Sich von Bedürftigkeit abgeschreckt fühlen?
Es gibt ja Menschen, die einen besonderen Gewinn daraus ziehen, wenn jemand auf sie angewiesen ist, sei es, weil sie sich dann selbst stark und kompetent fühlen, sei es, weil ihnen das Abhängigkeitsgefühl ein besonderes Gefühl der Sicherheit in dieser Beziehung gibt. Und dann gibt es Menschen, die sich genau davon abgeschreckt fühlen, die keine Verantwortung für andere übernehmen wollen und sich von zuviel Verbindlichkeit abgeschreckt sehen.
Jede Form der Hilflosigkeit wirkt wie ein Warnsignal und sie laufen regelrecht weg, manch einer sieht vielleicht einfach seine eigenen Schwächen im anderen und kann das nicht ertragen, mancher fühlt sich zu autark und erwartet das auch von der Umwelt. Wann wart ihr schon von Bedürftigkeit abgeschreckt und warum? Kommt es auf die Konstellation bzw. das Verhältnis an? Was ist mit Kindern und Tieren, sind die eine Ausnahme? Welche Art von Bedürftigkeit ist nicht mehr tolerabel und wirkt besonders abschreckend?
Ich finde es schlimm, dass du die These aufstellst, man würde nur helfen, damit man sich stark und kompetent fühlen kann. Sagen wir mal ein Freund ruft an und braucht Hilfe bei einem Umzug. Fühle ich mich dann überlegen? Nein, ich helfe einfach, weil ich seine Not sehe und gerne helfen möchte. Ich fühle mich von bedürftigen Menschen nicht abgeschreckt. Wozu auch? Jeder kann mal in eine Notlage geraten und ist dann auf Menschen angewiesen, die helfen.
Ich denke es schreckt oft einfach ab, weil man unsicher ist, was genau das Richtige ist. So war ich beispielsweise mal mit einem schwerbehinderten Menschen einkaufen. Dieser konnte sich nur noch durch Augenbewegungen mitteilen und das war natürlich auch nicht eben leicht beim Einkaufen, weswegen wir eine Weile gebraucht haben. Nun kam die Verkäuferin zu mir und wollte mir helfen, weil sie ihn aber noch gar nicht sah, als sie ihn sah sah man den Schock in ihren Augen und sie war abgeschreckt. Das war auch nicht weiter schlimm, ich habe ihr erklärt, dass sie uns nicht weiterhelfen kann, wir einfach etwas Zeit brauchen, weil die Person eben nicht sagen kann was sie möchte und wir uns daher alles ansehen müssen beziehungsweise langsam daran vorbeifahren müssen. Sie war sichtlich erleichtert und ging wieder woanders hin. Wahrscheinlich hatte sie einfach Angst etwas falsch zu machen.
Jeder kann aber in so eine Lage kommen und das muss man sich einfach auch vor Augen führen. Ein Unfall und man sitzt im Rollstuhl, eine Unwissenheit und schon braucht man Hilfe. Ich denke nicht, dass hier jeder alles selber macht. Immerhin holt man auch mal Handwerker oder fährt den Bus auch nicht selber, wir sind alle immer mal wieder auf andere Menschen angewiesen.
Ich glaube, hier geht es um emotionale Bedürftigkeit in Beziehungen und weniger um "an sich kompetenter und autarker Mensch braucht Hilfe beim Umzug" oder "Bettler braucht Kleingeld". Das ist doch etwas ganz anderes. Und natürlich ist die "Bedürftigkeit" eines Kindes oder Haustieres, welches ohne dich in drei Tagen tot ist, etwas ganz anderes als die eines Partners oder einer Partnerin, die schmollen, wenn man ihnen nicht täglich sagt, dass sie hübsch sind.
Ich selber kann mit keiner Form der Bedürftigkeit wirklich etwas anfangen. Ich muss nicht "gebraucht" werden, damit ich mich nützlich und wertvoll fühle. Zumal da es objektiv gesehen ja in den meisten Fällen Unsinn ist. Wenn man von Kindern und Tieren absieht - wenn ich meinem Bekannten nicht beim Möbel Schleppen helfen kann, muss er eben jemand anderen fragen. Es ist noch kein Umzug daran gescheitert, dass Frau Gerbera an dem Tag keine Zeit hatte. Zwar helfe ich Familie und Freunden, wo ich kann und spende auch für die weniger Begünstigten, aber ich rede mir nicht ein, dass nur ich jemandem helfen kann. Ich bin nur eine Option unter vielen.
Und in einer Beziehung möchte ich nur ein Minimum an Bedürftigkeit erleben. Komplett egal möchte ich meinem Partner schließlich auch nicht sein, und manchmal brauche ich tatsächlich jemanden, der mir Schokolade mitbringt und mir sagt, dass ich hübsch bin. Aber das basiert auf Gegenseitigkeit, und im Großen und Ganzen ist mir eine Beziehung zwischen autarken und selbstständigen Menschen lieber, als wenn einer immer das Kind spielt und für jeden Furz Unterstützung braucht.
Mich lässt übertriebene Hilflosigkeit von Menschen, die eigentlich nicht bedürftig sein müssten, ganz weit rennen. Und dass ich dann gehe, ist besser für denjenigen, weil ich den Betreffenden sonst sprichwörtlich erwürgen könnte. Es ist nicht so, dass ich mich da unangenehm gespiegelt sehe oder an eigene Schwächen denke. Ich fühle mich manipuliert und erpresst.
Ich erwarte natürlich , dass jeder eine Insel ist, alles selbst hinbekommt und Emotionales mit sich selbst ausmacht. Das kann niemand und das sollte auch niemand müssen. Schließlich sind Partner, Familie und Freunde auch zur aktiven Unterstützung da.
Aber man kann es sich eben auch in seiner Bedürftigkeit bequem machen und den anderen die Verantwortung für das eigene Leben aufdrücken. Meine Mutter ist ein schönes Beispiel. Die hat immer alles allein gewuppt und größten Wert auf Auswirkung gelegt. Dann kam der Schlaganfall.
Das ist richtig schlimm, keine Frage. Ich war jeden Tag im Krankenhaus, mindestens zweimal pro Woche in der Reha. Selbstverständlich habe ich alles umgestellt, um die zur Therapie zu fahren, den Haushalt zu schmeißen und für sie einzukaufen. Da habe ich gar nicht drüber nachgedacht, das war vollkommen normal für mich.
Und dann kam der Knaller. Nach einem Jahr war sie wieder richtig fit geworden. Bis auf einen leicht hängenden Mundwinkel, ganz leichte Sprachstörungen und Muskelschwäche wegen mangelnder Bewegung war alles wieder gut. Nach kompletter, einseitiger Lähmung und komplettem Verlust der Sprache eine Wahnsinnsleistung.
Nur war das der nur auf Außenwirkung bedachten Frau zu wenig. Also lud die alle Verantwortung auf mich und verlor immer mehr der hart erarbeiteten Fähigkeiten wieder. Denn zum Einkaufen mitkommen, das ging natürlich nicht mehr, nachdem sie gesehen hat, dass sie an der Obstwaage üben müsste und an der Käsetheke einmal ein Wort fehlte. Das ist sicher unangenehm, aber deshalb die Situation komplett zu meiden, das kann es auch nicht sein.
Und so zog sich das dann durch alles. Wenn sie Obst und Gemüse nicht selbst wiegen und an der Theke nicht bestellen will, dann kann sie gleich daheim bleiben. Ständig jammerte sie, dass sie nicht spazieren gehen kann. Dabei konnte sie das und die Therapeuten meinten, dass sie höchstens ein Jahr den Rollator braucht. Kurze Strecken gingen eh schon ohne. Aber so dürfen sie die Nachbarn nicht sehen. Also blieb sie drin.
Immer mehr blieb an mir hängen. Ich durfte zweimal wöchentlich 90 Kilometer anreisen und immer mehr erledigen. Sie ließ alles abprallen. Ich habe das brav durchgezogen, die irgendwann zu mir geholt und bis zu ihrem Tod gepflegt. Und natürlich ist mir klar, dass die einen extremen Einschnitt erlebt hat und die typische Depression danach entwickelt hat. Die natürlich ihrer Meinung nach nie da war und deshalb nicht behandelt werden musste.
Aber es gibt eben solche Menschen, die richten vollkommen ohne Not ihr ganzes Leben so ein, dass andere müssen. Da gehe ich laufen. Wäre das nicht meine Mutter gewesen, die keine Pflegestufe hatte, weil sie zu gesund dazu war, hätte ich auch nicht so mitgespielt. Da war der Haken, dass es ganz ohne Hilfe nicht ging, da fällt es schwer, den Menschen hängen zu lassen. Und mit Job, Mann, Kind und der ewigen Anfahrt fehlt die Kraft für Diskussionen irgendwann.
Aber es geht auch andersherum. Ich hatte einen Partner, der für sein eigenes Selbstwert - und Sicherheitsgefühl viel Abhängigkeit gebraucht hat. Den verunsicherte zutiefst, dass er mir kein Leben nicht komplett finanzieren durfte und dass ich trotz unserer Beziehung an eine eigene Karriere gedacht habe, wo ich doch nie den Lebensstandard erreichen kann, den er mir bieten konnte. Das ging auch nicht gut und war nicht lustig.
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