Schmerz hat einen Sinn und man muss ihn aushalten?
In einem Buch zum Thema Neurobiologie habe ich vor kurzem eine interessante Aussage gelesen, nämlich beschrieb die Wissenschaftlerin, dass Menschen früher oft der Meinung gewesen seien, dass der Schmerz etwas sinnvolles ist und das man ihn daher mitunter auch aushalten muss. Besonders im Christentum wäre diese Denkweise verbreitet gewesen und bei einigen Menschen hält sie sich offenbar noch bis heute.
Medizinisch ist das natürlich der absolute Unsinn, denn wer bei häufigen Schmerzen keine Schmerztabletten nimmt, trainiert sich auf diesen Schmerz, so dass Nervenverknüpfungen mitunter neu entstehen und einem der harmlose Rückenschmerz auf einmal deutlich schlimmer vorkommt und häufiger heimsucht, obwohl man eigentlich gesund ist. Verhindern kann man das nur mit Schmerzmitteln.
Ich selbst musste dabei an meine Großmutter denken, die total geschockt darüber gewesen war, dass ich in jungen Jahren Schmerztabletten gegen Regelschmerzen eingenommen habe. Sie meinte, dass es nicht in Ordnung wäre, dass ich in diesem Alter Tabletten bekommen würde, ich müsse die Schmerzen aushalten. Nur ältere Menschen dürften solche Tabletten nehmen.
Dabei bezog sie sich nicht auf gesundheitliche Risiken, sondern lediglich auf die Tatsache, dass man den Schmerz aushalten müsse. Zum Glück habe ich nie auf sie gehört, aber ich denke, dass es in etwa die gleiche Vorstellung gewesen ist. Kennt ihr diese Ansicht auch noch aus der Familie oder von älteren Familienmitgliedern? Wie reagiert ihr darauf? Findet ihr diese Einstellung sinnvoll?
Natürlich sollte es nicht ins Gegenteil umschwenken, so dass man auf einmal bei jedem kleinen Schmerz zu Tabletten greift, aber medizinisch ist es nur sinnvoll und angebracht häufigen und wiederkehrenden Schmerz mit Tabletten zu bekämpfen, damit sich dieser nicht verschlimmert.
Man darf in diesem Zusammenhang natürlich vor allem eins nicht vergessen: Bis vor kulturell gesehen relativ kurzer Zeit gab es gar keine Schmerztabletten. Oder eine Rückenmarksnarkose bei der Geburt eines Kindes. Oder überhaupt Medizin im heutigen Sinne. In ländlichen Gegenden würde ich dafür gar keine hundert Jahre zurück gehen, und in vielen anderen Ländern sieht es heute noch nicht anders aus als bei uns in der schlechten alten Zeit.
Bis vor wenigen Generationen mussten die Leute also schon rein körperlich viel mehr Schmerzen aushalten, als wir uns vorstellen können. Deswegen halte ich es für ganz natürlich, dass man mit Hilfe der Religion oder anderen Vorstellungen versucht, dem Schmerz einen Sinn zu geben und beispielsweise auf die Sühne von Sünden und ein besseres Jenseits zu hoffen. Und diese kulturellen Vorstellungen und Traditionen halten sich natürlich, sonst gäbe es ja gar keine Kultur, sondern jede Generation müsste sich neu erfinden. Das tut sie aber nicht.
Dabei meine ich natürlich kein Kreuzweh, sondern eher den Schmerz, beispielsweise ein Dutzend Kinder ohne moderne Medizin zu bekommen, davon zehn wieder beerdigen und zwischendurch knüppelharte Feldarbeit bis zur völligen Erschöpfung leisten zu müssen. Oder du brichst dir mit 10 Jahren das Bein und kannst die restlichen 40 Jahre deines Lebens vor Schmerz kaum laufen, musst aber trotzdem zum Überleben der Familie beitragen.
Heutzutage sieht es glücklicherweise ganz anders aus, und ich bin mittlerweile auch nicht mehr der Ansicht, dass man jeden körperlichen Schmerz ertragen muss, wenn es sinnvolle Alternativen gibt. Allerdings bin ich auch ein ziemliches Weichei und traue mich nicht mal richtig zum Zahnarzt.
Was psychischen Schmerz angeht, sehe ich die Sache zudem ganz anders. Natürlich kann man auch Seelenschmerzen, beispielsweise durch Arbeit oder Drogen, betäuben oder wegdrücken, aber früher oder später muss man sich ihnen stellen, wenn man ein normales und gesundes Leben führen möchte. Diese Form von Schmerz kann in meinen Augen durchaus einen Sinn haben.
Crispin hat geschrieben:Natürlich sollte es nicht ins Gegenteil umschwenken, so dass man auf einmal bei jedem kleinen Schmerz zu Tabletten greift, aber medizinisch ist es nur sinnvoll und angebracht häufigen und wiederkehrenden Schmerz mit Tabletten zu bekämpfen, damit sich dieser nicht verschlimmert.
Beide Vorgehensweisen sind meines Erachtens nicht sinnvoll, denn Schmerz ist ein Warnsignal des Körpers und als solcher lediglich ein Symptom. Und es ist in der Regel nie sinnvoll ein Symptom zu bekämpfen, man sollte den Ursachen auf den Grund gehen und diese beseitigen. Darauf sollte doch das Hauptaugenmerk liegen.
Das soll jedoch nicht heißen, dass man nicht auch ab und an Schmerztabletten nutzen sollte. Immerhin verschaffen solche Präparate dem Körper auch die nötige Ruhe um mit einer Erkrankung schneller fertig zu werden. Ich selbst bin chronisch krank und kann meist auf Schmerztabletten verzichten. Wenn es aber doch einmal nicht mehr geht, dann nehme ich ein Schmerzmittel und achte aber auch gleichzeitig darauf, die Ursache des Problems auszuschalten.
Doch wenn ich höre, dass inzwischen einige Personen schon vor dem Zahnarztbesuch eine Schmerztablette einwerfen, weil die Behandlung vielleicht schmerzhaft werden könnte, dann bin ich durchaus der Meinung, dass man den Schmerz oder vielmehr die Angst vor eventuell auftretendem Schmerz aushalten sollte. Zumal der Zahnarzt ja Mittel zur Schmerzlinderung anbietet, wenn es angezeigt ist.
Insgesamt kann ich nur sagen, dass Schmerz natürlich einen Sinn hat, wenn auch nicht aus religiösen Gründen. Deshalb sollte man bestimmte Schmerzen durchaus auch einmal aushalten. Allerdings ist es absolut legitim Schmerzmittel zu verwenden, wenn man darüber nicht die eigentliche Ursache vergisst.
Ob man einen Schmerz aushalten sollte, das hängt auch ganz stark von der Ursache für den Schmerz ab. So wäre es zum Beispiel ziemlich ungünstig Schmerzen nach einer Operation oder einer Amputation auszuhalten. Denn die führen schnell zu einem komplexen regionalen Schmerzsyndrom oder zu Phantomschmerzen. Das sollte man dann doch eher vermeiden.
Wenn dagegen ein gebrochener Arm in Ruhe keine Schmerzen verursacht und bei Belastung schmerzt, dann ist dieser ein sicheres Zeichen, dass man es ruhiger angehen lassen muss. Hört man hier auf seinen Körper, dann sind Schmerzmittel unnötig. Die Signale dagegen zu übergehen, wäre weniger angezeigt.
Ich habe einen chronischen Schmerzpatienten in der Familie, der ohne hohe Dosen Morphin gar keine Lebensqualität hat. Welchen Sinn sollten diese Schmerzen haben? Warum sollte er sie ungebremst aushalten? Sie sind so noch schlimm genug. Aber wenn es nichts dagegen gäbe, dann könnte man es sicher einfacher ertragen, wenn man der Sache irgendeinen Sinn gibt. Und sei es, dass man es als Strafe Gottes für was auch immer ansieht.
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