Sich nicht als Opfer fühlen gesellschaftlich verpönt?
Gerade habe ich zu einem immer mal wieder aktuellen Thema über Natascha Kampusch geschrieben. Dabei fiel mir natürlich keine treffendere Bezeichnung ein, als zu sagen, dass sie eben nicht das klassische Opfer ist, welches für üblich in sich gekehrt ist, keine Lust hat, sich in eine Rolle wiederzufinden, die sie als schwach outet und mehr.
Genau an diesem Fall fällt mir das allerdings besonders extrem auf. Natascha Kampusch spaltet die Menschen in ihrer Auffassung, was ein Opfer darf und was nicht. Ich lese dabei auch immer mal wieder Kommentare bei Facebook, wo ich einige sogar gemeldet habe, weil die mir persönlich zu weit gingen. Manch einer hat sogar Anzeige erstattet, was ich auch verstehen kann.
Nun werfen Natascha Kampusch viele vor, sie mache aus ihrer Tragödie Geld. Lassen wir das einmal so stehen, aber was ist daran verwerflich? Was macht Christian F nochmal und das ziemlich erfolgreich? Immerhin lebt sie heute noch von den Buchverkäufen und ihr Sohn wird auch etwas gutes Erben, wie sie selbst einmal sagte. Ist also nichts anderes, als jeder andere auch tun würde, wenn man das ankreidet.
Sie hat von dem Geld aber anders, als andere eine Schule in einem anderen Land erbaut, sich das Haus, wo sie gepeinigt wurde gekauft und eben Bücher geschrieben. Mittlerweile zwei. Sie gibt auch unregelmäßig Interviews mit der Begründung, dass sie nicht will, dass andere IHRE GESCHICHTE erzählen, lügen und dazuerfinden. Da dies schon immer mal wieder vorkommt, möchte sie alles nur selber sagen.
Nun ist sie das perfekte Beispiel dessen, dass sie eben nicht das Opfer sein möchte, welches sich verkriecht, in die Ecke sitzt und weint. Sie möchte kämpfen, sich weiterbringen, arbeiten und mehr. Das wird ihr jedoch von vielen Menschen zum Vorwurf gemacht, weil sie ja eine schlimme Sache hinter sich gebracht hat und jetzt offenbar das "Opfer" sein muss und nicht die daraus resultierte starke Frau.
Ist es bei Euch auch so, dass ein Opfer, welches sich nicht als Opfer sieht, mehr verpönt wird, als jemand, der sich seiner Rolle angenommen hat? Oder unterscheidet ihr da deutlich? Immerhin geht ja auch jeder mit den Dingen ganz anders um. Respektiert ihr jede Herangehensweise oder nicht?
Mir ist die Frau Kampusch persönlich alles andere als sympathisch, aber das hat wohl nicht viel mit ihrer Biographie zu tun. Dennoch bewundere ich die Tatsache, dass sie es geschafft hat, in all den Jahren nicht durchzudrehen und auch in ihrem Erwachsenenleben, in dem sie praktisch unvermutet vom Kellerloch ins Licht der medialen Öffentlichkeit gezerrt wurde, ihre Linie bei zu behalten.
Was die Opferrolle angeht, könnte ich mir vorstellen, dass bei vielen schlichter gestrickten Leuten ganz einfach der Neid spricht. Die Frau Kampusch bekommt wegen ein paar popligen Jahren Kellerloch Unmengen Aufmerksamkeit und steckt das Geld, das sonst irgendwelche Zeitungen oder Paparazzi an ihr verdienen würden, in die eigene Tasche. Das geht natürlich gar nicht.
Aber auf der anderen Seite ist die Sensationsgier dann doch groß genug, dass es überhaupt erst möglich wird, daraus Kapital zu schlagen. Auf diese krude Mischung aus Neid und billigem Voyeurismus gebe ich gar nichts. Da soll die gute Frau schon lieber schauen, dass sie auch etwas davon hat, dass die Leute nach Details aus ihrem Leben gieren.
Zudem ist es ja nichts Neues, dass es nicht gerne gesehen ist, wenn man sich auch nur ein kleines bisschen anders verhält, als es von einem erwartet wird. Ein Fünklein Gerissenheit, wo die Gesellschaft Demut erwartet, ein klein wenig Aggressivität, obwohl man eigentlich als Opfer konstruiert wird oder ein Hauch Selbstbewusstsein, obwohl man Übergewicht hat, und schon ist man unten durch. Nach meiner Theorie liegt es daran, dass manche schlichten Gemüter es nicht mögen, wenn man ihr enges, kleines, festgefügtes Weltbild erschüttert.
Dann könnte man nämlich ins Nachdenken kommen und mit seinen eigenen Vorurteilen und Unzulänglichkeiten konfrontiert werden, und das ist mühsam und kann sogar wehtun. Da ist es einfacher, sich über die Leute zu empören, die sich nicht an die Spielregeln halten, die ihnen von außen angetragen werden. Wie gesagt, ich habe durchaus Respekt vor Leuten, die es schaffen, mit dem ganzen albernen Medienzirkus zu spielen, ohne sich vereinnahmen zu lassen und dabei auch noch geschickt wirtschaften.
Bei Frau Kampusch gibt es tausend und eine Geschichte was nun wahr sein soll und was nicht, was sie gemacht haben soll, was passiert sein soll und was nicht. Mir tut sie in gewisser Weise schon sehr leid, weil sie sich nicht richtig wehren kann und die Leute einfach nicht aufhören sie zu beschimpfen und sie anzugehen, ihr Fragen zu stellen und ins Licht der Öffentlichkeit zu ziehen. Ich kenne ihre Variante ihrer Geschichte, wobei ich nicht glaube, dass sie da irgendwie lügt. Wozu auch?
Natürlich ist sie kein typisches weinerliches Opfer, aber ich finde schon, dass man ihr das vergangene Leid ansieht. Mir ist völlig egal welches Detail nun stimmt oder nicht, sie hat so viele Jahre gelitten und da kann sie sein wie sie möchte. Wenn sie den ganzen Tag im Fernsehen wäre würde mir es trotzdem leid tun, was mit ihr passiert ist. Immerhin ändert das nichts und jeder kann und soll so mit solchen Situationen umgehen wie er will.
Wichtig ist es doch zu überleben und da muss jeder seine Strategie finden. Sie hat sich herausgekämpft aus dem Elend vergangener Tage und möchte nun einfach die Frau sein, die sie geworden ist, abseits dessen was passiert ist. Wo ist das denn ein schlimmer Weg? Ich finde die Ächtung, die ihr entgegenschlägt nicht fair, nicht menschlich und absolut asozial.
Man muss Frau Kampusch ja persönlich nun nicht mögen, aber man muss ja auch bedenken das diese Frau jahrelang gefangen gehalten wurde. Das sie gekidnappt wurde ist erwiesen und da war sie ein Kind. Das hat sie sich nicht selbst ausgesucht. Ich finde allein diese Tatsache schon grausam genug.
Ich denke auch nicht, dass sie einen Grund zum Lügen hätte, aber ich kann mir schon vorstellen, dass sie einige Details verschweigt aber aus anderen Gründen. Manche Dinge sind nun mal unangenehm oder Dinge, die man nicht verkraftet. Wer weiß was der Mann nicht noch alles mit ihr gemacht hat. Ich denke mir auch nicht, dass ein Vergewaltigungsopfer zum Beispiel furchtbar gern vor Medien spricht, wie die Vergewaltigung im Detail abgelaufen ist - das Opfer geht bei den Erzählungen ja auch sprichwörtlich durch die Hölle.
Dasselbe denke ich ist es auch bei Frau Kampusch. Manche Dinge werden einfach nicht erzählt.
Man muss mal überlegen was das aus einem Menschen machen kann, wenn jahrelang abgeschottet wird von allem was man gekannt hat. Aber sie hat das überlebt und ist nicht durchgedreht. Dies ist in meinen Augen bemerkenswert. Und mal davon ab, dass ihr in den Jahren auch viel weggenommen wurde - alles was die meisten Kinder eben bekommen. Zuneigung, Schulbildung und andere Freiheiten. Ich denke mal das ist mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen was ihr Peiniger ihr weggenommen hat. Klar hat sie auch einiges nachgeholt nach ihrer Flucht.
Unter all den Aspekten macht es für mich auch Sinn, dass Frau Kampusch das getan hat und anders mit 'ihrer Opferrolle' umgeht, als man es erwartet. Sie war lange genug gefangen, warum sollte sich sich dem weiter unterwerfen? Ich versteh auch, dass sie daraus Kapital schlägt, sie hat unter Umständen auch keine andere Wahl. Sie hat bloß ihre Geschichte, für die es eben einen Markt gibt, weil Menschen anscheinend unglaublich gern vom Leid anderer lesen/hören wollen. Durch diese Geschichte ist sie bekannt und kann diese eben auch nutzen. Auch um sich finanziell eben abzusichern für ihr restliches Leben.
Ich denke mal auch, dass sie versucht war gutes daraus zu machen - sie hat ein Hospital mithilfe einer Hilfsorganisation in einem Land errichtet und grundsätzlich tut sich sich für einiges einsetzen. Sie will eben das beste daraus machen, was man ihr nicht vorwerfen kann und sollte.
Jeder Mensch versucht das beste für sich zu erreichen. Und jeder versucht auch irgendwo was für sich raus zuschlagen, in gewisser Art und Weise. Also kann man Frau Kampusch nicht dafür verurteilen. Ich finde es auch gut, dass sie sich nicht der Opferrolle hingibt. Es wäre sicherlich leichter zu sagen ich kann nicht, weil ich ein Opfer bin. Aber ist damit den betroffenen denn wirklich geholfen? Eher nicht. So zeigt sie ja auch, dass man auch noch aus etwas schlechtem etwas gutes gewinnen kann und das es sich lohnt für sein Leben einzutreten und zu kämpfen.
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