Schöpft ihr euer Potenzial immer voll aus?

vom 14.06.2016, 20:50 Uhr

Ein ehemaliger Klassenkamerad von mir hatte nach dem Abitur eine einfache Ausbildung begonnen. Dabei hatte er tatsächlich einen hervorragenden Einserschnitt gehabt und war sehr begabt. Ihm wurde immer wieder von allen Seiten gesagt, dass er sein Potenzial nicht ausschöpfen würde.

Denn sonst würde er sich für ein Studium entscheiden. Allerdings hat er es auch so nun zu einer Führungsposition geschafft, also finde ich schon, dass er sein Potenzial voll und ganz ausgeschöpft hat. So hat er von Beginn an Geld verdient und ist um ein Studium herumgekommen.

Schöpft ihr euer Potenzial immer voll und ganz aus? Wurde euch schon einmal gesagt, dass ihr das nicht tun würdet? Muss man das überhaupt immer tun oder besteht die Gefahr, irgendwann an Burnout zu leiden, wenn man sich immer übernimmt und immer die besten Leistungen erzielen möchte?

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» Prinzessin_90 » Beiträge: 35273 » Talkpoints: -0,01 » Auszeichnung für 35000 Beiträge



Dass man sein Potential ausschöpfen muss, sehe ich nicht so. Man kennt ja das eigene Potential gar nicht und auch andere können ja nur schwer sagen, wie weit die Fähigkeiten einer Person gehen und ab wo dann die Grenze der Fähigkeiten überschritten wird. Woher will man das wissen? Man müsste es höchstes ausprobieren.

Mit dem, was man macht, muss man zudem glücklich sein. Mich an die Grenzen dessen zu bringen, was ich leisten kann, ist für mich beispielsweise nicht schön, das ist ehr Stress. Ich fühle mich gut, wenn ich unterhalb meiner Grenzen bleibe und Aufgaben einfach bewältigen kann.

Ich mag das beispielsweise auch, wenn ich in der Arbeit mit Aufgaben schnell fertig bin, weil ich dann Zeit habe, mich zu erholen, mal zu quatschen oder eben das ein oder andere zu erledigen.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich finde den Begriff Potenzial in diesem Kontext sehr abstrakt und schwer zu definieren. Wie Zitronengras schon sagte, weiß doch nicht jeder wie viel Potenzial er hätte, also woran kann man das fest machen? Nur weil jemand ein Einser-Abitur hat und theoretisch Medizin studieren könnte, muss das nicht heißen, dass er damit auch klar kommen würde. Es kann auch sein, dass er mental und psychisch diesem Druck nicht gewachsen wäre und allein deswegen schon an diesem Studiengang scheitern würde, das hat aber mit der Abiturnote nichts zu tun.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich kann mich meinen Vorschreiberinnen hier nur anschließen. In unserer Leistungsgesellschaft wird es anscheinend immer und unhinterfragt als positiv angesehen, wenn man sein "Potenzial voll ausschöpft", was auch immer darunter zu verstehen ist. Natürlich gibt es Leute mit eindeutig erkennbaren Begabungen und Leidenschaften, die diese dann auch ausleben, aber selbst in solchen Fällen ist es schwer zu definieren, ob man wirklich sein Potenzial ausgeschöpft hat.

Wenn man beispielsweise als Tänzer am Stadttheater Königswusterhausen eine sichere Stelle hat, hat man dann sein Potenzial voll ausgeschöpft, weil zahllose andere begabte Leute davon nur träumen? Oder hätte man doch das Zeug fürs Bolschoi gehabt, wenn da nicht der Leistenbruch drei Tage vor dem alles entscheidenden Vortanzen gewesen wäre, damals mit 10 Jahren?

Und um im Bild zu bleiben: Wenn ich mein Potential für die Ausbildung von Fähigkeiten im Bereich "Klassisches Ballett" oder "Gesangsausbildung" voll ausschöpfen und wirklich jahrelang alles geben würde, um so gut zu werden wie möglich, würde ich wahrscheinlich ca. 1 Prozent von den Leistungen bringen, die ein Profi zustande bringt. Ist das dann schon allein deswegen toll, weil ich wirklich mein ganzes Leistungspotential ausgeschöpft habe, auch wenn das Ergebnis zehnmal Mist ist? In meinen Augen ist es eine absolute Fehleinschätzung zu glauben, man könne alles lernen, wenn man sich nur ganz fest anstrengt, und dass Anstrengung an sich schon einen absoluten Wert darstellt.

In Euro kann man "Potenzial" meiner Ansicht nach sowieso nicht messen. Nur weil jemand einen Haufen Geld verdient, heißt das ja noch lange nicht, dass er oder sie entsprechend seine Leistungsfähigkeit ausreizt. Vielleicht scheffelt jemand als Sportler Millionen, weil manche Sportarten bei uns eben als hochwertige Tätigkeiten angesehen werden, und vernachlässigt dafür sein Potenzial, Medizin zu studieren und in Entwicklungsländern zur Bekämpfung der Cholera beizutragen.

Oder es tuckert jemand in einem mäßig bezahlten und angesehenen Job leidlich unterfordert vor sich hin, und gibt dafür ehrenamtlich alles, kümmert sich top um die Familie, rettet Straßenhunde in Rumänien oder hat nebenbei ein eigenes Unternehmen am Laufen. Man sieht, mir fallen genug Beispiele ein, wieso es schwierig ist zu behaupten, dass Menschen ihr Potential ausschöpfen, und schwierig zu beurteilen, ob dies überhaupt für jeden empfehlens- und erstrebenswert ist. Das Leben ist kein Wettbewerb.

» Gerbera » Beiträge: 11317 » Talkpoints: 49,13 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



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