Sich nicht auf das eigene Leben konzentrieren können?
Manchmal ist es ja so, dass man extrem viel um die Ohren hat - auch Sachen, die mit anderen Menschen zu tun haben - so dass man gar nicht dazu kommt, sich auf sich selbst und sein eigenes Leben zu konzentrieren. Wenn man sich beispielsweise über lange Zeit um die kranken Eltern kümmern muss, selbst noch kleine Kinder hat und man generell viel gefordert ist, kann es sein, dass man gar nicht so recht kommt, sich um seine eigene Entwicklung und um das eigene Wohlergehen zu kümmern.
Ging es euch schon einmal so, dass ihr euch gar nicht auf euer eigenes Leben konzentrieren konntet, weil ihr so viel anderes um die Ohren hattet und euch so viel um andere Menschen kümmern musstet? Wie hat sich das dann alles geändert und reguliert?
Dafür bin ich eindeutig zu egozentrisch. Ich halte mich zwar für einen halbwegs hilfsbereiten und sozial eingestellten Menschen, aber wenn ich ehrlich bin, war mein eigenes Leben immer meine oberste Priorität. Das heißt natürlich nicht, dass ich gelangweilt zusehe, wenn Freunde und Familie meine Hilfe brauchen, aber auf Dauer habe ich eigentlich nicht vor, mein eigenes Leben zugunsten Anderer hintenanzustellen. Das ist einfach nicht meine Art.
Ich würde ziemlich schnell ausflippen, wenn ich die Bedürfnisse anderer dauerhaft so radikal vor meine eigenen stellen müsste, wie es beispielsweise bei kleinen Kindern der Fall zu sein scheint. Ich möchte am Wochenende ausschlafen und nicht sommers wie winters um fünf Uhr vom Trippeltrappel kleiner Füßchen geweckt werden, Essen und ins Kino gehen, wann ich will, und "Bibi und Tina" können mir auch gestohlen bleiben.
Ein paar Wochen könnte ich das schon machen, aber was mache ich mit den anderen 17 Jahren und 10 Monaten? Bei Pflegebedürftigkeit wäre es ähnlich: ein paar Wochen aushelfen und generell ein scharfes Auge darauf haben - Ehrensache! Jahrelang 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen - niemals! Von daher kann ich mich recht gut auf mein eigenes Leben konzentrieren. Ich sehe es als elementar wichtig an, die eigenen Grenzen und Bedürfnisse zu kennen und notfalls auch zu verteidigen. Sonst wirst du ausgesaugt und landest in der Ecke, wenn du nichts mehr zu bieten hast im Dienst an anderen.
Mir geht es genauso. Ich könnte mir so einen Zustand auf Dauer überhaupt nicht vorstellen. Ich mag Kinder, ich mag aber auch die Eltern sehr gerne, die sie nach ein paar Stunden wieder bei mir abholen und freue mich, dass ich ganz spontan mit meinem Partner auf eine Party gehen kann, kein Vermögen für einen kurzfristigen Babysitter ausgeben muss und am nächsten Morgen ausschlafen kann.
Das typische Argument ist dann immer "das klingt total egoistisch!", aber das sehe ich anders. Ich kenne mit gut genug um zu wissen, dass ich mich meinen Mitmenschen nicht zumuten wollte wenn ich mich nicht mehr auf mein eigenes Leben konzentrieren könnte und jahrelang bei allem Kompromisse machen müsste.
Klar, "extrem viel um die Ohren haben" kommt vor im Job, aber wenn ich dann keine bewussten Auszeiten nehme produziere ich irgendwann keine zufriedenstellenden Ergebnisse mehr und habe dann im Endeffekt mehr Arbeit und muss mehr Zeit investieren als wenn ich mir trotz viel Arbeit Zeit für meinen Sport oder das gemeinsame Kochen nehme.
Irgendwie habe ich dezente Verständnisprobleme ... Ich habe gepflegt, ziehe Kinder auf und arbeite. Wie kommt man darauf, dass man sich da hat nicht richtig auf das eigene Leben konzentrieren kann? Auf welches denn sonst bitte? Das eigene Leben hört nicht auf und niemand drückt eine Pausetaste! DAS ist das eigene Leben! Und das ist kein Ponyhof, da muss man immer sehen, wie man selbst zurechtkommt.
Das ganze Selbstverwirklichungsgedöns ist in meiner Generation längst noch nicht jedem vergönnt. Da haben genügend Leute stupide Jobs, sind finanziell darauf angewiesen, zu Zweit zu sein, und haben kaum Freizeit. Und um die zu gestalten, fehlt dann die Kohle. Das ist beschissen und keine Phase, sondern deren Alltag, der mit der Rente nicht besser wird.
Kinder, Pflege, stressige Zeiten im Job? Das ist alles der gleiche Klumpatsch. Da muss man einfach aufpassen, dass man Zeit und Aktivitäten für sich behält. Andere als beim Dauerschuften zum Mindestlohn ist dabei immer eine Ende abzusehen. Kinder werden groß, pflegebedürftige Angehörige sterben und stressige Zeiten im Job gehen vorbei.
Dabei kann man problemlos sein Leben in ziemlich vollen Zügen genießen und sich auf das Heute und das Morgen konzentrieren. Das muss man dann nur tun! Es ist natürlich bequem, das nicht zu tun und sich von den Umständen treiben zu lassen. Schließlich ist man dann armes Opfer der Umstände und es vollkommen verständlich, dass man dieses und jenes nicht erreicht hat. Man kann sich aber auch einfach mit seinem Leben arrangieren und das beste daraus machen. Dafür wird man dann nur nicht bedauert, es gibt eher Kritik.
Ganz ehrlich? Was macht man denn bei lebensverändernden Einschnitten wie schweren, eventuell chronischen Erkrankungen, Unfällen oder dem frühen Tod des Partners, wenn man sich wegen Pflege, Job oder Kindern schon nicht mehr auf sein Leben konzentrieren kann? Sofort einen Strick nehmen? Wie ist man denn bitte lebensfähig, wenn normale Lebensbedingungen einem schon das Leben versauen? Schwierig wird es doch erst, wenn man sich den Luxus, etwas für sich selbst zu tun, nicht mehr leisten kann.
cooper75 hat geschrieben:I Das eigene Leben hört nicht auf und niemand drückt eine Pausetaste! DAS ist das eigene Leben! Und das ist kein Ponyhof, da muss man immer sehen, wie man selbst zurechtkommt.
Die Frage ist eben, ob man dann noch behaupten kann, sich auf das "eigene Leben" zu konzentrieren, wenn man sich über viele Jahre mit Müh und Not noch ein paar Momente "für sich" herausschinden kann und um die ganzen Bedürfnisse anderer herum die Reste der eigenen Identität krampfhaft zusammenhält. Das Leben ist für niemanden ein Ponyhof, aber ich muss es mir ja nicht aktiv noch mehr versauen, nur weil die Generationen vor mir und viele meiner Altersgenossinnen keine Alternativen gesehen haben.
Schließlich geht es hier explizit um meine Art Existenz, nicht um die anderer Leute. Und natürlich werden Kinder groß und Eltern geben den Löffel ab. Aber ich kenne aus meiner Umgebung auch genügend Biografien, origineller weise fast alle von Frauen, bei denen die Aufzucht des Nachwuchses nahtlos in die Pflege von Angehörigen übergeht, etwa weil sie alte Eltern haben. Oder die Kinder sind "endlich" groß, und dann kommt der Herzinfarkt oder der Brustkrebs.
Da lasse ich mir lieber Vorwürfe machen, ein rückgratloser Egoist zu sein, als 20 bis 40 Jahre meines Lebens für andere zu leben und mich schon zu freuen, wenn ich Sonntag nachmittag mal ungestört eine gute Tasse Tee nippen kann.
Aber genau die 20 bis 40 Jahre, die man angeblich nicht für sich hat, passieren nur, wenn man das zulässt. Ich habe immer zwei zeitaufwendige und kostenintensive Hobbys behalten und zusätzlich freie Zeit für mich. Denn auf sich achten muss man immer. Man muss nur den Hintern in der Hose haben, das auch durchzusetzen. Es ist immer die eigene Entscheidung, das eigene Leben aus den Augen zu verlieren. Und das wird gern genommen, weil es am Anfang so bequem und einfach ist. Nur ist hinterher der Katzenjammer groß und natürlich sind die anderen die Ursache.
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