Sich selbst immer wieder neu erfinden?
Ich kannte den Begriff "sich neu erfinden" zwar schon lange, wusste bisher aber nie so richtig, was das denn bedeutet. Nun habe ich herausgefunden, dass es so viel bedeutet, wie sich zu verändern. Man möchte sich entweder charakterlich verändern, wenn man sich neu erfindet oder man möchte sein Leben von Grund auf ändern, indem man beispielsweise einen neuen Job sucht oder auch umzieht.
Ich finde den Begriff dennoch sehr merkwürdig und verwende diesen so nicht. Erfindet ihr euch selbst immer wieder neu oder habt ihr das überhaupt schon einmal gemacht? Verwendet ihr diesen Ausdruck tatsächlich auch so im Alltag?
Ich habe das mal gemacht, aber dann nicht noch mal. Man muss sich das so vorstellen, dass ich meine komplette Jugend und Kindheit, geprägt durch meine Eltern, sehr schüchtern war. Als ich dann meinen Mann kennenlernte unterstützte er mich darin ich zu sein, nicht mehr schüchtern zu sein und somit wurde ich zu einem ganz neuen selbstbewussten Menschen. Wobei ich mich gar nicht immer wieder neu erfinden muss, da ich so recht zufrieden mit mir bin.
Ich kann damit auch nichts anfangen. "Neu erfinden" bedeutet ja, dass ich mich schon mal erfunden hätte und diese Idee finde ich schon reichlich merkwürdig. Das klingt so als würde man eine Rolle spielen oder eine Fassade aufbauen.
Veränderungen gehören für mich außerdem ganz normal zum Leben dazu. Man verändert sich doch ständig, weil man neue Erfahrungen macht, neue Sachen für sich entdeckt, neue Leute kennen lernt, alte Gewohnheiten ablegt und so weiter.
Für mich hat der Begriff etwas von dem gern bemühten Mythos der Frau, die sich ihre Haare abschneiden lässt und deshalb dann irgendwie ihr Leben radikal ändert. Als würde das, was auf dem Kopf ist, irgendwie einen Einfluss auf das haben, was im Kopf ist.
Ich finde den Ausdruck "sich neu erfinden" auch ziemlich unglücklich gewählt. Denn es ist ja nicht so, dass man sich jemals selbst neu erfunden hätte. Man wird geboren und durch die Gene und Erfahrungen wird der Charakter beeinflusst und geprägt und man muss im Prinzip mit dem Leben, was man hat und kann sich nicht den Charakter und die Optik komplett selbst neu basteln, es sei denn man lässt sich chirurgisch zu einer Barbie-Kopie schnipseln.
Wahrscheinlich bin ich schon zu alt für solche Vorstellungen, aber in meinen Augen ist man spätestens nach der Pubertät zu gefestigt in seinen Charaktereigenschaften, Vorlieben und Abneigungen, um sich wirklich von Grund auf neu erfinden zu können. Kinkerlitzchen wie eine neue Frisur oder einen neuen Kleidungsstil zähle ich sowieso nicht dazu.
Maximal könnte ich mir vorstellen, dass man diesen Ausdruck verwenden könnte, wenn beispielsweise ein Profisportler nach dem Ende seiner Karriere sich beruflich komplett umorientiert und ein Restaurant eröffnet, oder was auch immer, aber selbst dann finde ich nicht, dass sich die Person wirklich neu erfunden hat.
Ich selber habe mich eher linear zu der Person entwickelt, die ich heute bin und kann in meiner Biographie keine spektakulären Brüche aufweisen. Mittlerweile wäre es mir auch zu mühsam, mich komplett neu zu erfinden, da es schon aufwändig genug war, bei der Persönlichkeit anzukommen, die ich heute mit mir herumtrage.
Wieso diesen Begriff nicht verwenden? Nicht alle machen nur kleine Veränderungen durch sondern einen kompletten Wandel. Und dann finde ich diesen Begriff doch sehr passend, da man wirklich versucht an sich selbst etwas zu ändern und die restliche Umwelt das auch so wahrnehmen kann. Ramones hat bereits ein solches Beispiel geliefert, das hat auch nichts mit einer neuen Frisur für eine Veränderung zu tun, denn trotzdem bleibt man dabei vom Charakter her der gleiche Mensch.
Ich habe mich schon mehrmals neu erfunden und finde daran auch nicht wirklich etwas schlimmes. Das meiste ist durch Veränderungen passiert die entweder das ganze notwendig gemacht haben oder aus eigener Unzufriedenheit heraus. So wechsele ich nicht nur gelegentlich den Job und Wohnort, sondern habe mich im laufe der Zeit auch dazu entscheiden meinen gelernten Beruf an den Nagel zu hängen da mich diese Aufgaben nicht mehr genug gefordert und erfüllt haben. Erst mit dem Studium und neuen Perspektiven hat sich mehr ergeben und momentan mache ich gerade den nächsten beruflichen kompletten Wandel durch.
Wieso auch nicht? Wieso sollte ich immer auf dem selben Standpunkt stehen bleiben und mich selbst nicht weiterentwickeln dürfen? Die Interessen ändern sich über die Jahre, genauso wie die Bedürfnisse. Deswegen finde ich es wichtig, dass man einfach mit der Zeit geht und sich entsprechend auch verändert wenn es notwendig ist. Da meine ich keine kleinen Veränderungen wie eine Frisur, eine neue Nagellackfarbe was man einfach mal so machen kann.
Wenn man unglücklich in seinem Job ist, wieso sollte man ihn dann noch 30 weitere Jahre machen anstatt mit Kraft und Mut an die Sache zu gehen und ggf. einen 180 Grad Wandel zu vollziehen? Viele lassen sich einfach vorher davon entmutigen und versuchen es erst gar nicht, diese können mit dem Begriff und dem Gefühl von Freiheit dahinter aber auch nichts wirkliches anfangen.
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