Neid als Säule des Kapitalismus betrachten?

vom 05.02.2018, 01:09 Uhr

Ich las neulich den Satz, dass Neid doch nur eine Säule des Kapitalismus wäre. Er würde von der Wirtschaft gezielt erzeugt werden, um die Menschen zum Konsum zu bewegen und zu animieren. Die Wirtschaft wäre auf ein Gefühl wie Neid angewiesen, da sie sonst nicht existieren und sich selbst erhalten könnte.

Ich finde diese Ansicht ziemlich interessant. Meint ihr, dass da etwas dran ist? Bedeutet das im Umkehrschluss, dass der Mensch von Natur aus gar keinen Neid empfindet und dazu eigentlich gar nicht in der Lage ist und das Gefühl nur eine Erfindung der Industrie ist? Oder wäre das eurer Ansicht nach zu weit hergeholt und völlig realitätsfern?

Benutzeravatar

» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Nein, der Neid ist keine Erfindung der Neuzeit, der Wirtschaft oder des Kapitalismus, sondern eines unserer angeborenen archaischen Gefühle. Selbst unter Tieren gibt es Neid. Möglicherweise ist hier die Missgunst gemeint, aber auch die hat es schon ohne den Kapitalismus gegeben.

Was an der These für mich stimmt, ist, dass beides ein Motor für die Motivation sein kann, ein sehr starker sogar. Dazu muss es aber nicht zwangsläufig eine kapitalistische Wirtschaftsform geben, auch wenn der Sozialismus zum Beispiel in Kombination mit dem Neid vermutlich nicht so gut funktioniert. Und natürlich werden in unserer Gesellschaft von der Industrie künstliche Begehrlichkeiten erzeugt, aber ich weiß nicht, inwiefern da der Neid eine übergeordnete Rolle spielt. Es ist wohl eher die Gier und das Streben nach dem immer besseren und neueren Gut.

» Verbena » Beiträge: 4937 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


Ich denke schon, dass Neid zum normalen Emotionsrepertoire der meisten Menschen gehört und keine "Erfindung" der modernen konsumorientierten Gesellschaft ist. So einfach kann man keine Emotion erzeugen, die nicht schon im menschlichen Verhalten angelegt ist. Bestimmt haben sich schon unsere Vorfahren in der Steinzeit geärgert, wenn der Nachbar mehr und bessere Beeren gefunden hat. :wink: Wenn man ihn nicht künstlich übersteigert, kann Neid ja durchaus eine motivierende Funktion haben oder dazu beitragen, dass man seine Beeren gleich mit dem Höhlennachbarn teilt, damit der sie nicht vor lauter Neid klaut oder vergammeln lässt. Um im Bild zu bleiben.

Aber dass der Kapitalismus darauf aufbaut, dass Menschen Dinge kaufen und benutzen, die sie eigentlich gar nicht brauchen, und immer nach Mehr, Besser, Moderner und Schicker streben, ist ja eine Binsenweisheit, und ich kann mir durchaus vorstellen, dass der Neid hier eine starke Triebfeder darstellt. Wenn sich jeder sagen würde: "Ich gönne meinem Nachbarn seinen Wohlstand, sein schickes Auto, tolles Haus und regelmäßige Grillpartys mit Kobe-Rind von Herzen, aber ich fahre trotzdem lieber Fahrrad und esse Vollkornbrot" - wie soll da ein anständiges Wirtschaftswachstum zustandekommen? Ganze Karrieren sind wahrscheinlich darauf aufgebaut, dass die Leute nach Wohlstand streben, weil sie bei anderen Leuten die Vorteile sehen und sie beneiden, ebenso wie die Wirtschaftszweige, die Luxusgüter aller Art produzieren.

Ich finde daher, dass Neid zumindest unterschwellig eine große Rolle im Verhalten der Menschen spielt, gerade in Gesellschaften, in denen zumindest mariginale Chancen auf Aufstieg bestehen. Wenn du genau weißt, du lebst und stirbst als unfreier Bauer, wirst du kaum jemanden beneiden, weil du deinen Platz in der Gesellschaft kennst.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^