Sind depressive Menschen selbst Schuld an ihrer Situation?
Schon der leidenden Werther bei Goethe hatte erkannt, dass es auch psychische Krankheiten gibt und sinngemäß geäußert: "Es sagt ja auch keiner: Der Depp, stirbt am Fieber! Wäre er aus dem Bett aufgestanden, hätte sich einen guten Tee gekocht und einen schönen Spaziergang an der frischen Luft gemacht, wäre es ihm sicher bald wieder besser gegangen!" Nur leider hat sich die Erkenntnis bei vielen modernen Zeitgenossen immer noch nicht durchgesetzt.
Sich in die Lage anderer zu versetzen ist offensichtlich nicht jedermann gegeben. Wer selber nicht betroffen ist, kann sich oft nicht vorstellen, "anders" krank zu sein als mit einem gebrochenen Bein oder einer Grippe. Manche Leute sind geradezu widerwärtig gesund und fit und reagieren schon mit Unverständnis, wenn jemand schlechte Knie oder Bandscheiben hat. Wie sollen diese Gestalten dann verstehen, dass dich auch die Psyche nicht weniger an einem unbeschwerten Leben hindern kann als ein Gipsbein oder eine Lungenentzündung?
Ich selber bin zwar nicht der munterste Mensch und kenne auch Phasen der Freudlosigkeit, aber es war noch nie so schlimm, dass ich Behandlungsbedarf gesehen habe. Generell habe ich eher Respekt vor Menschen, die trotz aller Stigmata, Hohn und Verständnislosigkeit ihrer Umwelt nicht resignieren, sondern ihre psychische Erkrankung mit Therapien und Medikamenten bekämpfen.
Gerbera hat geschrieben:Sich in die Lage anderer zu versetzen ist offensichtlich nicht jedermann gegeben. Wer selber nicht betroffen ist, kann sich oft nicht vorstellen, "anders" krank zu sein als mit einem gebrochenen Bein oder einer Grippe. Manche Leute sind geradezu widerwärtig gesund und fit und reagieren schon mit Unverständnis, wenn jemand schlechte Knie oder Bandscheiben hat.
Es scheint tatsächlich Menschen zu geben, die eine Erkrankung höchstens dann nachvollziehen können, wenn man von außen etwas sieht (Beinbruch, Ausschlag, etc.). Vor Jahren hatte ich mal einen Bandscheibenvorfall gehabt, und trotzdem hatte mir mein damaliger Teamleiter Vorwürfe gemacht, ich würde mich ja nur drücken wollen. Einen Bandscheibenvorfall als echte Krankheit ließ er nicht gelten - vermutlich, weil man von außen nichts sehen konnte.
Kein Wunder, dass psychische Störungen von manchen Menschen noch viel weniger gut nachvollzogen werden können. Wenn man scheinbar körperlich gesund ist, dann braucht man doch nur aufstehen und sein Leben wieder in die Hand nehmen, denkt man und sagt das auch so. Allerdings setzt das die Betroffenen oft enorm unter Druck, denn man fängt noch stärker an, an sich selbst zu zweifeln bzw. zu verzweifeln. Warum macht man es nicht einfach? Die Leute sagen doch, dass es ganz einfach ist, warum kriegt man es trotzdem nicht hin? Allein diese Gedanken können einen enorm runterziehen und die Symptome noch mehr verstärken.
Wenn Menschen depressiv sind oder werden, haben sie sich das in der Regel nie bewusst ausgesucht, das ist klar. Wie schon von Anderen geschrieben kann soziale Isolation dazu beitragen, depressiv zu werden. Wenn man sich während der Corona Zeit mehr und stärker einsperrt als es eigentlich nötig ist, aus Angst vor einer Ansteckung (oder wegen irgendwelchen Warnungen in den Medien / Politikwelt) dann können Menschen dazu neigen, sich stärker zu isolieren als wenn es keine Trigger dafür geben würde. Risikogruppen werden sich unter Umständen derzeit auch stärker isolieren, die Chance eine Depression zu bekommen ist meines Erachtens für die Betroffenen hier also höher.
Gehe ich aber von Depression als Vererbung oder als Resultat eines traumatischen Erlebnisses im früheren Leben aus, dann sind Depressive aus meiner Sicht nicht immer Schuld. Trennt man sich in einer Beziehung vom Partner erst nach vielen Jahren aufgrund einer emotionalen Abhängigkeit dann ist der Weg bis zur endgültigen Trennung meist ein langer und Kräftezehrender, nicht zuletzt mit dem Bekommen von Depressionen verbunden.
Eine generelle Schuldzuweisung für alle Depressive kann und würde ich hier nicht vergeben. Eine Rolle spielt auch das Umfeld des Depressiven, ob man merkt dass der oder die Gegenüber Probleme / Depressionen hat und dann vielleicht dem Betroffenen / der Betroffenen versucht beizustehen und zu helfen.
Es ist keine Schande, aus welchen Gründen auch immer eine Depression oder andere psychische Krankheiten zu haben. Es kann jeden von uns treffen, völlig unvorbereitet. Der Weg in die Krankheit hinein ist oft leichter und kürzer, als der Weg daraus. Menschen, die dazu stehen und sich helfen lassen haben meinen größten Respekt verdient.
Also ich leide unter depressiven Phasen und ich weiß, dass ich nicht schuld an der Situation bin. Ich bin überhaupt nicht schuld an meiner psychischen Erkrankung, sie ist bei mir nämlich manmade und resultiert aus Erlebnissen in meiner Kindheit. Wenn ein Mensch dauerhaft unterdrückt, fertig gemacht wird oder Demütigungen in der eigenen Familie erleben musste, dann ist es kein Wunder, dass er nie ein Selbstwertgefühl entwickeln konnte und nie zu sich stehen konnte.
Ich leide unter PTBS, also nicht direkt unter einer Depression selbst. Jedoch ist eine Depression eine ernstzunehmende Krankheit und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie scheiße es ist morgens nicht aufstehen zu können, weil diese Last zu schwer ist, die Gedanken einen zerfressen, man unendlich traurig wird und vor Angst zittert. Der Körper wird an solchen Tagen unendlich schwer, der Kopf fühlt sich wie in einem Nebel an, es ist alles sinnlos.
Ich arbeite, ich mache Sport und ich ernähre mich gesund. Trotzdem bin ich nicht vor depressiven Momenten geschützt. Es gibt verschiedene Faktoren, die Depressionen begünstigen können, unter anderem auch exogene Faktoren, wie zum Beispiel der Lockdown. Mittlerweile gibt es auch die Depression als funktionelle Störung des Immun- oder Nervensystems, also eine Depression ist mehr als nur ein wenig Traurigkeit oder wie der TE behaupten würde: Faulheit.
Depressionen oder Ähnliches ist komplexer, die Behandlung einer solchen Erkrankung ist langwierig und anstrengend. Ich habe es mit meiner PTBS größtenteils geschafft aus diesem Teufelskreis auszubrechen, aber ich habe auch Tage, an denen ich diesen ganzen Müll nicht wegschieben kann. Es ist kräftezehrend, man steht unter einem immensem gesellschaftlichen Druck, man muss funktionieren, man muss immer gesund und fit sein. Man soll nicht erkranken, man darf nicht mehr traurig sein, man darf nicht einfach mal den Tag im Bett verbringen, weil einen Corona nur noch ankotzt.
@Ambrosia001: Du basierst dich auf eine einzelne Studie. Es gibt durchaus depressive Erkrankungen, die man mit Sport abfangen kann, bei mir war es so, aber dann musst du der entsprechende Typ dafür sein. Es gibt auch depressive Menschen, die das nicht können, denen Sport nicht hilft. Da muss eine angepasste Therapie her.
Wie gesagt, ich kenne sowohl die pflegende wie auch die andere Seite und ich finde, dass deine Gedankengänge da etwas zu verkrustet sind. Es gibt nicht "die Depression", es gibt zum Beispiel auch depressive Menschen, die dir in einem Moment ins Gesicht lachen und sobald du ihnen den Rücken zudrehst, zusammenklappen. Es gibt so viele verschiedene Formen einer Depression und ich finde, dass du diese Erkrankung und vor allem Erkrankte, irgendwie abwertest und als faul titulierst. (?)
@Wibbeldribbel: Vielen Dank für dein offenes und ehrliches Statement. Dazu gehört sehr viel Mut und Courage dazu zu stehen, auch in einem Forum, wo man die Menschen nicht wirklich kennt. Du hast meinen größten Respekt und stimme dir auch in den Punkten zu, wo es sinngemäß darum geht, dass es nicht die eine Depression gibt sondern viele Arten / Formen und Erscheinungsbilder.
Zwecks Ambrosia001: Ich würde da jetzt keine böse Absicht hinter den Formulierungen sehen, vieles ist ja auch als Frage formuliert. Manches Gemeinte kommt bei Vielen, einschließlich mir auch nicht immer sofort so rüber wie man es will. Aufgrund der Kürze der Editierbarkeit von Beiträgen ist es nach dem Schreiben und Absenden später nur schwer, Eindrücke und Postings zu revidieren oder die Meinung nach zu korrigieren.
Ich nehme mich von Formulierungsfehlern etc. nicht aus. Aufgrund dessen, dass sie ja schrieb dass sie mal ein FSJ gemacht hat, das vielleicht und angenommen noch gar nicht so lange her ist, unterstelle ich mal, dass die Userin nun noch nicht so alt ist um überhaupt über die großen Erfahrungen zu verfügen, welche der ein oder andere von uns zwecks fortgeschrittenen Alter bereits hat. Das hat nichts mit Dummheit oder so zu tun, das ist das Leben.
Am Ende sind wir doch alle hier auch um zu lernen und vielleicht auch die ein oder anderen Aspekte von Anderen anzunehmen und drüber nachzudenken. Lasst uns nicht zu streng miteinander umgehen und einfach hier etwas Spaß am Diskutieren und Austauschen haben.
Nebula hat geschrieben:@Wibbeldribbel: Lasst uns nicht zu streng miteinander umgehen und einfach hier etwas Spaß am Diskutieren und Austauschen haben.
Ich möchte nicht böse klingen, aber ich finde, dass man in einem Forum schon streng miteinander sein kann, die Betonung liegt auf kann. Die größten Voraussetzungen sind allerdings, dass man respektvoll und möglichst höflich bleiben sollte. Durch Kritik entwickelt sich eine Gesellschaft erst weiter. Stellt euch mal vor, dass jeder im Bundestag dem anderen zustimmen würde, ohne auch mal streng zu sein und sich gegenseitig zu kritisieren.
Das klingt nicht böse, ich lese ja keine Beleidigung oder Respektlosigkeit heraus. Schau mal, die Betonung liegt hier ja auf Diskutieren und Austauschen, nicht das am Ende alle einer Meinung sein müssen. Gerade bei solchen Themen ist schon ein Stück Sensibilität gefragt. Vielleicht war auch Streng ein Stück weit das falsche Wort von mir, ich meinte damit lediglich, sich nicht zu sehr in einer Diskussion zu verkrampfen und dem Anderen gegenüber "grantig" zu werden.
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