Opferrolle genießen, da man Mitleid dafür bekommt?

vom 15.03.2016, 00:02 Uhr

Ich war durchaus schon ab und zu in einer Opferrolle - zumindest habe ich mich da so gesehen - wobei ich diese aber nie genießen konnte. Ich fand es einfach schrecklich, ungerecht und schlecht behandelt zu werden und war überglücklich, als diese Zeiten dann zu Ende waren. Ich würde nicht freiwillig in so einer Rolle sein wollen, da ich keine Vorteile darin sehen kann.

Ich habe jedoch auch schon von einigen Personen mitbekommen, dass sie es vor allem in Nachhinein gar nicht mehr so schlimm fanden, in einer Opferrolle zu sein, wobei sie diese damals auch gerne vor Freunden und Verwandten etwas übertriebener dargestellt hatten. So haben sie von allen Seiten Aufmerksamkeit, Mitleid und Hilfe bekommen, was ihnen gefallen hatte. Habt ihr schon einmal eine Opferrolle genießen können, da sich Vorteile für euch ergeben haben?

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» Prinzessin_90 » Beiträge: 35273 » Talkpoints: -0,01 » Auszeichnung für 35000 Beiträge



Ich bin kein Fan von Opferrollen. Ich muss im Gegenteil zugeben, dass mich so etwas abstößt. Jeder Mensch kann im Leben mal Pech haben, jedem kann es einmal schlecht gehen. Ich wäre der Letzte, der da nicht helfen würde. Wenn ich aber merke, dass jemand absichtlich oder öfter auf der Mitleidsschiene fährt, ist bei mir recht schnell die Türe zu.

Es mag dem einen oder anderen vielleicht wie ein blöder Spruch vorkommen oder wie eine Binsenweisheit. Trotzdem sehe ich es so: Hinfallen ist keine Schande, liegenbleiben schon. Für das Aufstehen kann man sicher auch mal Hilfe benötigen. Aber der Hilfeanspruch kann bei einem gesunden, lebensfähigen Menschen keine Dauereinrichtung sein. Deshalb leiste ich immer lieber Hilfe zur Selbsthilfe, als jemanden in einer Opferrolle zu bestätigen.

» tok_tumi » Beiträge: 837 » Talkpoints: 1,20 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Mich nerven solche Menschen, die dann im Mitleid anderer Menschen baden möchten. Man kann ja durchaus mal Pech im Leben haben und auch Schicksalsschlag erleben, aber wenn man dann noch das Mitleid möchte und dann eventuell auch Sachen übertreibt um das zu bekommen, ist das in meinen Augen krank. Dann hat man sicherlich psychisch gesehen schon Probleme.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Ich bin auch eher genervt von solchen Menschen. Ich habe aktuell eine Nachbarin, die auch so ein "Opfer-Abo" hat. Sie ist alleinerziehend und hat 5 Kinder zu Hause, wobei der Mann durch einen Unfall ums Leben gekommen ist, als die Kinder noch klein waren. Das nutzt sie natürlich schamlos aus und überbetont dann ihre Verletzlichkeit und ihren "Opfer-Status".

Das geht sogar soweit, dass viele Nachbarn ihr dann Essen vorbei bringen oder altes Spielzeug oder gebrauchte Kleidung für ihre Kinder. Manchmal wird ihr aus Mitleid Geld zugesteckt, weil sie jammert, dass sie nicht wüsste, wie sie die Kinder ernähren sollte. Angeblich wäre sie so im Stress, sie hätte nicht mal Zeit zu schlafen etc. So etwas kann man auf Dauer nicht mehr Ernst nehmen.

» Esri » Beiträge: 485 » Talkpoints: -0,11 » Auszeichnung für 100 Beiträge



@esri: Ich möchte sicher niemanden in Schutz nehmen, der sich dauerhaft in einer Opferrolle wohl fühlt. Allerdings ist die Situation einer alleinerziehenden Frau mit fünf Kindern in meinen Augen differenziert zu betrachten. Einer solchen würde ich ebenfalls Kleidung oder Spielzeug vor die Tür stellen, um ihr zu helfen, weil ihre finanziellen Probleme mit Sicherheit nicht von Pappe sind.

Die Kinder bekommen zwar Kindergeld und vermutlich auch eine Halbwaisenrente. Wenn der Mann aber früh verstorben ist, wird das eher nicht viel sein. Hingegen hat man recht hohe Kosten, die abgedeckt werden müssen. Dass eine Frau, die ohne Pause jahrelang Tag und Nacht solo für fünf Kids aufrecht stehen muss, manchmal durchhängt, verstehe ich. Mein Ansinnen wäre deshalb auch hier: Hilfe zur Selbsthilfe, wenn ich sie leisten könnte.

» tok_tumi » Beiträge: 837 » Talkpoints: 1,20 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Die Geschichte von der Mutter mit den 5 Kindern, klingt für mich schon schlimm. Ich denke, dass die Familie wirklich Hilfe braucht. Natürlich könnte die Mutter auch anders damit umgehen und weniger jammern, aber vielleicht fühlt sie sich dadurch besser und eher verstanden.

Ich mag es auch nicht in der Opferrolle zu stecken. Mir geht es oft gesundheitlich nicht gut und mich macht das dann schon sehr fertig. Ich bin dann immer froh, wenn ich gute Phasen habe. Mitleid bekomme ich aber eigentlich eher keins. Von meiner Mutter vielleicht, so wie Mütter dann eben sind. Aber ich möchte auch eher kein Mitleid, lieber wäre es mir dann, wenn einfach mal jemand für mich da ist. Das bringt so viel mehr.

Schlimm finde ich es auch, wenn etwas dramatisiert wird, obwohl es nur halb so wild ist. Um eben mehr Mitleid zu bekommen und sich irgendwie wichtiger zu machen. Dafür bin ich gar nicht der Typ und würde das nicht machen. Mich nervt dieses Verhalten bei anderen auch.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge


Was für ein schreckliches Schicksal es sein muss den Mann von einem auf den anderen Tag zu verlieren und alleine mit fünf Kinder zurückzubleiben, da kann ich mir Schlafstörungen noch als das kleinste Übel vorstellen. Schon ein normaler Alltag dürfte mit fünf Kindern extrem anstrengend und zermürbend sein, wenn man dann aber noch so ein traumatisches Erlebnis durchleiden musste, ist das sicher unfassbar schwer, die Frau tut mir wirklich leid.

Natürlich ist es schwierig, wenn jemand anfängt aus der Rolle des Opfers Profit schlagen zu wollen. Als Freund, Angehöriger oder Helfer muss man aufpassen, die Grenze zwischen Leid und Profit aus selbigem zu erkennen, man will natürlich niemanden zu Unrecht kritisieren, aber auch nicht ausgenutzt werden. Als Betroffener gilt das auch, den Gedanken, dass man nun soviel mitgemacht hat und dafür an anderen Stellen geschont werden möchte, kann ich sehr gut nachvollziehen. Eine schwierige Gratwanderung.

Allerdings gibt es bei dem Thema noch andere Variationen: Ist man wirklich zum Opfer geworden oder begibt man sich nur künstlich in diese Rolle, um Vorteile zu erlangen? Die schlimmste Unterform dieser Kunst sind für mich Leute, die sich fälschlich dort positionieren, um in einem Konflikt nicht als verantwortlich oder gar der Täter zu gelten, eben jene, die sich möglichst aus jeder Verantwortung stehlen wollen, indem sie sich selber immer als das Opfer sehen.

Bildlich gesprochen: Sie treten jemandem vors Bein, und wenn derjenige empört reagiert, sind sie wiederum beleidigt, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden. Bei solchen Leuten kann man nur verlieren, da ist nie eine Einsicht, da wird immer wieder ein Muster durchgespielt wird, gegen das man keine Chance hat und welches andere zu Unrecht in die Rolle eines Täters drängt. Solche Menschen haben sich dieses Verhalten als seltsame Form der Konfliktbewältigung auf die Fahne geschrieben und sind wirklich anstrengend.

Es ist mir auch suspekt, wenn man so gar keine Lust hat, bei sich selber zu gucken, welchen Anteil man an einer Situation hatte. Dies gilt wie gesagt nur für eine bestimmte Form von Menschen, nicht generell für solche, die Schicksalsschläge oder Schlimmes erleiden mussten. Jeder von uns kann (und wird) irgendwann in seinem Leben mal in eine Situation kommen, wo er ein Opfer ist. (Unangenehm, was für eine negative Konnotation dieses Wort mittlerweile hat.)

» Verbena » Beiträge: 4921 » Talkpoints: 0,32 » Auszeichnung für 4000 Beiträge



Wenn in meinen Augen überhaupt jemand Mitgefühl verdient hat, dann eine alleinerziehende Witwe mit fünf Kindern. :shock: Von einer künstlich geschaffenen Opferrolle würde ich hier nicht sprechen, da ich es auch als reichlich anmaßend ansehe, wenn man von anderen Menschen immer verlangt, dass sie ihr Schicksal mit einem Lächeln annehmen und immer stark und souverän durchs Leben gehen, damit sie ihren Mitmenschen nicht lästig fallen.

Unter einer "Opferrolle" verstehe ich es eher, wenn Menschen für ihre Taten aus Prinzip nie Verantwortung übernehmen, sondern immer die Umstände oder die anderen Menschen schuld an ihrer Misere sind. Sprich, sie sind immer die "Opfer", auch wenn sie auf Grund ihrer eigenen dummen oder kurzsichtigen Entscheidungen in einer unangenehmen Lage sind. Dafür habe ich auch wenig Verständnis, aber glücklicherweise habe ich kaum jemals ein professionelles "Opfer" kennen gelernt.

Mitleid ist ja auch oft nur ein Nebenprodukt einer Opferrrolle. Meistens bekommt man auch handfeste Vorteile wie finanzielle Zuwendungen, Hilfe im Alltag oder einfach nur einen unablässigen Strom an Aufmerksamkeit, wenn man sich nur hilflos und ohnmächtig genug gibt. Wenn man tatkräftig und energisch versucht, sich selbst wieder aus der Schräglage zu hieven, gehen die Mitmenschen ja automatisch davon aus, dass man schon zurecht kommt und sind weniger bereit, sich um einen zu kümmern. Deswegen ist es oft bequemer und auch effizienter so zu tun, als wäre man den Umständen hilflos ausgeliefert.

» Gerbera » Beiträge: 11319 » Talkpoints: 49,61 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


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