Sollten Patienten für falsche Notfälle Gebühr zahlen?
In Deutschland sind die Notaufnahmen ja schon lange überlastet, weil viele Patienten da mit absoluten Bagatellen hingehen, die theoretisch auch ein niedergelassener Arzt behandeln könnte. Dass die Politik da entsprechend einschreitet und die Ärzte in der Notaufnahme dazu auffordert, die Nicht-Notfälle einfach nach einer kurzen Beurteilung zum nächsten niedergelassenen Arzt zu schicken, kann ich da sehr gut verstehen.
Ein Bekannter von mir ist der Ansicht, dass das noch zu wenig wäre. Er meint, es wäre am wirkungsvollsten, wenn man die Patienten eben zur Kasse bitten würde, die wegen eindeutiger Nicht-Notfälle in die Notaufnahme gehen würden. Das würde dann viele Patienten mit Bagatellen abschrecken und die Notaufnahmen zusätzlich entlasten.
Ich sehe das jedoch kritisch und sehe hier dann auch die Gefahr, dass die Menschen wegbleiben, die eben Angst davor haben, nicht als richtiger Notfall eingestuft zu werden (auch wenn ein Notfall vorliegen würde) und dass gerade einkommensschwache Menschen von der gesundheitlichen Versorgung ausgeschlossen werden könnten. Sollten Patienten, die fälschlicherweise eine Notaufnahme aufsuchen, mit Gebühren und Strafzahlungen belegt werden? Oder haltet ihr das für kontraproduktiv?
Ich sehe das wie du. Als Patient weiß man nicht genau, wo die Ärzte die Grenze zwischen "eindeutiger Nicht-Notfall" und "ja, doch, ist ein Notfall" ziehen. Und dann geht man aus Angst vor den Kosten einer Strafzahlung nicht hin.
Ich war vor ein paar Jahren mit Atemnot in der Notaufnahme. Ein Hausarzt wäre auch schon ausreichend gewesen, aber ich hatte keinen und zwei Allgemeinärzte lehnten mich telefonisch ab. Also bin ich in die Notaufnahme. Aber wäre ich ein eindeutiger Notfall gewesen? Was ist schon Atemnot? Es wurde nicht schlimmer. Wahrscheinlich hätte ich noch drei Jahre so schlecht atmend verbringen können, wenn ich mich nie wieder angestrengt hätte. Wollte ich aber halt nicht und ich war nervlich schon am Ende.
Aber wäre ich gegangen, wenn ich eine Strafzahlung befürchten hätte müssen? Wenn, dann muss ein eindeutiger Katalog erstellt werden. In dem darf dann beispielsweise Atemnot nicht drin stehen, weil sie ein echter Notfall ist. Und dann darf niemand mit Atemnot eine Strafe zahlen müssen, auch wenn er nur eine Schnupfennase hat. Denn als Patient kann man seine Atemnot selber nicht auf einer Skala einschätzen.
Ich finde schon, dass Menschen, die mit einfachen Kopfschmerzen oder einem kleinen Kratzer in die Notfallaufnahme kommen bestraft werden müssen. Das muss nicht sein und sollte auch finanziell bestraft werden. Ich finde es schon fair, wobei man dennoch keine Angst haben sollte und es in wirklich schlimmen Fällen zu dieser Bestrafung kommen sollte.
In Zweifelsfällen wird man das ja nicht machen und man würde es sicherlich auch nur machen, wenn der Fall wirklich auch vom Patienten als unnötig für die Notfallaufnahme einsehbar gewesen wäre.
Ich denke, dies ist der falsche Ansatz und es wäre auch kaum zu unterscheiden, welche Dinge nun echte Notfälle sind und welche nicht. In meiner Teenagerzeit litt ich unter heftigen Kopfschmerzen. Wir dachten uns nichts weiter dabei und schon gar nicht daran, damit in eine Notaufnahme zu fahren. Heraus kam dann schließlich ein Gehirntumor, der die Blutzufuhr abdrückte, was die Schmerzen verursachte. Vom behandelnden Arzt ging es deshalb sofort als Notfall ins Krankenhaus. Wir selbst hätten es jedoch nie als so schwerwiegend eingeschätzt.
Oder mein Freund hatte letztens einen Mückenstich, der etwas mehr als normal angeschwollen war. Er fuhr in die Notaufnahme, weil hier kein einziger Allgemeinarzt offen hatte und er sich wegen seiner vielen Allergien doch ein wenig Sorgen machte, dass es mehr sein könnte. An sich hätte ich aber gesagt, dass dies auch kein Fall für die Notaufnahme ist. Heraus kam dann jedoch ein anaphylaktischer Schock und wenn er nur ein bisschen länger gewartet hätte, wäre er gestorben.
Ich denke, dass endlich die Versorgung mit Allgemeinärzten mehr ausgebaut werden sollte. Alle Allgemeinärzte in der Umgebung haben maximal zwei Stunden am Tag geöffnet und dabei noch mindestens einen Tag in der Woche, wo sie ganz geschlossen haben. Hausbesuche werden von keinem dieser Ärzte gemacht, wobei mein Freund, der im Rollstuhl sitzt, bei bestimmten Problemen einfach nicht in eine Praxis kommen kann, weil er nicht in den Rollstuhl kommt oder ihn nicht bewegen kann. Ich kann ihm da auch nicht helfen, weil sein Rollstuhl nicht geschoben werden kann.
Wir würden gerne vorrangig zu einem Allgemeinarzt gehen, wenn wir akute Probleme haben. Aber es gleicht einem Lotteriespiel, bei Auftreten der Probleme auch zufällig einen Arzt zu finden, der geöffnet hat. Wenn man also nicht etwas langwierigeres hat, womit man sich einen Termin vielleicht auch außerhalb der Öffnungszeiten geben lassen kann, ist es nicht möglich, an einen Arzt zu kommen.
Wir haben hier eigentlich nicht immer Notfälle, aber wir brauchen trotzdem medizinische Behandlung. Und wenn sich hier nicht endlich mal etwas Grundsätzliches ändert, dann bleibt uns einfach nichts anderes als die Notaufnahme bzw. das Rufen eines Rettungswagens. Auch der ärztliche Notdienst ist hier in der Gegend übrigens stark überlastet und kommt erst nach vielen Stunden.
Die Ärzte hier legen es übrigens darauf an, dass man in die Notaufnahme fährt. Ich habe es nun schon von mehreren Leuten gehört, dass z.B. etwas gegen akute Schmerzen nur für einige Stunden vom niedergelassenen Arzt gegeben wird mit dem Hinweis, dass wenn man etwas für die Nacht braucht, es sich in der Notaufnahme bzw. vom Notarzt geben lassen soll. Es werden also keine Medikamente für die Nacht mitgegeben obwohl es voraussehbar ist, dass sie benötigt werden.
Ich sehe die Differenzierung zwischen echten und falschen Notfällen wie meine Vorredner ebenfalls als schwierig an. Manchmal erwächst sich aus Kleinigkeiten auch ein lebensbedrohlicher Zustand. Ein Bekannter meiner Schwiegereltern ist erst letzte Woche im Krankenhaus gestorben, obwohl ihn der Notarzt erst gar nicht von Zuhause aus mitnehmen wollte. Er fühlte sich absolut nicht wohl, konnte es aber auch nicht genau erklären, was mit ihm los ist. Sie haben ihn unter Murren mitgenommen, im Krankenhaus zur Überwachung auf die Station geschoben und gerade als er in sein Zimmer gerollt wurde, bekam er einen Herzinfarkt und starb auf der Stelle.
Bei meiner Mutter war es ähnlich. Sie hatte nur Schmerzen im Fuß, die aber immer unerträglicher wurden, sodass sie den Notarzt angerufen hatte. Auch der wollte sie nicht mitnehmen, aber sie bestand darauf. Im Krankenhaus stellte sich heraus, dass sie aufgrund einer winzigen Verletzung, die schon einige Tage her war, eine Blutvergiftung bekommen hatte. Hätte sie noch die Nacht abgewartet und wäre am nächsten Tag zum Arzt gegangen, hätte man ihr vermutlich das Bein abnehmen müssen, wenn sie nicht sogar gestorben wäre.
Strafgebühren sind nicht die richtige Lösung, auch wenn ich das Problem nachvollziehen kann. Es muss einfach flächendeckend an der Ärztedichte gearbeitet werden.
Ich finde, dass dies ein falscher Ansatz ist. Ich wurde vor Kurzem als Fußgänger von einem Auto angefahren. Es kam der Notarzt und der Rettungswagen und es stellte sich am Ende heraus, dass ich glücklicherweise nur ein paar fette Prellungen abbekommen habe. Also Glück im Unglück. Aber würde ich jetzt der Logik von Ramones folgen, dann müsste ich eine Gebühr bezahlen, obwohl ich nur Glück gehabt habe, weil ich nur ein paar "Kratzer", ein Schleudertrauma und halt grün und blau geworden bin.
Ich kann das Problem durchaus nachvollziehen. Aber aus einem normalen Kratzer kann sich verdammt schnell ein lebensbedrohlicher Zustand entwickeln. Im oben geschilderten Fall konnte ich mich nicht bewegen, ich war auch einige Zeit lang bewusstlos, weil mir ein Teil des Unfalls fehlt. Es hätte schlimmer kommen können und ich fände es nicht gut, wenn ich nun eine Strafgebühr zahlen müsste, weil ich in die Notaufnahme gebracht worden bin. Wenn man der Logik nämlich folgt, dann müssten auch Unfallopfer, die nur ein paar Prellungen davontragen zur Kasse gebeten werden. Ich kann mich übrigens immer noch nicht drehen oder sauber auftreten.
Täubchen hat geschrieben:Dass die Politik da entsprechend einschreitet und die Ärzte in der Notaufnahme dazu auffordert, die Nicht-Notfälle einfach nach einer kurzen Beurteilung zum nächsten niedergelassenen Arzt zu schicken, kann ich da sehr gut verstehen.
Kann man vielleicht verstehen, ist aber absoluter Bockmist. Für diese Beurteilung gibt es je nach Tageszeit zwischen 4 und 8 Euro Vergütung. Das teilen sich dann Schwester, Arzt und natürlich noch der Krankenhausbetreiber. Aber wie genau soll ich denn beurteilen, ob ein Notfall vorliegt oder nicht? Dafür brauche ich eine ordentliche Anamnese und Untersuchung, teilweise eigentlich bei einigen Fällen auch noch Blutuntersuchungen oder auch EKG und Röntgen. Das kostet mich locker 10-15 Minuten plus etwaige Unkosten für Untersuchungen. Und wie gesagt, wenn ich das in der Woche tagsüber mache, krieg ich dafür 4 Euro.
Das macht überhaupt keinen Sinn. Da kann ich auch gleich entweder die Notfallpauschale abrechnen oder versuchen daraus irgendwie einen stationären Aufenthalt zu machen, damit die Notaufnahme wenigstens ein bisschen Geld verdient um den nächsten Patienten, der Abends mit Schulterschmerzen seit 3 Wochen kommt, jetzt aber Röngten, Untersuchung und Infiltrationen haben will quer zu subventionieren.
Das grundlegende Problem ist doch, dass man versucht einen nicht erziehbaren Patienten zu erziehen. Natürlich gibt es einige, wenige die tatsächlich die Notaufnahme missbrauchen, obwohl sie wissen, dass sie da gar nicht hingehören. Aber dann gibt es eben auch einen ganz großen Teil an Patienten, die zwar nicht in die Notaufnahme gehören, sich dessen aber nicht bewusst sind. Viele halten sich ja für einen Notfall und kommen deswegen. Dass kann ich dann auch nicht weg erziehen.
Vielmehr muss man dann ansetzen und diesen Patienten eine Lösung anbieten. Und die kann dann eigentlich nur lauten, die Notaufnahmen ordentlich zu finanzieren. Warum kann der Orthopäde oder Kardiologe in der Notaufnahme bei einer ambulanten Fachbehandlung nur eine Notfallpauschale abrechnen, während der niedergelassene Kollege viel mehr berechnen und verschreiben dürfte? Wenn man den Patienten nicht in die Niederlassung steuern kann und genau das bezweifle ich stark, warum bauen wir dann nicht die Notaufnahmen so aus, dass sie den Patientenstrom bewerkstelligen können? Es kann doch nicht ökonomischer sein, wenn der Patient mit Rückenschmerzen eine Behandlung vom Facharzt bzw. Fastfacharzt in der Notaufnahme bekommt und dann wegen Physiotherapierezepten, Krankenscheinen oder auch Rehaanträgen zum Laien (Hausarzt) geschickt wird, der rumdoktern darf.
Ramones hat geschrieben:Ich finde schon, dass Menschen, die mit einfachen Kopfschmerzen oder einem kleinen Kratzer in die Notfallaufnahme kommen bestraft werden müssen.
Wie kannst du als Laie sagen, dass es "einfache" Kopfschmerzen sind, die man hat. Es kann viel mehr dahinter stecken. Je früher man da ins Krankenhaus gehen, desto eher kann festgestellt werden, was man hat.
Nehmen wir mal an, ein Mensch hat starke Kopfschmerzen und Tabletten helfen nicht. Dieser Mensch denkt aber, dass er nicht in die Notfallambulanz gehen kann, weil es ja "nur" Kopfschmerzen sind und es war ein Anzeichen eines Schlaganfalls. Diesem Menschen hätte man in der Notfallambulanz helfen können. Nun ist er vielleicht sein Leben lang behindert oder gar Tod.
Wie soll denn ein Laie sagen können, ob es ein richtiger oder falscher Notfall ist? Und wenn es ein "falscher" Notfall sein könnte, geht doch keiner mehr in die Notfallambulanz und lässt sich helfen. So werden Lungenentzündungen verschleppt, Anzeichen von Herzinfarkten nicht erkannt, Schlaganfälle zu spät erkannt.
Diamante hat geschrieben:Ramones hat geschrieben:Ich finde schon, dass Menschen, die mit einfachen Kopfschmerzen oder einem kleinen Kratzer in die Notfallaufnahme kommen bestraft werden müssen.
Wie kannst du als Laie sagen, dass es "einfache" Kopfschmerzen sind, die man hat. Es kann viel mehr dahinter stecken. Je früher man da ins Krankenhaus gehen, desto eher kann festgestellt werden, was man hat.
Es soll auch Untersuchungen geben, die können ambulant genauso erbracht werden wie im Krankenhaus. Es soll sogar CT´s und MRT´s geben die von niedergelassenen Radiologen betrieben werden und die man als Patient benutzen darf. Und einfache Kopfschmerzen gehören nun einmal nicht in die Notaufnahme, sondern zum Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst. Der wird dafür bezahlt, entweder im Sinne eines Fahrdienstes zum Patienten zu kommen oder sich in eine Bereitschaftspraxis zu setzen. Dort kann man mit einfachen klinischen Tests den Großteil der Nichtschlaganfallpatienten aussortieren. Was dann an Unklarheiten überbleibt wird in die Klinik eingewiesen.
Mal abgesehen davon wüsste ich auch gar nicht wie es funktionieren sollte, wenn jetzt jeder mit Kopfschmerzen ins Krankenhaus rennt. Nicht nur, dass man gar nicht so viele CT´s und MRT´s machen kann, der diensthabende Arzt wird einfach mit der Flut der Patienten nicht fertig. Denn dann kommen ja noch die ganzen Husten und Fieberpatienten, ein paar Hautausschläge, Unwohlsein und so weiter und alles landet in einem kleineren Haus, dann bei dem einzigen diensthabenden Internisten.
Eine gewisse Selektion muss schon sein, da einfach nicht genug Ressourcen zur Verfügung stehen. Und an zweiter Stelle muss man dann eben versuchen entweder den Patientenstrom zu lenken (was ich aber für schwierig halte) oder Notaufnahmen dann so auszustatten, dass sie dem Strom standhalten können. Das heißt in erster Linie wesentlich mehr Geld um sowohl beim ärztlichen als pflegerischen Personal aufrüsten zu können. Wer sich in 24 Stunden 40-50 Notfallpatienten alleine anguckt, der macht automatisch Fehler.
Aber abgesehen davon frage ich mich immer wie die Menschen vor 5 Jahren noch überlebt haben. Da fand sich gerade mal die Hälfte der Patienten von heute in der Notaufnahme ein. Und trotzdem sind die nicht gleich alle an einer Sepsis oder einem Schlaganfall verstorben.
Ich sehe das wie du: Ich glaube auch das dann auch Menschen bei denen die Notlage tatsächlich akut ist, sich nicht mehr trauen in die Notaufnahme zu gehen wegen eventuell anfallender Kosten. Es gibt ja auch immer noch Leute die Angst haben den Notarzt zu rufen weil Sie denken der Krankenwagenbesuch kostet etwas, auch wenn dies natürlich nicht stimmt. Meistens trifft es ja dann gerade die die es sich nicht leisten können. Die Menschen denen die Gebühren egal sein können, sitzen auch nach einer Einführung der Gebühren weiterhin wegen Bagatellen in der Notaufnahme. Ich glaube also nicht das so ein Strafgeld wirklich etwas bringt, sondern eher wieder die Falschen trifft. Eine Lösung des Problems habe ich allerdings auch nicht parat.
Ich frage mich vor allem warum es heutzutage mehr Menschen gibt die wegen Bagatellen in die Notaufnahme fahren als früher. Vielleicht liegt es daran das es heutzutage leichter ist an (falsche) Informationen zu kommen. Da wird aus Kopfschmerzen durch Dr. Google mal ganz schnell ein Hirntumor, und schon sitzt man panisch Sonntag Abend in der Notaufnahme. Und auch der (vermeintliche) Zeitdruck könnte schuld sein. Ich kenne einige aus meinem entfernten Bekanntenkreis die Sonntags zum Bereitschaftsarzt mit ihren Kindern gehen weil Sie unter der Woche angeblich keine Zeit haben. Ich finde so etwas schrecklich und würde so etwas nie tun. Wie man so etwas aber verhindern kann weiß ich leider auch nicht.
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