Sind alle Arbeitslose überhaupt noch vermittelbar?
Die Arbeitslosigkeit sinkt angeblich immer weiter. Allerdings gibt es einen festen Kern von Langzeitarbeitslosen, der einfach nicht kleiner wird. Vielleicht liegt dies auch am falschen Bild vom Langzeitarbeitslosen, dass uns vermittelt wird. Wenn man sich diverse Klatschblätter oder Pseudoinformationssendungen ansieht, könnte man meinen es gäbe massenweise Jobs und junge gesunde arbeitslose Nichtsnutze würden sich einfach nicht um Arbeit bemühen.
Doch sieht die Realität wirklich so einfach aus? Arbeitsfähig ist auch, wer nur 3 oder 6 Stunden arbeiten kann. Aber wer sucht solche Arbeitnehmer? Gerade solche Arbeitslose haben auch schon die entsprechende Erwerbsbiographie, weil sie eben schon länger nicht mehr mitkommen können. Je früher man krank wird, desto schneller kommt man nicht mehr mit und bei psychischen Erkrankungen wird oft Unwille oder Faulheit unterstellt.
Ganz brutal sieht es bei Mehrfacherkrankungen aus, da jede Fachrichtung ihre eigene Meinung hat und kaum ein Arzt Verständnis für andere Fachrichtungen hat. Beim GdB (Grad der Behinderung) werden Wechselwirkungen überhaupt nicht berücksichtigt, sondern es zählt nur der GdB der schlimmsten Erkrankungen. Bei zwei oder mehr Erkrankungen wird dies oft sehr problematisch.
Dabei wurden die GdB in den letzten Jahren oft abgesenkt und die Grenzen für die Verrentung wurden gleichzeitig erhöht. Dann hat auch nicht jeder ein Einser-Abitur mit pflegebedürftigen Angehörigen oder Kindern ist man auch nicht mehr so mobil. Je mehr dieser Faktoren zusammenkommen, desto aussichtsloser wird die Vermittlung.
Brauchen wir nicht eine völlige Neuorientierung in der Arbeitslosenvermittlung hin zu einer stärkeren Förderung eines Dritten Arbeitsmarktes oder einer stärkeren Frühverrentung? Ist die Arbeitsvermittlung eurer Ansicht nach nicht völlig falsch ausgerichtet? Können die meisten Langzeitarbeitslosen eurer Ansicht nah überhaupt noch in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden?
Wo wird denn beim GdB nur die schwerste Erkrankung angerechnet? Natürlich wird nicht einfach addiert, das wäre schließlich auch nicht sinnvoll. Aber es fließt schon alles ein. So kenne ich das jedenfalls von mir selbst, aus der Familie und dem Freundes- und Bekanntenkreis.
Natürlich können nicht mehr alle Menschen arbeiten, aber die große Masse kann es schon. Und eine Stigmatisierung durch ein Abschieben in einen dritten Arbeitsmarkt macht die Menschen nicht zufriedener, es verschärft ihre Probleme.
Denn aus dem dritten Arbeitsmarkt heraus gibt es schon gar keinen Job. Arbeitgeber wollen bestimmt keine Mitarbeiter, bei denen schon der Staat keine Hoffnung mehr hat. Die Bemühungen um Qualifizierung gehen zurück. Warum sollte man in Wackelkandidaten investieren, wenn man sie da parken kann?
Was ist mit den anderen Langzeitarbeitslosen? Warum bekommen die nicht dauerhaft mehr Geld, sondern müssen sich bewerben und ergattern vielleicht einen der noch selteneren Ein-Euro-Jobs? Das ist nun auch nicht fair.
Und was ist mit den ganzen Menschen, die Probleme haben und trotzdem arbeiten wollen? Wer investiert noch Zeit und Geld in die, wenn sie einmal arbeitslos werden? Die werden dann mangels Alternativen einfach in den dritten Markt gedrängt.
Juri1877, Du sprichst hier mehrere interessante Themen an. es ist in der tat nicht einfach, als chronisch kranker oder behinderter überhaupt einen Job zu finden. Allerdings sehe ich hier auch die Rehabilitationseinrichtungen in der Pflicht, die am Markt vorbei ausbilden, aber hier tut sich Gott sei Dank langsam einiges.
Schwierig ist auch die Haltung, mit der oft an die Rehabilitation herangegangen wird. Anstatt die Potenziale des zu vermittelnden herauszustellen und ehrlich und transparent über die Dinge zu reden, die schwierig sind, wird suggeriert, dass der Arbeitnehmer mit den richtigen Hilfen ohne jegliche Veränderung von innerbetrieblichen Abläufen oder Anpassungen einsetzbar ist. Das muss aber nicht immer so sein. ..
Ich denke, viele Arbeitslose wären durchaus vermittelbar, wenn die Betriebe bessere Hilfe bei der Eingliederung bekämen. damit meine ich vor allem kompetente Ansprechpartner, die in der 1. Zeit zwischen Arbeitgeber und neuem Angestellten vermitteln.
Auch müssen die schwer vermittelbaren Arbeitnehmer anders geschult werden. sie müssen lernen, offen und transparent mit ihren Grenzen und Möglichkeiten umzugehen und selbst proaktiv auf ihre Chefs zugehen, wenn sie ein Problem bemerken.
Trotzdem wird es natürlich immer auch Arbeitslose geben, die sich nicht vermitteln lassen. Allerdings halte ich eine Fokussierung auf einen dritten, gesonderten Arbeitsmarkt für den falschen weg. Gezielte Unterstützung der Beteiligten ist erst einmal zu bevorzugen, und ich könnte mir sogar vorstellen, dass sich das auf lange Sicht sogar wirtschaftlich rechnet. ..
Dass Empfänger von Arbeitslosengeld 2 je nach Wohnort komplett unterschiedliche Bedingungen vorfinden, das zeigen schon die nackten Zahlen. 16,5 Prozent aller Einwohner von Berlin erhalten ALG 2, in Bayern sind es nur 3,5 Prozent. Sind die Einwohner Bayerns grundsätzlich gesünder, belastbarer und besser ausgebildet? Oder liegt es doch am Arbeitsmarkt?
Gut, es ist nicht fair, einen Stadtstaat mit einem Flächenland zu vergleichen. Aber Sachsen-Anhalt mit 11,9 Prozent ist immer noch weit von Bayern entfernt. Dagegen schneidet der Stadtstaat Hamburg mit 10,5 Prozent geradezu glänzend ab.
In Bayern dürfte tatsächlich ein hoher Prozentsatz der wenigen Empfänger nicht vermittelbar sein. In anderen Regionen wird der Anteil nicht anders sein, die meisten könnten arbeiten, wenn es Jobs geben würde. Wo es die nicht gibt, da bleiben zig Menschen im Arbeitslosengeld 2 hängen, die arbeiten können und wollen.
bikabran hat geschrieben:Trotzdem wird es natürlich immer auch Arbeitslose geben, die sich nicht vermitteln lassen. Allerdings halte ich eine Fokussierung auf einen dritten, gesonderten Arbeitsmarkt für den falschen weg. Gezielte Unterstützung der Beteiligten ist erst einmal zu bevorzugen, und ich könnte mir sogar vorstellen, dass sich das auf lange Sicht sogar wirtschaftlich rechnet. ..
Hier sehe ich viele fromme Wünsche, die letztlich bewirken, dass nichts passiert. Normalerweise rutscht man erst nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in Hartz IV und hat zig Stellenangebote geschrieben und so nach 150 bis 300 Absagen ist das Selbstwertgefühl bei den Leuten nicht mehr vorhanden. Da bringt nur noch ein Dritter Arbeitsmarkt oder die Frührente etwas. Alles andere ist Augenwischerei.
cooper75 hat geschrieben:Und was ist mit den ganzen Menschen, die Probleme haben und trotzdem arbeiten wollen? Wer investiert noch Zeit und Geld in die, wenn sie einmal arbeitslos werden? Die werden dann mangels Alternativen einfach in den dritten Markt gedrängt.
Bisher werden die überhaupt nicht zur Arbeit gedrängt, sondern die bekommen nur noch Termine und Absagen bis die Psyche auch kaputt ist. Da wäre ein Dritter Arbeitsmarkt oder die Frührente wesentlich besser. Es wollen übrigens mit Sicherheit noch alle arbeiten aber irgendwie passen Anforderungen und Leistungsbereitschaft nicht mehr zusammen.
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