Sich nicht trauen, aus Elternhaus auszuziehen?
In einem anderen Beitrag Sich wegen WG-Angebot für Ausbildung entscheiden? schrieb ich ja schon von einer neuen Methode eines Arbeitgebers, Azubis in spe für eine Ausbildung zu motivieren. In dem Zeitungsartikel hat auch gestanden, dass viele Bewerber in letzter Sekunde die Ausbildung abgelehnt und damit nicht angetreten sind, weil sie sich nicht getraut haben, aus dem Elternhaus auszuziehen und ein Pendeln wegen der Distanz nicht möglich oder erwünscht war.
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wie man sich nicht trauen kann, aus dem Elternhaus auszuziehen. Ich halte das ehrlich gesagt für einen vorgeschobenen Grund, weil der Ausbildungsberuf plötzlich doch nicht so toll war. Es ist ja auch klüger, sich bei mehreren Firmen zu bewerben, damit man hinterher die Auswahl hat. Ich finde, wenn man etwas wirklich will, dann hat man auch keine Hemmungen aus dem Elternhaus auszuziehen. Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe. Wie seht ihr das? Könnt ihr nachvollziehen, dass manche Menschen sich nicht trauen, aus dem Elternhaus auszuziehen? Ist das eher "typisch" für Landmenschen, um die es in dem Zeitungsartikel ging?
Ich fand das schon hart, als ich wegen des Studiums in eine andere Stadt ziehen musste; ich habe mich da richtig verlassen gefühlt und ich war vorher noch nie die ganze Woche auf mich alleine gestellt und das auch noch in einer fremden Stadt, in der man sich nicht auskennt und sich deswegen öfters mal verfährt. Es ging nicht anders, weil ich halt zur Uni wollte, aber ich fand es schon sehr sehr hart, sich dann plötzlich um sich alleine kümmern zu müssen. Da ich ohnehin schwer Anschluss finde, bin ich die erste zeit richtig vereinsamt. Ich kann das verstehen, wenn man davor Angst hat.
Ich habe hier schon Verständnis dafür, dass manche/r Auszubildende kalte Füße bekommt. Schließlich handelt es sich hier je nach Ausbildung oft um Teenager von 16 Jahren, da nicht jeder privilegiert genug ist, ewig mit Abitur und Uni herum zu eiern und sich mit Mitte/Ende Zwanzig allmählich mal ans Abnabeln zu machen. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte in dem Alter eine Lehre anfangen müssen, hätte ich wohl auch ziemliche Startschwierigkeiten gehabt.
Ich bin mit 19 zum Studium ausgezogen (Stichwort privilegiert), habe aber noch jahrelang jedes Wochenende bei meinen Eltern verbracht. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich "vom Land" bin, aber ich war eben auch noch mit Mitte Zwanzig ganz gerne mal daheim, und meine Eltern hat es auch absolut nicht gestört. Meiner Berufslaufbahn hat es auch nicht geschadet.
Ich kann mir auch vorstellen, dass viele Eltern sich auch damit schwertun, ihre Kinder loszulassen und diese dann auch nicht gerade aktiv ermutigen, möglichst früh aus dem Nest zu springen. Und wenn man 16 ist, sowieso schon Schiss hat und Mama und Papa entsprechende Geräusche machen, dass man ja noch ein Jahr lang bei Onkel Werner in der Werkstatt jobben könnte, siegt eben manchmal das Menschlich-Allzumenschliche.
Je nach Branche könnte ich sogar vermuten, dass die Chancen auf eine Lehrstelle mittlerweile auch so gestiegen sind, dass Schulabgänger sich das für sie optimale Angebot aussuchen können und nicht mehr froh sein können und wunder welche Opfer bringen müssen, damit sie überhaupt irgendwo genommen werden.
Ich glaube schon, dass es für manche junge Menschen schlimm ist, wenn sie dann plötzlich in eine eigene Wohnung oder in eine WG ziehen müssen und dann auch zu wenig Wissen haben um durch den Alltag zu kommen. Viele Kinder bekommen ja alles nachgetragen und da ist der Auszug natürlich eine Katastrophe, weil sie wirklich nichts ohne Hilfe schaffen können. Außerdem beginnt dann ein Lebensabschnitt, bei dem man weiß, dass es nicht leicht wird, man hat nicht mehr den täglichen Rückhalt der Eltern und muss alles selber machen.
Ich hatte mit dem Auszug bei meinen Eltern keine Probleme. Wir haben uns einfach schon lange nicht mehr so verstanden und da war es für mich ein wichtiger und richtiger Schritt, auch wenn ich sicherlich auch nicht alles perfekt konnte, aber ich habe es mir eher zugetraut, weil ich eben ausziehen wollte. Den Auszug habe ich als Chance gesehen mich selber zu verwirklichen.
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