Sozialphobie durch das Bemängeln der Freunde denkbar?

vom 15.05.2021, 18:54 Uhr

Kürzlich hatte ich einen Jugendlichen in meinem Büro stehen, der von seinen Eltern aus der elterlichen Wohnung geworfen werden soll. Ein ähnliches Szenario war in demselben Haushalt bereits vonstatten gegangen, sodass das Job Center uns bat, die Beweggründe zu prüfen und realistisch einzuschätzen.

Dabei stellte ich fest, dass der Junge ausgesprochen schüchtern war. Allerdings erschien es mir derart seltsam, dass nach Rücksprache mit dem Job Center eine Amtsärztin ein Gespräch im Nachgang zu mir mit ihm führte und u.a. feststellte, dass er eine schwere soziale Phobie hat, die vermutlich durch die Mutter befördert wurde.

Grund schien wohl zu sein, dass der Junge in seinen 18 Jahren nie einen Freund bei sich schlafen lassen durfte, fast nie Besuch haben durfte, weil die Mutter nach der Arbeit Ruhe wollte und ein weiteres Problem war immer, dass alle Bekannten/Freunde des Jungen nie gut genug für die Mutter waren. Über sie wurde bei dem Sohn gelästert, der Kontakt unterbunden und mehr.

Das führte wohl letztendlich dazu, dass der junge Mann vermehrt mit sich beschäftigt war, viel zockte und seither sehr extrovertiert wurde. Früher muss er wohl laut Erzählungen von Bekannten/Verwandten sportlich fit, offen und gut vernetzt gewesen sein.

Ich frage mich schon, ob solch ein Verhalten durchaus in der Lage ist, ein Kind so derart zu beschränken, dass er sich vollkommen allein gelassen fühlt und dauerhaft Problem mit sozialen Bindungen/Kontakten haben kann? Meint Ihr, dass die Amtsärztin hier bereits den richtigen Riecher bei der Diagnose bewiesen hat oder vermutet Ihr, dass da mehr als nur die genannten Gründe zu erwarten sind?

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Arbeitest du beim Jobcenter? Wenn ich zum ersten Mal zum Jobcenter müsste, da hätte ich auch Angst. Man hört so viel Schlechtes über das Jobcenter, etwa dass man dort immer wieder genötigt wird, sich auf Stellen zu bewerben, die man nicht haben will oder dass viel Druck ausgeübt wird. Ein junger Mann fühlt sich da bestimmt eingeschüchtert, wenn er ansonsten auch zurückhaltend ist. Auch dass er dann eine Amtsärztin aufgedrückt bekommt. Kann man sich denn einem fremden Menschen, dem man so vorgeführt wird, wirklich öffnen? Solche Diagnosen sollte lieber ein Psychologe stellen, zu dem der Junge dann aber freiwillig geht.

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Ich arbeite im sozialen Bereich. Da jedoch aufgrund von Corona meine bis zu drei Schwerpunkteinsatzgebiete teils komplett weggebrochen sind, bin ich sowohl zwischen Suchthilfe, Jugendhilfe und Jugendamt derweil am pendeln. Dies war eben auch der Grund, wieso wir den Jungen zugeteilt bekommen haben.

Allerdings scheint es hier ein generelles Missverständnis zu geben, was eine solche Thematik mit unter 25-jährigen und dem Erstauszug angeht. Zunächst einmal ist es gesetzlich so, dass der junge Mann bis er 25 Jahre ist zu Hause wohnen bleiben muss, wenn er seinen Lebensunterhalt eben nicht allein bestreiten kann. Es gibt von dieser Regelung allerdings Ausnahmen, wenn das heimische Leben den Jungen eingeschränkt, nur Theater daheim ist oder beispielsweise wie in seinem Falle durch den mütterlichen Rauswurf eine Obdachlosigkeit drohe.

Doch nur weil so etwas „behauptet“ wird, sagt das Job Center nicht sofort „ja“, sondern wird eine entsprechende Jugendhilfe eingeschaltet, die die Auszugsgründe genauer erläutern muss. Hier werden dann meist 1-3 Gespräche geführt, wo man den Jungen anhört, die Mutter, etwaige Verwandte usw. Darin wird von unserer Seite dann genau aufgeführt, was gesagt wurde, ob dies möglicherweise Bestätigung durch Zeugen/Unterlagen findet und dann eine realistische Einschätzung gegeben, ob dem Jungen nun wirklich geholfen werden muss.

Unsere Aussagen haben somit ein hohes Gewicht und dann durfte der Junge durch mein Dazutun eben vom Job Center ausziehen. Sonst hätte er es nicht gedurft. Das er selbst bei Job Center Terminen etc. nervös ist, ängstlich usw. das steht außer Frage. Man hört eben viel, hat nicht immer den besten Ansprechpartner usw. das kenne ich.

Da der Junge aber schon bei seiner Mama daheim „arbeitslos und arbeitssuchend“ gemeldet war, keine Ausbildung gemacht hat, den Schulabschluss nicht geschafft hat und eben jede Maßnahme durch die Bundesagentur für Arbeit mit einem ärztlichen Attest beendet hatte, war ohnehin schon der Stress sehr groß. Er muss wohl auch schon um den Amtsarzt gebeten haben, da Mama einen Besuch beim Psychologen nie für gut geheißen hätte, weil sie das für Quacksalberei hält. Doch das Job Center wollte dies eher vermeiden.

Einen Amtsarzt aufzusuchen ist ebenso wenig leicht, aber wird im Übrigen vom Job Center auch sehr ungern gesehen. Denn was viele nicht wissen ist, dass Amtsärzte sehr wohl ordentlich arbeiten, eben wahrhaftige Ärzte sind und teils ihren Job sehr ernst nehmen und dies nicht selten bedeutet, dass eine junge Person für längere Zeit krankgeschrieben wird. Das bedeutet dann wiederum fürs Job Center, egal ob U25 oder Ü25, dass sie den jeweiligen Kunden nicht in Maßnahmen, Schulabschlüsse usw. stecken können.

Und genau das ist bei dem Jungen passiert, über den ich hier berichte und passiert im Übrigen mehrfach. Der Junge wurde 6 Monate krankgeschrieben fürs erste und da waren natürlich noch andere vermutete Diagnosen zu sehen, die ich jetzt nicht aufführe. Seine betreute Job Center Mitarbeiterin war wenig davon begeistert, aber hat ihm dann eben gesagt, dann hören wir uns in 6 Monaten wieder.

Natürlich sind das nur Feststellungen anhand der Aussagen des Jungen und den jeweiligen Terminen bei der Amtsärztin oder dem Amtsarzt, aber sie komplett zu leugnen oder für falsch zu bezeichnen, halte ich für fraglich. Sie empfehlen ihm ja auch eine psychologische Hilfe aufzusuchen, hat er auch schon versucht, aber es ist mühselig, da derzeit einen Termin zu kriegen, sodass wir von ihm gebeten wurden, zu helfen.

Natürlich dürfte klar sein, dass Job Center, Amtsärzte & Co für einen jungen Menschen, der wenig mit diesen Instanzen zu tun hatte, nicht leicht sind. Das wissen die jeweiligen Anlaufstellen aber auch, sodass dies nicht allzu überbewertet wird, hoffe ich jedenfalls von den meisten. Es gibt aber bei den Stellen natürlich immer Übereifrige und besonders unliebsame Personen, mit denen hatte ich auch schon das eine oder andere Mal zu tun!

Letzten Endes wird es natürlich nur ein Psychologe richten können, aber der Junge ist ja auch begeistert davon, dass die Amtsärztin ihn krankgeschrieben hat und er endlich schriftlich hat, dass mit ihm „etwas nicht stimmt“. Wie viel davon am Ende wahr ist, weiß ich nicht, aber er wirkte sichtlich glücklich darüber und hat sich auch bei mir von allein gemeldet. Denn eigentlich ist es so, dass wir nach den Gesprächen selten Kontakt zu ihnen haben, es sei denn, sie arbeiten in Jugendeinrichtungen, die oft von der Jugendhilfe und dem Jugendamt in Kooperation mit dem Job Center betreut werden.

Doch Unrecht hast Du natürlich nicht, wenn man sagt, dass muss dennoch alles mit „Vorsicht“ betrachtet werden. Es gibt ja auch pfiffige Herren/Mädels, die genau wissen, was sie bei Amtsärzten & Co sagen müssen, um solche Krankschreibungen zu bekommen usw. Doch bei ihm hatte ich tatsächlich von Beginn an das Gefühl, hier stimmt was nicht.

Die Mutter hat das ja so auch bestätigt, aber empfand ihn einfach nur als „Sonderling“ und machte das Zocken für das alles verantwortlich. Aber ich kann sagen, mit ihr zu reden war rein menschlich eine echte Qual und mein erster Gedanke war, bei der Tyrannin hätte ich auch einen an der Waffel gekriegt, um es mal salopp zu sagen.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Ohne Psychologin zu sein würde ich sagen: Klar kannst du dein Kind auch auf diese Art verkorksen. Für mich erscheint es nur logisch und leicht nachvollziehbar, wenn man auch nur eine Spur Empathie mitbringt. Wenn ich mir vorstelle, dass meine Freunde in dem Alter bei mir daheim nie "gut genug" waren, dass sie immer nur "gestört" haben und ich meiner Mutter nur dann recht war, wenn ich möglichst unsichtbar bin, damit sie sich ausruhen kann - was soll ein heranwachsender Mensch dann machen?

Entweder doppelt und dreifach auf den Putz hauen - dann gibt es einen Riesenhaufen Ärger, weil man nicht brav folgt und alleine im Zimmer Lego spielt, bis man mit 18 auszieht. Oder man passt sich an und findet sich ab, und dann ist es wieder nicht recht, weil man ja auch nicht schüchtern und zurückgezogen sein "darf" und "Zocken" als Hobby ja schon mal gar nicht geht. Dem jungen Mann wurden also von Vornherein alle Handlungsalternativen abgeklemmt. Kein Wunder, dass er sich schwer tut, ein "normales" Sozialverhalten mit direktem Kontakt zu anderen zu entwickeln, wenn Mutti es ihm aktiv verbietet.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



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