Sollten Restaurants Kalorien für Gerichte angeben müssen?
In England wurde das Thema Übergewicht nun zur Regierungssache. Seit Mittwoch ist für größere Restaurants und Ketten in England die Kaloriengabe für Gerichte auf ihren Speisekarten ab sofort Pflicht. Dies gilt wie gesagt für Restaurant-Ketten, Restaurants und Cafés mit mindestens 250 Beschäftigten. Die Kalorien müssen angegeben werden für alle offenen Speisen und Softdrinks.
Während manche diese neue Pflicht als gute Strategie gegen Übergewicht sehen, gibt es auch Kritik. Das neue Kalorienzählen im Restaurant könne nämlich auch unerwünschte Nebeneffekte haben. Man wisse zum Beispiel nicht, welche Auswirkungen die Neuerung auf Betroffene von Essstörungen haben könnte.
Was haltet ihr von solchen Kalorienangaben auf Speisekarten? Hättet ihr Interesse an solchen Informationen oder möchtet ihr einfach nur genießen, wenn ihr essen geht? Welche Argumente hättet ihr dafür bzw. dagegen? Wärt ihr für eine offizielle Empfehlung von Seiten der Regierung oder sollte es tatsächlich auch in Deutschland Pflicht werden?
Ich würde ja vermuten, dass sich die meisten Menschen ihr Übergewicht nicht im Restaurant anfuttern, sondern zuhause. Außerdem dürfte ein größerer Anteil der überflüssigen Kilos dem Genuss von alkoholischen oder gezuckerten Getränken geschuldet sein. Um konsequent zu sein, müssten die Kalorienangaben also auch in die Getränkekarte aufgenommen werden. Im Eröffnungstext steht, sie würden bei Softdrinks aufgeführt, aber die alkoholischen Getränke enthalten ja auch viele Kalorien.
Ich kann mir nicht recht vorstellen, wie das praktisch funktionieren soll. Wenn ein Restaurant nur Fertig- und Halbfertigprodukte in die Mikrowelle stopft, gibt es ja die Herstellerangaben, die man ohne Aufwand weitergeben kann. Aber wenn man selber frisch kocht? Ist der Aufwand da nicht immens? Ich meine, natürlich lässt sich herausfinden, wie viele Kalorien ein Steak hat und wie viel 150 Gramm Pommes.
Aber die Portionen sind ja nicht immer exakt gleich, und die Zubereitung sollte man, wenn man es genau nimmt, auch berücksichtigen. Und dass Restaurants gerne mit Butter "verfeinern", ist ja kein Geheimnis. Soll man dann pauschal 150 Kalorien aufschlagen? Und wenn jemand "extra Dressing" will oder sonstige Sonderwünsche hat? Bekommt der sein Fressi dann separat vorgerechnet?
Nach meinem Empfinden läuft es letzten Endes auf Schätzwerte hinaus, da wohl kaum ein Restaurant beispielsweise mitzählt, wie viele Esslöffel Öl zum Braten in der Pfanne oder über dem Salat landen.
Und schätzen kann ich selber, sodass theoretisch entweder hoher Zusatzaufwand für die Küchen im Raum steht oder bestenfalls vage Angaben, die darauf hinauslaufen, dass Tiramisu einen Haufen Kalorien enthält, ein gemischter Salat eher weniger. Für mich klingt das alles nach einem wenig durchdachten Schnellschuss. Oder in englischen Restaurants wird tatsächlich nur noch aus industriellen Großpackungen heraus aufgetaut.
Ich teile die Meinung meiner Vorredner und sehe bei der Umsetzung dieser Idee doch einige Schwierigkeiten - angefangen damit, dass wirklich verlässliche und genaue Angaben kaum möglich sind, wenn der Koch nicht exakt jede Zutat einwiegt und deren Kaloriengehalt ausrechnet, bis hin zu dem Aspekt, dass ein unheimlicher Mehraufwand entstehen würde, wenn man Sonderwünsche, Austausch oder Weglassen von Zutaten und ähnliche Abweichungen mit bedenken muss. Es liefe also darauf hinaus, dass man sich entweder verbindlich an Vorgaben halten muss und nicht davon abschweifen darf, was zu Unflexibilität und Kundenunzufriedenheit führt, oder dass man völlig aus der Luft gegriffene Zahlen auf die Speisekarte schreibt, die am Ende mehr Verwirrung als Klarheit bringen und möglicherweise zu einer totalen Fehleinschätzung bei den Konsumenten führen, die sie eigentlich ansprechen sollen.
Mal ganz von diesen Punkten abgesehen halte ich auf die psychologischen Effekte dieser Strategie für fragwürdig. Man bekommt doch heutzutage sowieso auf jeder Lebensmittelverpackung, in jedem Frauenmagazin und auf etlichen Blogs im Internet dauernd nur vorgehalten, wie viele Kalorien in welchem Nahrungsmittel stecken, wie gesund oder ungesund dies und jenes ist und welche tollen fett-, zucker-, kalorien- und geschmacksneutralen Alternativen es doch für den figurbewussten Konsumenten gibt. Dabei kein gestörtes Verhältnis zu Essen und Körper zu entwickeln und sich abzugrenzen ist ja fast schon eine zu würdigende Leistung. Überträgt man diesen Gesundheits- und Schlankheitswahn nun auch noch in diverse Restaurants, die eigentlich Orte des Genusses ohne schlechtes Gewissen sein sollen, richtet man womöglich mehr Schaden an, als dass man der Gesellschaft und ihrer Gesundheit einen Dienst erweist.
MaximumEntropy hat geschrieben:Ich teile die Meinung meiner Vorredner und sehe bei der Umsetzung dieser Idee doch einige Schwierigkeiten - angefangen damit, dass wirklich verlässliche und genaue Angaben kaum möglich sind, wenn der Koch nicht exakt jede Zutat einwiegt und deren Kaloriengehalt ausrechnet, bis hin zu dem Aspekt, dass ein unheimlicher Mehraufwand entstehen würde, wenn man Sonderwünsche, Austausch oder Weglassen von Zutaten und ähnliche Abweichungen mit bedenken muss.
Bezüglich dieses Arguments teile ich die Sichtweise nicht ganz. Ich denke schon, dass jedes Restaurant in der Regel ein festes Repertoire an Gerichten auf der Speisekarte hat - abgesehen von wenigen Saisongerichten bzw. Tagesgerichten - und für diese auch ein "Grundrezept" vorhanden ist. In vielen Kochbüchern findet man ja auch Kalorienangaben für ein Rezept. Ich denke nicht, dass da so haarklein auf jede einzelne Kalorie geschaut wird, sondern dass es eben auch einen Toleranzbereich gibt. Ich glaube auch nicht, dass ein Koch plötzlich statt drei Esslöffeln die doppelte Menge an Öl in die Pfanne schüttet, vor allem wenn ihm bewusst ist, dass die Gerichte mit Kalorienangabe ausgewiesen werden müssen.
Ich selbst bräuchte solche Kalorienangaben nicht, vor allem nicht als Pflichtangabe. Mich würde es allerdings auch nicht stören, wenn da Kalorienangaben stehen würden. Zunächst würde ich persönlich die Angaben wahrscheinlich als "nette Information" sehen und mir vornehmen etwas zu bestellen was mir auch schmeckt bzw. worauf ich Lust habe. Wenn da Antipasti-Platte mit Knoblauchbrot, Lasagne oder Pizza auf der Karte steht, weiß ich nicht, was da die kalorientechnisch die beste Wahl wäre - vermutlich wäre da kein großer Unterschied. Würde da zum Beispiel aber auch noch ein gegrillter Lachs stehen mit mediterranem Gemüse , ja, dann könnte es doch passieren, dass der Kalorienstand dann schlussendlich schon meine Wahl beeinflusst - aber auch unter Berücksichtigung der Preisunterschiede.
Ich glaube, Menschen die bereits ein gutes Bewusstsein für die Ernährung/Essensaufnahme haben, die kann so eine Kalorienangabe am Ende nicht wirklich schocken bzw. extrem in der Entscheidung beeinflussen. Ich gehe schon davon aus, dass diese schon ohne diese Angabe wussten, dass man mit dem Genuss einer Lasagne nicht gerade kalorienarm unterwegs ist.
Und gleichzeitig bezweifle ich auch, dass diese Angaben die Zielgruppe tatsächlich ansprechen können und ein neues Bewusstsein wecken. Übergewichtige Menschen, welche sich vorher nicht für Kalorien interessiert haben, werden dieses Interesse auch nicht im Restaurant entwickeln. Ich denke die Angaben werden einfach gekonnt ignoriert. Chips, Schokolade und Co. haben auch Kalorienangaben und landen trotzdem bei Übergewichtigen im Einkaufswagen.
Ich nehme mal an, dass man so etwas dann halt einmal ausrechnet und gut ist. Ich meine, man ändert die Speisekarte ja nun nicht jeden Tag und bei den saisonalen Gerichten müsste man ja dann eh nur die Kalorienangaben vom letzten Jahr wieder heraus kramen. Der Aufwand wäre überschaubar und ja, natürlich wären die Angaben nicht wirklich genau, schließlich zählt niemand im Restaurant ab wie viele Pommes auf den Teller kommen.
Und da man eh nur überprüfen kann ob die Angaben auf der Speisekarte stehen und ob sie realistisch sind ist es außerdem völlig egal wer nun welchen Sonderwunsch hat oder wie viele Löffelchen Öl in der Pfanne landen. Das Gesetzt besagt nämlich nicht, dass das Restaurant verpflichtet ist mir ganz persönlich zu meinem bestellten Gericht auch die individuelle Kalorienangabe zu servieren.
Aber egal wie genau oder ungenau nun eine Angabe ist - ohne Kontext bringt das doch relativ wenig. Erst mal müsste ich das in den Kontext meiner gesamten Ernährung setzen um zu wissen, ob das für mich passt oder nicht. Und dann müsste ich natürlich auch wissen wie die Empfehlungen lauten. Wenn ich nicht weiß, wie viele Kalorien ich zu mir nehmen sollte am Tag, kann ich auch mit der Information, dass mein Nudelgericht 500 Kalorien hat, nichts anfangen.
Bei McDonalds hatte ich übrigens irgendwann mal eine Kalorientabelle in der Hand. Ich weiß nicht ob die in allen Restaurants ausliegt, aber bei uns gab es so etwas jedenfalls mal. Überrascht haben mich tatsächlich nur die Getränke, aber auch nicht die Softdrinks sondern Milchshakes, Eiskaffee und solche Sachen. Also alles mit viel Zucker und zusätzlich Fett. Habe ich mir irgendwann trotzdem wieder einen Kaffee mit 500+ Kalorien gegönnt? Ja klar.
Ich kann mir vorstellen, dass Kalorienangaben in Restaurants schon verwirrend sein können. Eigentlich könnte man nur ungenaue und ungefähre Kalorienangaben berechnen und auf der Karte einsetzen, was zwar nur einmal passieren müsste, aber ein falsches Bild vermitteln könnte. Oder es muss wirklich jedes Gericht genau mit den gleichen Mengen bestückt werden, das aufwendig und nicht unbedingt machbar wäre, weil dann auch jedes Stück Fleisch, jede Kartoffel genau abgewogen und geschnitten werden müsste.
Klar, das Kaloriendefizit ist die wichtigste Säule beim Abnehmen. Aber wenn dich zu Hause die Kalorien nicht jucken, warum sollten sie dich im Restaurant interessieren? Oder du blickst geschockt in die Karte, weil du gar nicht wusstest, dass eine normale Mahlzeit so viele Kalorien hat und wählst dann doch nur die Vorspeise aus, die deutlich weniger Kalorien aufweist. So können übrigens auch Essstörungen entstehen, es wird ein Impuls gesetzt und der wird sich ggf. weiter fortsetzen. So bin ich damals in die Problematik gerutscht.
Wenn man nicht täglich ins Restaurant geht und sich ansonsten auch nicht mit dem Thema beschäftigt, dann sind die Kalorienangaben nur ein ungefährer Wert und die Wenigsten wird es interessieren. Wenn man Pech hat, geschieht das Gleiche wie mit mir, es wird ein Impuls gegeben und man berechnet jede noch so kleine Kalorie aus, bis man nur noch 780 Kalorien am Tag zu sich nimmt, weil man sich denkt "je weniger umso besser". Ich denke, dass man dann eher noch eine Informationskampagne starten müsste, wie es sich mit den Kalorien wirklich verhält, was man beachten muss und dass nicht jede ausgiebige Mahlzeit gleich schädlich ist und dick macht.
Nee, Deutschland soll das bitte mal schön sein lassen. Denn wie so vielem was uns bisher politisch vorgesetzt wurde, würden die Gefahren außen vorgelassen und es würde nicht gut genug informiert werden. Vielleicht würde dann auch mal wieder dank unserer intelligenten Medien wieder eine groß angelegte Panik in Manier wie "dritter Weltkrieg", "tödlichstes Killervirus ever" oder "Karl Lauterbach als Gesundheitsminister" verbreitet und am Ende hätte eh keiner mehr Ahnung, was man denn nun essen dürfte.
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