Politischer Umgang mit Obdachlosen
Wenn man in der nächsten größeren Stadt bei uns am Hauptbahnhof umsteigt, haut es einen fast um. Im Sommer sind die Unterführungen kaum begehbar, ohne flach zu atmen oder die Luft anzuhalten. Es stinkt so sehr nach verschüttetem Bier und Spirituosen, vermischt mit Urin und Kot, dass man grün werden könnte.
Es ist nicht so, als würden Obdachlose dort lediglich übernachten. Sie halten sich in großen Ansammlungen am gesamten Bahnhof auf. Außer zu den Stoßzeiten halten sich vermutlich fast mehr Obdachlose und kriminelle Drogensüchtige dort auf, als Reisende. Dieser Zustand herrscht schon seit fünfundzwanzig Jahren in dieser Stadt, mit geringen Unterschieden.
Meine Frage an euch ist: Wie ist das bei euch in der Stadt oder in der nächsten größeren Stadt? Wie geht die Politik bei euch mit dem Problem um? Gibt es nicht irgendwelche politischen Maßnahmen, mit denen allen geholfen werden kann, den Obdachlosen, den Drogensüchtigen und den Nutzern der öffentlichen Verkehrsmittel, die zwangsläufig diesen Bereich nutzen müssen, egal wie oft sie angepöbelt werden?
Ganz ehrlich, diesen Gestank gibt es mittlerweile auch schon auf dem Land. Während man massenweise Flüchtlingen hilft, werden leider die eigenen Menschen vernachlässigt und man kümmert sich überhaupt nicht um diese Menschen. Die Politiker unternehmen einfach viel zu wenig für die Obdachlosen.
Bei uns am Hauptbahnhof gab es dieses Problem lange Zeit auch. Aber seitdem im Hauptbahnhof selbst eine Polizeistation ist und die Beamten ab und an nach dem Rechten sehen, hat sich das ganze ziemlich beruhigt und mittlerweile geht es hier einigermaßen "gesittet" zu, wobei der Ausdruck in diesem Kontext vermutlich zu stark gewählt ist. Aber sagen wir so, es ist eine eindeutige Verbesserung zu vorher.
Im Saarland gibt es keine Probleme in dieser Beziehung und nur in Saarbrücken kommen solche Fälle vor, wobei es sich wirklich nur um Einzelfälle handelt. Normalerweise handelt es sich hierbei um Ausländer oder psychisch kranke Deutsche.
Ich muss auch sagen, dass man Personen, die nicht kriminell sind und nur wegen diverser psychischen Störungen etwas aggressiv sind, nicht gleich wie Schwerverbrecher zu behandeln. Uringeruch ist sicher unangenehm, aber es ist kein Verbrechen und hier darf man sich auch mal überlegen, wie human und empathiefähig man selber ist?
Wie im Themenstart geschrieben, handelt es sich in diesem Fall eben nicht um Einzelfälle. Das ist es ja, was das Problem so ausufern lässt.
Für mich hat es nichts mit mangelnder Humanität oder Empathiefähigkeit zu tun, wenn man sich davor ekelt, mehr oder minder durch eine Kloake laufen zu müssen. Ich rede nicht von einem bisschen Uringeruch. Ich rede von Gestank, von Bierlachen, Urinlachen und selbst Kothaufen, die teilweise dort herumliegen. Den Müll erwähne ich gar nicht erst. Das hat, zumindest in diesem Ausmaß, auch etwas mit Keimverbreitung zu tun.
Hinsichtlich der Aggressivität mancher Menschen dort gebe ich in dem Moment recht, in dem es sich um einen Durchschnittserwachsenen handelt, den es trifft. Der wird meist in der Lage sein, sinnvoll zu reagieren. Die Gesellschaft besteht aber nicht nur aus Durchschnittserwachsenen. Es gibt auch und gerade dort viele Kinder, die angepöbelt werden und teilweise auch bedroht werden. Auch viele ältere Menschen meiden diesen Bereich, weil sie sich dort nicht sicher fühlen.
Viele Ortskundige aus dem Umland fahren nicht mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt, weil der Zustand so unhaltbar ist. Oft genug gehen auch Kinder, die auf ihrem Schulweg dort umsteigen müssen, mit großer Angst durch diesen nicht gerade kleinen Bereich.
Meiner Meinung nach müsste an diesem Zustand etwas geändert werden, und zwar für alle Seiten. Den Menschen dort müsste geholfen werden, aber auch das Stadtbild müsste sich gerade an diesem Dreh- und Angelpunkt wieder verbessern.
Was sollte die Politik denn deiner Meinung nach machen? Zum einen gehört vermutlich diese Unterführung zum Bahnhof und somit ist erst mal die Bahn selbst zuständig sich da zu kümmern. Tut sie das nicht, kann man doch hier nicht die Politik verantwortlich machen. Und selbst wenn diese Unterführung der Stadt gehört, so muss man sich dann an das Ordnungsamt wenden.
Ansonsten sehe ich auch beim Thema Obdachlosigkeit insgesamt die Politik und damit den Staat als solches nicht dort, wo er handeln muss. Denn es muss in diesem Land niemand auf der Straße leben. Wer es dahin geschafft hat, der macht das entweder aus Überzeugung oder hat viele Dinge vorher versäumt.
Wie im Themenstart geschrieben, habe ich die Frage nach genau diesen politischen Möglichkeiten gestellt. In den Fällen, die ich von der Arbeit von Bekannten kenne, die in diesem Bereich ehrenamtlich oder nebenberuflich arbeiten, ist das größte Problem dort die Sucht, gleich welcher Art. Kaum jemand lebt dort aus Überzeugung, sondern es wurden Dinge versäumt.
Meiner Meinung nach wäre die Politik insofern gefragt, als es möglich sein sollte, die Leute aus dem Bahnhof heraus in die nur wenige Hundert Meter entfernte Unterkunft zu bewegen. Dort gibt es auch entsprechende Sanitäranlagen. Sind dort nicht genügend Plätze, sollten sie geschaffen werden. Wo aber muss man ansetzen?
Des Weiteren ist in meinen Augen die Politik gefragt, wenn es darum geht, mehr Stellen für Sozialarbeiter in diesem Bereich zu schaffen. Dieselben bräuchten dann aber auch die Möglichkeiten, den Menschen zu helfen und es müsste Programme geben, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Meiner Meinung nach gibt es außer schwerstbehinderte Handlungsunfähige kaum einen Menschen, der nichts kann. Warum sollen also diese Menschen nichts können? Warum lässt man sie dort in ihrem eigenen Dreck vergammeln? Das ist weder für diese Menschen gut, noch ist die Unfähigkeit, das Problem auch nur ansatzweise zu lösen, ein gutes Aushängeschild für die Stadt.
Die Politik ist, wie ich finde, ebenfalls gefragt, wenn es um Polizeipräsenz geht, die sinnvoll wäre. Manche Pöbelei würde gar nicht erst stattfinden, manches umsteigende Schulkind würde vielleicht nicht von drogensüchtigen Jugendlichen um sein Handy gebracht. Und mancher ältere Mensch würde sich vielleicht auch wieder sicherer fühlen.
Das sind aber alles nur Gedankenspiele. Ich hatte ja genau danach gefragt, wie es in anderen Städten gemacht wird und ob jemandem politische Lösungswege bekannt sind. Mir geht es nicht darum, zu stänkern oder die Politik an den Pranger zu stellen, sondern um konstruktive Gedanken und Erfahrungen, die der eine oder andere User vielleicht beitragen kann und mag.
Das Problem ist, dass es kaum Angebote gibt, die niedrigschwellig genug sind. Bei uns in der Stand (knapp 500.000 Einwohner) gibt es keine (!) vernünftige Option für obdachlose Frauen. Es gibt eine Notschlafstelle mit genau 2 Betten.
Dort dürfen Frauen so lange bleiben, bis sie zu einer Kombinationsstelle von Diakonie und Jobcenter können (also 1 Nacht in der Woche, maximal von Freitagabend bis zum Montagmorgen) und sich beraten lassen müssen. Wer Drogen genommen hat oder merklich alkoholisiert ist, der kommt nicht herein und nach 23 Uhr bleibt die Tür auch zu.
Das ist auf der einen Seite verständlich, aber für viele Betroffene ist das ein viel zu großer Schritt. Selbst wenn sie es bis dahin schaffen, dann kommen sie in eine WG, in der täglich Sozialarbeiter kontrollieren und man bis 22 Uhr spätestens wieder anwesend sein muss. Wer das nicht schafft, steht wieder auf der Straße. Und das schafft eben nicht jeder, besonders wenn Alkohol und/oder Drogen im Spiel sind. Im Haus für obdachlose Männer sieht es nicht anders aus, da gibt es nur mehr Plätze.
Oder es wird ein einfaches Hotelzimmer bezahlt. Das geht aber auch nur 4 Wochen und wird immer nur für wenige Tage genehmigt. In den 4 Wochen muss eine Wohnung gefunden sein. Die Termintreue für die Verlängerung und die Fähigkeit, eine Wohnung zu suchen und einen Vermieter zu überzeugen, hat aber nicht jeder in der Situation. Dann heißt es eben wieder ab auf die Straße.
Ansonsten gibt es noch Wohngruppen. Aber die schränken eben viele Menschen, die durchs Raster gefallen sind, auch viel zu sehr ein. Oft ist schon das Hindernis, dass der Hund (der einzige Bezugspunkt, der noch da ist) abgegeben werden muss, wenn man nur für eine Nacht ein Obdach sucht.
Sehr selten, aber dafür ziemlich erfolgreich funktionieren Angebote, die nur wenig verlangen. Wo nicht jeder sofort und möglichst schnell wieder ein geregeltes Leben lernen muss. Aber das ist nicht wirklich gewollt, denn es ist gesellschaftlich wenig anerkannt, "Fehlverhalten" zu fördern. Dabei sind solche Dinge wie keine Drogen, kein Alkohol, kein Stehlen, kein Hehlen, keine Gewalt, keine Waffen, kein Rassismus und keine Intoleranz für viele bereits ein ganz großer Schritt. Wenn man da noch mehr Forderungen zupackt, dann wird es zu viel. Jeder Mensch braucht sein Tempo und nicht jeder wird wieder "zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft".
Allein diese Forderung an sich schon ein Witz. Als ob ein Obdachloser weniger wertvoll wäre. Aber Einrichtungen, die das eben ausstrahlen, weil sie den Menschen "wieder auf den richtigen Weg bringen" wollen, sind eben nicht unbedingt das, was dazu einlädt, sein Leben wieder zu ändern.
In unserer Nachbarstadt gab es den Versuch, ein Projekt aus Amsterdam zu kopieren. Mitglieder der üblichen Trinkerszene übernehmen für einige Stunden Reinigungsarbeiten und sammeln Müll. Dafür gibt es Tabak und alle 2 Stunden Bier. In den Niederlanden versucht man so Struktur in den Tag der Betroffenen zu bringen. Sie sollen sich nützlich fühlen und eben weniger trinken.
Das klappt ganz gut. In Essen war es sogar so, dass die ganze Gruppe auf das Bier verzichtet hat, weil ein trockener Alkoholiker dabei war. Aber der Protest war eben riesig, weil die Politik den "Asozialen" jetzt auch noch die Sucht bezahlt.
Danke für die Einblicke, Cooper75. Den beschriebenen Ansatz finde ich recht gut. Die Leute würden strukturiert den Bereich, den sie mehr oder weniger bewohnen, einfach selbst wieder in Ordnung bringen. Sie bekommen gleichzeitig ein Minimum an Struktur in den Tag und die Suchtmittel sind quasi dadurch kontingentiert, dass man sie austeilt. Schade, dass einige sich da so äußern mussten. Ich hoffe, dass diese Leute das Programm nicht zu Fall gebracht haben.
Bei der nächsten Gelegenheit werde ich diese Vorgehensweise mal bei einem Bekannten mit einem Draht zur Politik beschreiben. Vielleicht hilft es.
Bei uns gibt es keine Unterführungen mehr. Wobei ich mir gerade nicht sicher bin, ob die Unterführung am Bahnhof noch geöffnet ist. Die wird aber generell eher seltener benutzt, seit dem es einen Ampelübergang gibt.
Wir haben allerdings ein paar Plätze, auf denen sich Obdachlose vermehrt sammeln. Wobei ein Platz seit längerem wegen einer Umgestaltung weg fällt. Aber der wird bald fertig sein und manch ein Bewohner meiner Stadt hat schon Sorge, wie sich die Situation dort dann entwickeln wird.
Auf einem öffentlichen Platz hausen schon länger diverse Obdachlose oder generell Trinker? Das ist irgendwie unklar. Der Platz war früher schön. Man setzte sich auch mal hin und genoss die Gegend. Was aber heute kaum einer mehr macht, weil man wirklich konstant belästigt wird.
Irgendwann kam die Stadt mal auf die Idee, dort ein Dixie-Klo aufzustellen. Damit eben nicht mehr auf den Platz uriniert wird. Extra für besagte Menschen, die sich den ganzen Tag dort aufhalten und die meiste Zeit eben mit dem Trinken alkoholischer Getränke beschäftigt sind. Bier treibt nun mal.
Mittlerweile ist das Dixie-Klo wieder abgebaut worden. Wohl auch, weil es nicht genutzt wurde. Es wurde fleißig daneben gepinkelt und es kam wohl auch mehrfach vor, dass das Dixie-Klo komplett umgeschmissen wurde. Was alles nicht wirklich Sinn der Sache war. Aber immerhin hatte man mal versucht was zu unternehmen.
Die Anwohner, Geschäftsinhaber und auch Ämter sind generell mit der Situation weniger glücklich. Nicht weil getrunken wird. Sondern weil die Geräuschkulisse immens ist. Weil eben auch rum gepöbelt wird und so weiter. Und das zusätzlich zu der Geräuschkulisse, die eh vorhanden ist.
Gelegentlich werden auch Passanten belästigt. Wobei eben immer weniger Passanten den Platz direkt überqueren, sondern lieber einen Bogen drum herum machen. Ab und an wird dann auch mal die Polizei benachrichtigt, wenn sich Passanten zu sehr belästigt fühlen. Die Polizei fährt zwar an, steigt aber noch nicht mal aus dem Auto und schaut den Leuten kurz zu und fährt dann wieder weg.
Vor Ort gibt es eine Art Tagesstätte für Obdachlose, die auch betreut wird. Bedingung ist aber eben unter anderem, dass kein Alkohol getrunken wird. Deshalb sammeln sich die Leute eben vor dem Haus. Belästigen auch hier Passanten und die Gewerbetreibenden drum herum sind mächtig sauer. Aus verständlichen Gründen.
Leider weiß ich, wie in der Klinik vor Ort mit Alkoholikern umgegangen wird. Beziehungsweise wie "toll" (Achtung Ironie) das Entzugsprogramm ist und wie "toll" (ebenfalls Ironie) man sich um die Betroffenen kümmert. Und das liegt nicht nur am mangelnden Gesundheitssystem. Da findet ein Entzug statt und wenn die Leute x Stunden keine Entzugsmedikamente mehr brauchen, dann dürfen sie wieder gehen. Egal ob sie eine Wohnung haben oder nicht.
Eine Weitervermittlung an Stellen, die jemand auffangen nach einem Entzug, findet so gut wie gar nicht statt. Da muss man echt selber wissen, wo man sich hinwenden könnte. Wobei es die Stellen wohl durchaus gibt. Diese auch der Klinik bekannt sind. Aber man entlässt lieber fix, um den nächsten Patienten aufzunehmen und so weiter.
Ich denke, an der Stelle müsste einfach mehr gemacht werden. Aber wenn man weiß, man wird mit Mühe und Not zum Entzug aufgenommen und bald möglichst wieder entlassen - ich kann verstehen, wenn man den Weg nicht gehen möchte. Und ich weiß, dass genau das in anderen Städten viel besser gehandhabt wird.
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