Nicht drastisch aussortieren, da man danach viel mehr kauft?
So richtig drastisch habe ich bei mir zu Hause noch nie aussortiert. Ich sortiere eigentlich ziemlich oft irgendwelche Sachen aus, dafür kommt dann aber nie so viel auf einmal weg. Nun habe ich gehört, dass genau diese Methode auch gut sein soll. Denn wenn man vielleicht einmal jährlich sehr drastisch aussortiert und seinen halben Kleiderschrank und seine halbe Kosmetik ausmistet, soll man Gefahr laufen, danach in kürzester Zeit alles wieder mit neuen Sachen aufzufüllen.
Man soll dann eben wissen, wie viel Platz man geschaffen hat, so dass man wohl auch unterbewusst denken soll, dass man diesen Platz dann wieder mit neuen Sachen auffüllen kann. Man hat dann quasi eine Legitimation, wieder ständig zu shoppen und soll dadurch dann auch eher sinnlose Sachen kaufen, beziehungsweise unüberlegt, so dass sie beim nächsten Aussortieren auch wieder dabei sind. Wie ist das bei euch?
Ich gehe eigentlich gerne schoppen und ich muss mir manchmal auch sagen, nein das brauchst du jetzt nicht, du hast schon mehrere ähnliche Teile. Oft entdecke ich schicke Handtaschen, Uhren oder Schuhe und da muss ich mich schon zusammenreißen. Neulich erst war ich mit jemandem bei Deichmann und da sah ich so schöne rosa Sneaker und ich musste mir wirklich innerlich zusprechen: nein, so ähnliche habe ich schon. Wen ich das machen würde, Dinge ausmisten, dann würde ich das bestimmt alles nachkaufen. Ich habe gerne viel und ich sehe das auch nicht ein, großartig was wegzuschmeißen, nur weil manche Leute meinen, das müsse man machen.
Ich gönne anderen Leuten durchaus ihr 50. Paar Schuhe oder ihre 200 Fläschchen Nagellack, auch wenn ich selber nicht so der Konsumtyp bin. Ich gebe mein begrenztes Geld lieber für schöne Erlebnisse aus als für Kram, der herumliegt, aber ich halte keine Einstellung für moralisch überlegen. Aber "drastisch auszusortieren" gibt es bei mir daher an sich nichts, wenn man von Büchern absieht, und selbst da kaufe ich mir die physische Form nur noch in seltenen Fällen.
Das letzte Mal nennenswert aussortiert habe ich bei meinem Umzug von vor einem Jahr, da ich mir so gut überlegen konnte, ob es mir wirklich wert ist, jeden Krempel einzupacken und für teuer Geld durch die Lande karren zu lassen. Ich kann jedenfalls nicht behaupten, dass ich danach ins Gegenteil umgekippt sei und den Krempel mit Kindern und Kindeskindern wieder gekauft hätte. Ich habe generell keinen Spaß am Kaufen um des Kaufens willen, sodass sich mein materieller Besitz von wenigen Ausnahmen abgesehen nur recht langsam vermehrt.
Ich denke auch, dass es einen Unterschied macht, ob man mit Sinn und Verstand ausmistet oder Sachen nachkaufen muss, weil eben auch der einzige Dosenöffner und ähnlicher Kleinkram den Weg allen Irdischen gehen musste. Zudem glaube ich auch, dass es eine Charakterfrage ist, ob man an materiellen Dingen hängt oder nicht, sodass es sicher auch hilfreich ist, sich zu fragen, ob man wirklich weniger besitzen möchte oder nur auf den Minimalismus-Zug aufspringt, weil es gerade schick ist. Wenn man eigentlich ganz zufrieden ist mit seinem Besitz, ist es ja sinnlos, Dinge zu entsorgen, um sie dann neu zu kaufen, weil dadurch außer dem Kapitalismus niemandem wirklich gedient ist und nur mehr Müll entsteht.
So eine Situation hatte ich vor einiger Zeit, wo ich mich selbst mal auf die Probe stellen konnte, was passiert, wenn ich in einem Bereich wirklich sehr drastisch reduziert habe. Da ich die BH-Größe gewechselt habe, habe ich eigentlich so gut wie alle meine BH's nach und nach aussortiert und musste anfangen alles neu zu kaufen. Da gute BH's nicht mal eben für einige Euro zu haben sind, habe ich natürlich nicht gleich ein Dutzend gekauft, sondern nur einige wenige.
Ich wollte auch mal gucken, mit wie wenig ich auskomme und wie minimalistisch es sein darf, ohne das Gefühl eines Mangels zu bekommen. Zwei oder drei werde ich noch kaufen, weil mir der derzeitige Stand doch zu wenig ist, aber es werden wohl nicht mehr so viele wie ich mal hatte, nicht annähernd. Als Projekt fand ich es aber spannend und interessant zu sehen, was ich wirklich brauche und nicht nur kaufe, weil es so hübsch ist.
Wenn man natürlich der Typ ist, der gerne viel kauft und auch gerne ganz viel Auswahl hat, würde man nach einer drastischen Reduzierung auch wieder viel neukaufen. Allerdings darf man auch nicht Ursache und Wirkung verwechseln, manche Leute sortieren ganz viel aus, weil sie den Platz für neue Sachen brauchen und nicht, weil sie wirklich weniger haben wollen. Ich habe mal auf dem Parkplatz jemanden getroffen, die gerade den ganzen Kofferraum und die Rückbank voll mit Kleidersäcken hatte. Das hat sie aber nicht getan, weil sie minimalisieren wollte, sondern weil ihr ständiges Kaufen sie in die Lage brachte, die Schränke nicht mehr schließen zu können.
Für sie war das normales Aussortieren, für mich wäre ein ganzes Auto voll mit Kleidung vermutlich weit mehr als die Hälfte meines Kleiderschranks, also extrem drastisch. Es ist natürlich auch eine Frage der Definition, ab wann man es als solches empfindet. Manche Leute machen ja auch bei der Challenge mit, jeden Tag eine ganze Tüte Sachen auszusortieren und das einen Monat lang, aber dann wäre meine Wohnung wohl sehr leer und ich würde vieles vermissen.
Das ist bei mir nicht wirklich der Fall. Ich habe mal vor einem Umzug wirklich drastisch aussortiert, weil ich keine Lust hatte, unnötigen Kram mit in die neue Wohnung zu transportieren. So etwas kostet ja nur unnötig Zeit und Energie und darauf hatte ich keine Lust. Aber ich hatte danach nicht das Bedürfnis, hinterher alles wieder auszugleichen und habe auch nicht gekauft ohne Ende. Daher denke ich, dass das eben vom Typ Menschen abhängig ist. Aber da ich eben nicht zu dieser Sorte gehöre, die unbedingt konsumieren und kaufen muss, erübrigt sich das eben bei mir.
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