Intraoperative Wahrnehmung
Sicher haben einige von euch schon davon gehört, dass es Menschen gibt, die eine Operation trotz Betäubung mitbekommen. In einem Jahr werden ungefähr 21 Millionen Menschen narkotisiert. Die meisten dieser Menschen schlafen friedlich ein und spüren überhaupt nichts und können sich an nichts erinnern. Ungefähr 30.3000 der Patienten haben aber weniger Glück. Sie können nicht einschlafen. Man bezeichnet dieses Phänomen als Anesthesia Awareness, auf Deutsch:intraoperative Wahrnehmung. Die Opfer können sich nicht bewegen. Sie können nicht um Hilfe schreien. Aber sie sind wach. Sie spüren alles.
Der Hollywood-Psychothrillers "Awake" gibt genau dieses Szenario wieder. Ein junger Mann (Haydn Christensen) ist bei einer Operation am offenen Herzen bei vollem Bewusstsein und erleidet Höllenqualen. Solche Vorfälle können zu schweren psychischen Störungen der Betroffenen führen.
Das Problem der intraoperativen Wahrnehmung beschäftigt weltweit viele Wissenschaflter und Anästhesisten. Bei bestimmten Patientengruppen ist das Risiko sehr hoch, bei der Operation wache Phasen zu erleben. Das sind zum Beispiel Patienten die am Herz operiert werden und Patienten die einer Notfalloperation unterzogen werden. Auch bei Patienten die regelmäßig Alkohol und Drogen konsumieren, ist das Risiko sehr groß, da bei ihnen die üblichen Medikamentendosen oftmals nicht ausreichen.
Es ist außerdem nachgewiesen, dass es bei Kindern viel öfter zu intraoperativer Wahrnehmung kommt, als bei Erwachsenen. Es gibt sogar eine Studie, die besagt, dass 2 von 184 Kindern während einer Narkose auf die Anweisung der Ärzte reagieren, ihren Arm zu bewegen. Es gibt inzwischen BIS-Überwachungsgeräte, die heute in fast jedem modernen Operationssaal zu finden sind. Ein Computer analysiert hierbei die Frequenzspektren des EEG und die Ärzte können so feststellen, ob der Patient tief genug schläft. Diese Überwachungsgeräte werden allerdings nicht bei jeder Operation genutzt, sondern meistens nur bei Operationen am Herzen.
Wurdet ihr schon einmal narkotisiert? Habt ihr euch Sorgen gemacht euch könnte sowas auch passieren?
Bei mir wurde vor einigen Jahren eine laparoskopische Gallenblaseoperation durchgeführt. Dabei werden nur 3 oder 4 sehr kleine Schnitte gemacht und der Bauch dann aufgebläht um besser agieren zu können. Ich bin sehr zuversichtlich an diese Operation herangegangen, da mir gesagt wurde es sei ein relativ leichter Eingriff, es blieben kaum Narben und in jungen Jahren hätte man danach auch weniger Probleme als im späteren Alter.
Der große Schrecken kam während der Operation. Mir kam nur langsam zu Bewußtsein das irgendwas ganz furchtbar schief läuft, den genauen Zeitraum in dem sich alles abspielte kann ich nicht mehr nachvollziehen, aber es fühlte sich wie die Ewigkeit an. Zuerst stellte ich fest das ich mich nicht bewegen konnte, dann kam der Schmerz. Er war so unbeschreiblich intensiv das ich schreien wollte, aber es ging einfach nicht. Ich versuchte die Augen zu öffnen aber auch das ging nicht.
Es war definitiv das surrealste Erlebnis das ich je hatte. Es war einem nicht klar ob man stand oder lag, man spürte seinen Körper eigentlich nicht, nur den Schmerz. Auch die anderen Sinne spielten verrückt. Das Panikgefühl war nicht mehr zu unterdrücken und ich versuchte festzustellen ob ich noch bei der OP war oder schon im Aufwachraum, aber ich konnte kein einziges Geräusch wahrnehmen, nicht mal mein eigenes Atmen.
Ich versuchte mich mit aller Kraft aufzubäumen oder sonst irgendwie bemerkbar zu machen und dann war es vorbei. Mir ist bis heute nicht klar ob ich von alleine in die Narkose zurückfiel, ob ich Ohnmächtig wurde oder ob man mich doch noch bemerkt hatte. Als ich am nächsten Tag bei der Visite das Thema ansprach erntete ich einige zweifelnde Blicke, andere sahen mich garnicht an und ich kam mir vor wie ein Spinner auf dem Psychotrip. Letztlich wurde mir dann etwas gesagt wie "das käme nur sehr selten vor, es sei nichts auffälliges bemerkt worden und es hätte keine Kosequenzen".
Eigentlich wollte ich ja nur wissen ob es der Wahrheit entsprach und warum so etwas vorkam, da ich zu dem Zeitpunkt noch nie etwas von intraoperativer Wahrnehmung gehört hatte. Ich weiß bis heute nicht warum damals nicht offen reagiert wurde und man mir nicht einfach sagte, es sei passiert, kann vorkommen.
Folgen hatte es für mich glücklicherweise nicht. Mir kam noch einige Tage nach der Operation immer wieder dieses Panikgefühl das ich empfunden hatte zu Bewusstsein und ich mußte mich regelrecht Schütteln um es wieder loszuwerden. Ich sprach es auch mal im Freundeskreis an, aber auch dort wurde ich nur beäugt als spräche ich vom Einhorn, daher ließ ich das Thema irgendwann ganz fallen. Angst vor weiteren Operationen hab ich deswegen aber nicht, da es ja ein Einzelerlebnis war und nicht zwangsläufig wieder geschehen muß.
Ich kann mir jedoch durchaus vorstellen, das betroffene Menschen das Panikgefühl nicht mehr so leicht loswerden. Meine Operation war ja noch relativ einfach, der Schmerzgrad vermutlich noch im erträglichen Bereich. Was ist mit Menschen die wirklich aufgeschnitten werden und vielleicht sogar über Stunden unfassbare Schmerzen erleiden? Ich will es mir garnicht ausmalen, klingt fast wie mittelalterliche Folter.
Crispin hat geschrieben:Wurdet ihr schon einmal narkotisiert? Habt ihr euch Sorgen gemacht euch könnte sowas auch passieren?
Glücklicherweise habe ich noch keine Narkose bekommen, beziehungsweise musste noch niemals in meinem Leben operiert werden. Aber ich muss ehrlich sagen, vor dem Gedanken, es könnte etwas schief gehen, graust es mich. Wahrscheinlich auch, weil ich eben noch nie in meinem Leben einen solchen Eingriff hatte, also auch nicht weiß, wie mein Körper in der Situation reagiert.
Ich glaube, dann ist eine leichte Angst, dass man länger sein Bewusstsein verliert, vielleicht auch gar nicht mehr aufwacht, oder, dass, im Gegenteil, die Narkose nicht wirken könnte, normal, oder? Jedenfalls, wenn ich bedenke, dass ich sowieso nicht so normal reagiere, was beispielsweise auch das Schlafen anbelangt. Ich bin oft in einem Zustand, wirklich halb zwischen Wachsein und Schlafen. Ich habe fast nur luzide Träume. Einiges kann ich da kaum einschätzen, ob ich nämlich eigentlich wach bin, und mir einen Traum nur einbilde, oder ob ich schlafe. Ganz seltsam. Aber habe ich dann nicht auch ein größeres Risiko, bei einer Narkose doch noch alles mit zu bekommen? Daran will ich kaum denken.
Daher hoffe ich einfach, dass ich möglichst lange nicht operiert werden muss. Und, dass ich genügend Schmerzmittel bekomme, dass ich, selbst, wenn ich während der Operation wach werden sollte, wenigstens keine Schmerzen habe. Wobei allein das Bei-Bewusstsein-Sein in der Situation wahrscheinlich psychisch sehr belastend ist.
Wobei ich sagen muss, dieses Gefühl, dass man sich bewegen will, aber nicht kann, gleichzeitig aber alles wahr nimmt, das kenne ich. Zu meinem gestörten Schlaf gehört nämlich auch noch, dass ich oft geistig wach werde, bevor mein Körper die Schlafstarre wieder ausgesetzt hat. Das heißt, ich liege dann da, kann mich nicht bewegen, nichts sagen, nicht die Augen öffnen, egal, wie sehr ich mich anstrenge. Ich denke, bei so einer intraoperativen Wahrnehmung wird das ähnlich sein. Nur, dass da auch noch die Angst der ungewissen Situation dazu kommt, und womöglich auch noch schlimme Schmerzen. Ja, das ist sicherlich so ziemlich das Schlimmste, was einem geschehen kann, jedenfalls im medizinischen Bereich.
Vor einigen Jahren wurde ich operiert, man hat mir den Blinddarm entfernt. Ich habe vorher zum Glück nie etwas davon gehört. Sonst wäre ich wahrscheinlich schon vor Angst vergangen. Wie kann denn so etwas möglich sein? Man wird also im Grunde gelähmt und spürt noch alle Schmerzen. Ich frage mich auch warum diese Geräte, die die Frequenz überprüfen, ob jemand tief genug schläft nicht bei allen Operationen benutzt werden. Das muss unglaublich grausam sein, ins Krankenhaus zu kommen, aus Heilung zu hoffen und dann eigentlich gefoltert zu werden, direkt auf dem Operationstisch.
Ich wünsche das keinem und hoffe, dass diese Geräte bald regelmäßig benutzt werden.
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