Sind Deutsche beim Wohnungsbau zu verwöhnt?
Ich habe kürzlich einen Artikel gelesen, in dem sich Architekten zum Wohnungsmangel geäußert haben, der ja durch die Flüchtlingskrise noch verstärkt wird.
Ein Architekt meinte dann, dass die Deutschen viel zu verwöhnt wären was den Wohnungsbau angeht. So wären viele Sachen wie beispielsweise Schalllisolierung, total der Luxus und überhaupt nicht lebensnotwendig. Seiner Ansicht nach könnte man schneller und viel günstiger bauen, wenn man auf so etwas wie Schallschutz verzichten würde. Dann wäre der Wohnraum auch bezahlbarer seiner Ansicht nach.
Wie seht ihr das? Findet ihr, dass man in Deutschland durch die hohen Standards im Wohnungsbau zu verwöhnt ist?
Schutz vor Geräuschen ist meiner Ansicht nach schon notwendig, zumindest will ja auch keiner nachts die Nachbarn oder den Verkehr hören. Denn nicht schlafen zu können ist sicherlich schlimmer, als wenn das Haus ein Zimmer weniger hat als man sich wünschen würde.
Warum sollte man denn freiwillig auf etwas verzichten, was man als angenehm empfindet? Wir können nun mal auf diese Art und Weise bauen also warum sollte man es nun wieder verlernen? Ich finde durchaus, dass die Deutschen teilweise sehr hohe Ansprüche haben, auch bei Wohnungen, aber dann muss man eben auch warten können, wenn man sonst keine Wohnung bekommt.
Schallschutz und Wärmeisolierung wären die zwei Dinge, die ich sehr wohl für notwendig halte. Sicherlich ist das nicht lebensnotwendig, aber es ist auf jeden Fall kein Luxus. Ruhe ist schon ein körperliches Grundbedürfnis. An gewisse Hintergrundgeräusche wie eine weiter entfernte Straße oder Bahn kann man sich ja durchaus gewöhnen. Aber ab einer gewissen Lautstärke geht das nicht mehr. Und Wärmeisolierung ist allein wegen des Energieverbrauchs heutzutage absolute Pflicht.
Trotzdem finde ich auch, dass viele Leute hierzulande in Bezug auf ihre Wohnung verwöhnt sind. In erster Linie betrifft das aber meiner Meinung nach die Wohnfläche. Bei Familien würde ich eine große Wohnung ja nicht unbedingt als Luxus ansehen, aber heutzutage wird für Singles gerne mal 70m² oder für ein Paar über 90m² als Minimum angesehen. Und dann wundern sich die Leute, dass sie sich eine solche Wohnung in einer Stadt heute nicht mehr leisten können.
Ansonsten ist die Ausstattung der Küche und des Bades oftmals auch sehr luxuriös. Letztere ist natürlich Sache des Vermieters, aber für Ersteres verschulden sich manche Leute auch gerne einmal hoch. Dabei kann man mit einer Küche für 2000 Euro auch ganz gut auskommen.
Er wäre wahrscheinlich der erste, der sich beschweren würde, wenn er in einer Wohnung ohne Isolierung leben müsste. Natürlich ist vieles nicht lebensnotwendig was bei Wohnungen zum Standard gehört. Warum braucht zum Beispiel jede Wohnung ein eigenes Bad? Das wird den größten Teil des Tages überhaupt nicht benutzt, das könnte man sich doch gut mit den Nachbarn teilen.
Was man sich auch mal überlegen sollte ist, wie viele Ressourcen man verschwenden würde, wenn man jetzt schnell irgendwelche Schrottwohnungen hoch zieht, die sich dann später nicht mehr vermieten lassen oder die aufwendig renoviert werden müssen. Schau dir doch mal die Plattenbauten an, die vergammeln weil keiner mehr in sie investieren möchte und weil dann natürlich auch jeder weg zieht, der die Möglichkeit hat.
Es wird sicher die ein oder andere Vorschrift geben, die nicht unbedingt notwendig ist, aber dazu dürfte ein Architekt kaum eine qualifizierte Meinung haben, das sind Sachen die eher Statiker und Bauingenieure betreffen. Wo man auch etwas machen könnte wären die Bebauungspläne, aber auch damit hat ein Architekt nichts zu tun.
Ich glaube es kommt auf die Sichtweise an. Ich finde zum Beispiel, dass die Isolierung schon sehr wichtig ist, besonders die Schallisolierung. Denn jeder, der mal in einem Haus mit mangelhafter Schallisolierung gewohnt hat weiß eben auch, dass das auf die Dauer ziemlich auf die Psyche geht. Ich meine sogar, es gäbe Studien zu diesem Thema, die nachgewiesen hätten, dass ein permanenter Lärmpegel sich eben auch in psychischem Stress äußern kann und dass ist ja wiederum nicht gut für die Gesundheit.
Was das Badezimmer angeht, das Cloudy angesprochen hat: Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist es gesetzlich geregelt und auch vorgeschrieben, dass jede Wohnung ein eigenes Bad besitzen muss. Das hat mit der Hygienisierung und der Sanitätsreform um die Jahrhundertwende zu tun, als man gemerkt hat, dass sich nur so (und mit einer zentralen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung) wasserbürtige Infektionen wie Cholera, Typhus und Ruhr auslöschen lassen.
Täubchen hat geschrieben:Was das Badezimmer angeht, das Cloudy angesprochen hat: Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist es gesetzlich geregelt und auch vorgeschrieben, dass jede Wohnung ein eigenes Bad besitzen muss. Das hat mit der Hygienisierung und der Sanitätsreform um die Jahrhundertwende zu tun, als man gemerkt hat, dass sich nur so (und mit einer zentralen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung) wasserbürtige Infektionen wie Cholera, Typhus und Ruhr auslöschen lassen.
Das kommt definitiv nicht hin. Bis in die Neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gab es hier in der Region noch Wohnungen, die lediglich ein Waschbecken oder einen Spülstein mit fließendem kaltem Wasser hatten. Die Toilette für alle Bewohner befand sich eine halbe Treppe tiefer. Auch dort gab es maximal kaltes Wasser, wenn überhaupt ein Waschbecken vorhanden war.
Zwanzig Jahre früher war das noch viel häufiger der Fall. Typische Zechenhäuser hatten damals oft ebenfalls nur einen Anschluss für kaltes Wasser in der Küche, die Toilette befand sich im Garten. Denn umgebaut wurde so etwas meist nicht vor den Siebzigern und ab da nicht flächendeckend.
@cooper: Ab 1914 war es in jeder modernen Stadt absoluter Standard für jede Wohnung ein eigenes Bad zu haben. Dann scheint eure Region zu damaligen Zeiten offensichtlich nicht modern gewesen zu sein und ist auch nicht mit der Zeit gegangen. Wenn du mir nicht glaubst, kannst du selbst in Schott (2014) über die "Europäische Urbanisierung" nachlesen oder aber in Vögele & Woelk (2000): "Stadt, Krankheit & Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert)".
Nun, es kann nicht vorgeschrieben gewesen sein, denn beispielsweise sind viele Zechenhäuser um 1920 komplett ohne Bad erbaut worden. Es gab kaltes Wasser in der Küche und ein Plumpsklo im Garten. Badezimmer wurden ab 1970 angebaut, aber dafür mussten Mieter 10.000 DM zuschießen. Das galt auch für eine Heizung und später Doppelglasfenster. Folglich blieben viele Häuser ohne diese Ausstattung, bis sie jemand gekauft und sich ausgebaut hat.
Ich bin in eine Vorstadtvilla geboren worden, die nach dem Zweiten Weltkrieg Toiletten auf dem Flur bekommen hat. Ein Badezimmer, eine Heizung und warmes Wasser gab es erst in den Achtzigern. Bochum oder Essen würde ich nun nicht als hinterste Provinz oder nicht als größere Stadt bezeichnen.
In den Neunzigern hatte einer meiner Nachbarn immer noch nur ein Waschbecken mit kaltem Wasser und eine Toilette auf dem Flur. Wäre ein Bad verpflichtend gewesen, dann hätte es das geben müssen. Aber selbstverständlich wurde das erst bei Neubauten nach dem Krieg. Die Umrüstung früherer Bauten hat erheblich länger gedauert.
Bad hin oder her, es hat sich über die Jahre einfach ein Standard etabliert und warum auf diesen nun verzichten, weil die Städte und Kommunen verpasst haben rechtzeitig für genug Wohnraum zu sorgen. Immerhin ist das kein Problem welches nun auf einmal aufgekommen ist, sondern das ist ein schleichender Prozess der schon seit mehreren Jahren geht und in dieser Zeit hätte man schon lange mit dem Bau beginnen und fertig stellen können.
Meiner Auffassung nach hat es auch nichts mit verwöhnt zu tun, denn es gelten immer mehr bauliche Vorschriften die eingehalten werden müssen. Dass ein Bad vorgeschrieben ist und wie dieses auszusehen hat, ist doch inzwischen geklärt und auf Neubauten trifft das alles zu. Dazu kommen noch die gesetzlichen Vorschriften zum Energie sparen und somit ist eine Wärmedämmung inzwischen Pflicht.
Daher werden auch viele Altbauten entsprechend schäbig nachgerüstet und zugeklebt mit Platten, da das auch wunderbar Bezuschusst wird vom Staat. Das diese Isolierung teilweise Lebensgefährlich ist, leicht Entzündlich und so gar nicht verbaut werden dürfte, ignorieren die meisten. Aber es ist wunderbar mit anzuschauen, wie eine komplette Hausfassade am brennen ist und vor sich her tropft, einfach weil sich nicht an die Vorschriften gehalten worden ist sondern es nur billig und schnell gehen musste.
Nein, dass ist alles nicht der Grund. Man hat es ignoriert und verpasst rechtzeitig Wohnraum zu schaffen. Der Trend war schon lange zu sehen, dass immer mehr kleine Wohnungen gebraucht werden da mehr Singles vorhanden sind und auch in den Städten mehr Wohnraum geschaffen werden muss, da diese auch am wachsen waren mit der Industrie und folglich auch mehr Menschen dort arbeiten und eine Wohnung brauchen.
In meiner Stadt wurde in den letzten 20 Jahren rein gar nichts gemacht, vorher wurde ein kompletter Stadtteil nach oben gezogen binnen 5 Jahren mit Platz für 50.000 Menschen. Das ist schnell, da wir hier nicht nur von einem Haus reden sondern von vielen hunderten und auch die komplette Infrastruktur musste erst geschaffen werden. Da gab es nicht eine Straße, kein Kanal kein gar nichts sondern nur Äcker und Wiesen. Jetzt fehlen hier in der Stadt 30.000 Wohnungen, ist aber bereits seit 15 Jahren bekannt und wurde nichts gemacht. Es war wichtiger, ein neues Fußballstadion in Planung zu geben und seit 10 Jahren die Gelder in der Planung zu verschwenden.
Nun muss man einlenken, da die Bevölkerung am rebellieren ist und dem Bürgermeister schon die Bude einrennt. Binnen weniger Monate muss nun eine Fläche gefunden werden, Anträge gestellt usw. Nun wurde hier eine Fläche gefunden, aber die Eigentümer sind bislang Bauern und man möchte sie nun Zwangsenteignen. Das Baugrundstück ist hier jede Menge Wert, aber die Stadt bietet nicht mehr als 25 Euro für den Quadratmeter, wobei dieser 150 Euro Wert ist alleine von der Lage her. Da niemand unter Wert verkaufen möchte, möchte man nun entsprechend Zwangsenteignen. Nur weil es vorher von der Politik nicht gemacht wurde, und darunter leiden nicht nur die Wohnungssuchenden sondern auch die Eigentümer der Grundstücke.
Wohnraumverdichtung ist ebenfalls ein nettes Beispiel. Hier sind in den letzten Jahren einige Parks abgerissen worden und stattdessen wurden Hochhäuser darauf gestellt. Nun wird auch die letzte Grünfläche hier in der Umgebung platt gemacht und gegen Plattenbauten ersetzt die einfach nur zum kotzen aussehen. Architekten haben ohnehin einen schrägen Geschmack was das betrifft, Hauptsache ausgefallen auch wenn es der letzte Mist ist und optisch nur einen Würgereiz auslöst. Immerhin müssten diese dort ja nicht wohnen. Früher hatte ich binnen 2 Minuten zu Fuß eine Grünfläche vor mir, inzwischen muss ich 20 Minuten mit dem Rad fahren. Bald geht das nur noch mit dem Auto, weil hier nun die Bunker binnen weniger Monate hochgezogen werden damit Wohnraum geschaffen wird.
Wohnen würde ich in keinem von dem wollen, Paradebeispiel ist das Hochhaus was hier vor 2 Jahren fertig wurde. Inzwischen ist es unbewohnbar und steht leer, einfach nur weil am Bau gepfuscht wurde vor "schnell schnell" und das ganze instabil ist. Nun soll es gesprengt werden und der nächste darf sich am nächsten Hochhaus versuchen, dass dann vielleicht stabiler steht. Die Bewohner mussten auch von heute auf morgen ausziehen und teilweise hausen diese noch immer in den Notunterkünften, da keine Alternative von der Stadt geboten wurde.
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