Sich wünschen, manche Begabungen gar nicht zu haben?

vom 10.12.2016, 21:59 Uhr

Ich hatte mal einen Klassenkameraden gehabt, der extrem gut in den naturwissenschaftlichen Fächern war. In diesen hatte er immer nur glatte Einsen gehabt. Obwohl der Klassenkamerad an sich sehr nett war und sich auch "normal" verhalten hatte, galt er doch immer wieder als Streber und als Nerd. Viele hatten sich von ihm abgewendet, während kurz vor Klausuren jeder zu ihm kam, um sich den Stoff von ihm erklären zu lassen.

Der Klassenkamerad meinte auch irgendwann einmal, dass seine Begabung doch teilweise auch sehr nachteilig wäre und er es oft einfacher hätte, wenn er eben nicht so auffällig gut in diesen Fächern wäre. Aber ob das wirklich so ernst gemeint war, weiß ich natürlich nicht.

Wünscht ihr euch manchmal, manche Begabungen von euch gar nicht erst zu haben, weil ihr es sonst einfach leichter im Leben hättet? Worum handelt es sich dabei und könnt ihr so eine Sichtweise nachvollziehen oder ist das für euch unverständlich?

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» Prinzessin_90 » Beiträge: 35273 » Talkpoints: -0,01 » Auszeichnung für 35000 Beiträge



Ich finde das ziemlich traurig, dass sich dein Mitschüler für diese Begabung schämen musste. Leider sind Kinder oft fies zueinander, so dass man ein dickes Fell haben muss das in diesem Fall wegzustecken. Ich persönlich wünschte ich hätte eine solche naturwissenschaftliche Begabung, da es für die Zukunft extrem nützlich ist. Ich persönlich musste für gute Noten in Mathe und Co. immer sehr viel tun, von daher kann man nicht wirklich von einer Begabung sprechen.

Ansonsten kenne ich aber ein Mädchen aus meiner ehemaligen Schule, die immer sehr gut zeichnen konnte. Wirklich geschämt hat sie sich dafür nicht, allerdings wurde es ihr hin und wieder zum Nachteil weil alle in Kunst ihre Hilfe wollten, dadurch hat sie sich natürlich ausgenutzt gefühlt und jeder hielt es dann für selbstverständlich, dass sie die Arbeit übernimmt.

» bambi7 » Beiträge: 1248 » Talkpoints: 16,84 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Es hängt sicher davon ab, wie der Einzelne seine Begabungen zur Schau trägt, oder wie er ansonsten mit seiner Umwelt interagiert. Ich kenne zwei vollkommen unterschiedliche Fälle aus meiner Schulzeit, die mir das ganz offensichtlich vor Augen geführt hatten.

Vorausschicken muss ich, dass ich Jahrgang 1962 bin, und es zu meiner Zeit als absolut uncool galt, wenn Jemand gut Noten hatte. Damals hatten wir nicht so klare Vorstellungen davon, was wir später einmal werden wollten, denn eine so triste und graue Zukunft, was den Arbeitsmarkt betrifft, hatten wir nicht vor Augen. Deshalb konzentrierte sich meine Generation eher auf das Leben als auf die Karriere. Und wenn damals Jemand in der Schule eine außergewöhnliche Begabung zeigte, dann fiel das absolut auf.

Der erste Fall, von dem ich berichten >möchte, war ein Klassiker. Ein Junge, der in der vierten Klasse bereits die Mathematikbücher der achten Klasse gelesen hatte. Natürlich hatte er nur Einsen und sah auch aus, wie man sich einen klassischen Streber vorstellte. Der wusste in den naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern einfach alles. Er wurde gar nicht mal so häufig gehänselt, wie man meinen sollte. Und das obwohl er wirklich sehr seltsam wirkte. Er war schüchtern, war absolut unsportlich und wirkte körperlich total kränklich, hatte eine Brille, was damals wirklich etwas war, was man lieber nicht haben wollte. ´Wie gesagt, wir hänselten ihn sehr selten, weil er uns irgendwie unheimlich vorkam. Und es war ganz offensichtlich, dass er sich für seine Begabung schämte. Das war wirklich auffällig. Er schämte sich regelrecht, wenn er sich wieder mal als Einziger bei einer schweren Frage des Lehrers meldete.

Der andere Fall handelt auch von einem Jungen, der alles wusste. Ein wirklich hochbegabter Mensch. Auch nur Einsen und mit überragendem Wissen ausgestattet. Aber der verhielt sich vollkommen anders. Er suchte den Kontakt zu anderen Mitschülern, half auch bereitwillig, und wirkte niemals arrogant. Er war ein exzellenter Sportler und sah auch noch unverschämt gut aus. Er war bei mir in der Parallelklasse und ich ertappte mich zusehends dabei, dass ich einen gewissen Hass gegen ihn entwickelte. Das war eine total dummer Reaktion meinerseits, weil ich schlichtweg neidisch war auf diesen Menschen, der nicht nur schlauer war als ich, sondern wohl auch noch stärker und schöner.

Irgendwann einmal traf ich ihn in der Pause und er kam geradewegs auf mich zu. Er sprach mich höflich an und ich verspürte eine Wärme, die ich selten bei einem Menschen gespürt hatte. Er erwies sich als absolut integer, als aufgeschlossen und ohne irgendwelche Vorurteile. Er fühlte sich keinen Deut besser als andere Menschen, und das führte dazu, dass er von allen anderen anerkannt wurde, und von diesem Augenblick an auch von mir.

» Freidenker28 » Beiträge: 749 » Talkpoints: 1,02 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich denke auch, dass es darauf ankommt man selbst mit so einem Talent umgeht. Wenn man sich damit überall wichtig macht und aufbläst, dass man dies oder jenes ja so gut kann, braucht man sich vielleicht auch nicht zu wundern, dass dies irgendwann auch zum Nachteil werden kann.

Wenn ich ein Talent habe, an dem ich vielleicht auch andere teilhaben lassen kann und sie damit auch unterstützen könnte, würde ich das stillschweigend machen und eben nicht an die große Glocke hängen. Ich bin generell ein Mensch der eher ruhig ist und sich sicherlich nicht wichtig machen möchte. So ist ein Talent von mir auch Jahre lang verborgen geblieben und ich habe es eigentlich niemandem erzählt. Das war für mich allerdings auch weder Vor - noch Nachteil.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



In der Pubertät ist es natürlich bescheuert, wenn so ziemlich jede andere Fähigkeit und Eigenschaft um Längen höher geschätzt wird als akademisches Talent oder gute Schulleistungen. Aber ich finde, man sollte nicht vergessen, dass die Jugendjahre mit ihren Hänseleien und sozialen Grausamkeiten nur einen Bruchteil des ganzen Lebens ausmachen.

Beispielsweise haben sich bestimmt viele erfolgreiche Musiker mit 13 nicht wirklich darüber gefreut, dass sie jeden Tag stundenlang Klavier üben mussten. Aber mittlerweile gestehen sie sich bestimmt auch ein, dass es ein ganz nettes Gefühl ist, weltweit Konzertsäle zu füllen, die Menschen zu begeistern und Großartiges zu schaffen. Und auch wenn es nicht gerade lustig war, in der Mittelstufe wegen guter Noten in Mathe und Physik gehänselt zu werden, so blickt bestimmt so mancher hoch bezahlte Ingenieur oder Physik-Professor mit einem versonnenen Lächeln auf seinen Kontoauszug, während die "coolen Kids" von anno dazumal gerade so über die Runden kommen.

Aus diesen und ähnlichen Gründen tue ich mir schwer damit, wenn jemand stöhnt, dass dieses oder jenes Talent doch so eine Last sei. Ich würde sogar sagen, dass manche begabten Menschen nicht wegen ihres Talents in der Jugend ausgegrenzt werden, sondern weil es ihnen eben an anderen Faktoren gefehlt hat. Wer nicht das passende Sozialverhalten zeigt, wird aus Gruppen oft hinaus gebissen, was gerade in einer Schulklasse dramatische Folgen hat. Das ist natürlich keine Entschuldigung, aber zumindest eine Erklärung dafür.

Außerdem habe ich schon öfter erlebt, dass gerade besonders eitle und selbstgefällige Leute sich darüber beschwert haben, was für ein erbärmliches Leben man als angehende Balletttänzerin oder Informatiker doch habe, um auf diese Art nach Komplimenten zu angeln und neben Bewunderung auch noch Mitgefühl zu kassieren, obwohl sie den ganzen Mist eigentlich freiwillig machen. Ich selber finde es am angenehmsten, wenn man nicht nur seine Schwächen annimmt, sondern auch zu seinen Stärken steht und versucht das Beste daraus zu machen. Dazu gehört für mich auch, dass man sich endlich damit abfindet, dass man vor 30 Jahren in der Schule immer als Letzter zum Ballspielen gewählt wurde. :roll:

» Gerbera » Beiträge: 11315 » Talkpoints: 48,61 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Wer galt in der Schule schon als Cool mit guten Noten? Da kenne ich niemanden und selbst habe ich das auch erfahren müssen was hinter meinem Rücken berichtet wurde wie es dazu gekommen ist. Oftmals war es auch nur der Neid, dass Gerüchte in die Welt gesetzt wurden. Angeblich wäre ich doch ein Junge, den Mädchen sind niemals gut in den Naturwissenschaften, andere Gerüchte besagten ich habe etwas am laufen mit dem Chemielehrer der gänzlich nur auf Männer gestanden hat. Alles Haltlose Vorwürfe über die ich nur lachen konnte, denn sie wurden von minderbemittelten Menschen in die Welt gesetzt.

Jeder hat in der Schule genug Möglichkeiten gute Zensuren zu erreichen, sei es durch einfaches hinsetzen und üben oder man geht andere Wege die mir unterstellt wurden. Beides gibt es auch später in der Berufswelt. Oder noch nie davon gehört, dass sich Person XY nach oben geschlafen hat und sonst nichts drauf hat? Auch das ist eine Begabung die man erst einmal haben und ausleben muss damit man etwas erreicht.

Ich musste mit meinen Fähigkeiten nicht hausieren gehen, da ich ohne Einzelgänger bin und keine Menschenmassen leiden kann und auch Menschen um mich herum als Gruppe unangenehm finde. Das hat es noch mehr begünstigt zu versuchen eine Opferrolle aufzuzwängen und weil ich dort nicht mitgemacht habe und mich nicht als Opfer gesehen habe, wurde es auch irgendwann langweilig.

Dennoch gibt es Dinge die ich manchmal schon gerne nicht hätte. Dümmer lebt es sich einfacher, so sagt manches Sprichwort und empfinde ich auch so. Dumme Menschen machen sich nicht um alles Gedanken, können nicht die Hintergründe nachvollziehen und spielen verschiedene Szenarien vorher mehrmals in ihrem Kopf durch mit unterschiedlichen Ergebnissen. Dumme Menschen Leben ihr Leben von heute auf morgen und machen sich um nichts Gedanken und fahren damit meistens noch nicht einmal sonderlich schlecht, sie stehen sich selbst nicht im Weg.

Manchmal wird mir meine Hochintelligenz schon zum Verhängnis und ich verliere mich in tausend Gedanken zu einem Problem und komme dann erst einmal nicht weiter mit der Problemlösung. Dümmer würden mir manche Dinge wohl gar nicht einfallen und in Betracht gezogen werden, daher wäre ich manchmal schon gerne Dümmer.

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» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge


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