Sollte die Wissenschaft wirklich immer zeitnah informieren?
In diesen Coronazeiten wollen die Virologen und die Epidemiologen vorbildlich und zeitnah sehr ausführlich über den aktuellen Stand ihres Wissens bezüglich des Coronavirus informieren. Dabei werden auch Ergebnisse von einzelnen Studien vorgestellt, die sich naturgemäß manchmal widersprechen, da sie unterschiedliche oder zu kleine Populationen untersuchen. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass viele Menschen und vor allen Dingen erschreckenderweise viele Journalisten nicht damit umgehen können und die Aussagen verfälschen.
Gestern in der Sendung von Markus Lanz war zum Beispiel ein Gast, der seine Schwiegermutter zur Betreuung seiner Kinder holte, nachdem er erfahren hatte, dass Kinder angeblich nicht ansteckend sind. Eine Virologin, die auch anwesend war, erschrak und sagte, dass sei ja nur eine kleine Studie gewesen und daraus könne man nicht solche Schlussfolgerungen ziehen. Es sei auch nie behauptet worden, dass dies so sei, sondern dass die Studie das vielleicht vermuten ließe.
Ich sehe immer wieder die Schlagzeilen in den News und stelle fest, dass sie die Aussagen der Wissenschaftler oft völlig verdrehen oder verkürzen. Manchmal reicht da ein Wort, dass in den Zitaten weggelassen wird. Ich finde es gefährlich, dass jede Studie Erwähnung findet. Die meisten Leute denken nicht wissenschaftlich, verallgemeinern sofort, vereinfachen, verstehen nur das, was sie hören möchten und ziehen vielleicht gefährliche Schlüsse.
Insbesondere die Journalisten, die online möglichst zeitnah ihre Schlagzeilen produzieren müssen, sind oft verantwortungslos. Ich finde, dass die Wissenschaftler nicht immer alle Zwischenergebnisse, jede kleinste Studie und jede interne Diskussion preisgeben müssen. Die Leute verstehen es oft falsch und erkennen Widersprüche, wo eigentlich keine sind. Was meint ihr dazu?
Wissenschaft sollte in jedem Fall meiner Meinung nach immer transparent sein. Schon allein, weil eben je nach Versuchsaufbau oder eben auch einfach an Hand des Probenumfangs verschiedene Ergebnisse herauskommen können, muss man das nachvollziehen können. Und da gehört dann eben auch dazu, dass Studienergebnisse schon zeitnah veröffentlicht werden.
Man sollte jetzt nicht die Wissenschaftler für falsche Darstellungen in den Medien verteufeln. Da gehört eben guter Journalismus dazu, die Daten entsprechend zu verstehen und es dann vernünftig zu kommunizieren. Und an der Stelle hapert es dann ja oft. Die Journalisten verstehen wahrscheinlich teilweise gar nicht richtig, was sie da lesen und brechen es dann auch noch auf wenige Sätze herunter und kommunizieren dann falsche Darstellungen. Aber an der Stelle glaube ich jetzt nicht, dass es besser wird, wenn man noch eine Weile warten würde, bevor man die Ergebnisse veröffentlicht.
In der Regel veröffentlichen Wissenschaftler ja eben das, was sie in ihrer Studie oder Forschung herausgefunden haben. Und die Ergebnisse bleiben ja die Gleichen, egal ob man die jetzt veröffentlicht oder in 3 Monaten. Natürlich müssen sie deswegen nicht richtig sein, aber sie ändern sich ja nicht.
Und wenn wir jetzt bei deinem Beispiel bleiben, dann zeigt das ja, dass es deswegen eigentlich völlig egal ist, ob man mit solchen Ergebnissen warten würde. Ich kenne diese explizite Studie jetzt nicht, dass Kinder angeblich nicht ansteckend seien. Aber seit 2 Monaten gibt es schon genug andere Studien, die viel mehr sagen, dass Kinder in der Regel nicht symptomatisch sind, aber problemlos andere Menschen bevorzugt Ältere anstecken können. Und auch das war schon oft genug in den Medien zu hören. Das zeigt doch eigentlich nur, dass der Herr auf die eine Studie gewartet hat, die sein jetziges Handeln vermeintlich befürwortet und alle anderen ignoriert.
Das ist wie die Chloroquinschlucker, weil es ein Präsident erzählt hat, dass das gut sein soll. Es wird immer Menschen geben, die eben nur das hören, was sie hören wollen. Aber nur deswegen kann man Wissenschaft nicht neu erfinden und wissenschaftliche Arbeit anders durchführen.
So funktioniert Wissenschaft aber eigentlich. Wenn du eine Studie durchgeführt hast veröffentlichst du sie für den peer review Prozess durch die Kollegen. Das interessiert nur normalerweise niemanden, außer den Kollegen natürlich, die in deinem Feld tätig sind. Von daher ist es nicht die Schuld der Wissenschaftler, dass sich nun Journalisten auf der Suche nach der nächsten Schlagzeile auf pre-print Studien stürzen.
Und natürlich gibt es auch zahllose Beispiel dafür, wie Journalisten ordentlich veröffentlichte Studien genommen haben und eine Aussage aus dem Zusammenhang genommen und zur Schlagzeile aufgeblasen haben. Wenn ich irgendeinen Artikel über eine Studie lese, die mich interessiert, ist meine automatische Reaktion inzwischen, dass ich direkt nach der Quelle suche und den Artikel schließe.
Aber eigentlich kann man auch nicht den Journalisten die alleinige Schuld geben, denn die meisten würden wahrscheinlich viel lieber einen langen, ausführlichen Artikel schreiben als drei kurze Absätze mit Clickbait Überschrift. Aber das interessiert dann halt nicht so viele Leser, das generiert weniger Klicks und damit weniger Werbeeinnahmen.
Im Prinzip sind wir alle an der aktuelle Situation Schuld, weil wir alle gerne mal auf einen Clickbait Überschrift hereinfallen, selbst wenn wir ahnen, was dahinter steckt. Und weil wir eben alle gerne kostenlose Nachrichten konsumieren.
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