war das auch eine schwere Zeit für meine Freundin. Die Chefin ist mehr oder weniger einfach nicht mehr gekommen und hat meiner Freundin alles überlassen. Die Chefin der Chefin hat davon aber nicht soviel mitbekommen sollen, weil da auch gerade ein Betriebschefwechsel war, kurz gesagt, eine etwas verzwickte Situation.

Natürlich hatte meine Freundin damals schon großes Verständnis für die Situation und deswegen hat sie ihr auch geholfen, auch wenn sie dann oft wirklich über 50 Stunden in der Woche gearbeitet hat. Und bei ihr fängt es eigentlich auch schon so an, wie bei ihrer Mutter damals. Dadurch dass meine Freundin das mitmacht, bekommt sie auch ihre goodies und eine nette Gehaltserhöhung war auch schon da. So ist es natürlich auch noch verlockender zu bleiben und den Job nicht zu wechseln, vor allem, weil meiner Freundin die eigentliche Arbeit ja auch riesen Spaß macht.

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» tournesol » Beiträge: 7760 » Talkpoints: 69,99 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



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