Mögen uns nur die Hälfte unserer Freunde wirklich?
Einer Studie über soziale Beziehungen zufolge wird nur jede zweite Freundschaft auch gleichermaßen erwidert. So etwas zu hören ist natürlich nicht unbedingt schön, sodass auch ich darüber erstmal ein wenig nachdenken musste, nachdem ich darüber gelesen habe. Nach den Ergebnissen von einer Forschergruppe des Massachusetts Institute of Technology beruhen im Durchschnitt nur 53% der Freundschaften auf Gegenseitigkeit.
Laut Meinung der Forscher sind wir schlicht schlecht darin unsere eigenen sozialen Beziehungen einzuschätzen. Deshalb bezeichnen wir auch viele Menschen als unsere Freunde, obwohl diese es gar nicht sind. Die Forscher schlussfolgern daraus, dass wir eine Freundschaft meistens aus Gewohnheit für gegenseitig halten. Wenn wir denken uns stünde jemand nahe, gehen wir im Gegenzug auch davon aus, dass die andere Person dies ähnlich sieht.
Meine Frage an euch ist nun, wie ihr zu dem Thema steht. Seid ihr, ähnlich wie die Wissenschaftler der Ansicht nur die Hälfte unserer Freunde wären tatsächlich auch unsere Freunde? Habt ihr gegebenenfalls schon mal ähnliche eigene Erfahrungen innerhalb eures eigenen Freundeskreises erlebt?
Zuerst einmal ist Freundschaft ja ein relativer Begriff, den jeder anders definiert. So sind für mich zum Beispiel wahre Freunde die Personen, mit denen ich über alles sprechen kann und die mich unterstützen, die mir mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn ich mal Hilfe brauchen sollte. Es gibt aber auch Menschen, die jemanden als "Freund" bezeichnen, wenn diese Person ihnen eine Schere leiht oder einfach nur nett und freundlich ist und man Sympathie für sie empfindet.
Gerade von Menschen der zweiten Gruppe, die ich vorhin nannte, werde ich sehr schnell als "Freund" bezeichnet, wobei ich das aber gar nicht als Freundschaft empfinde. Wenn man unterschiedliche Ansichten und Definitionen von wahrer Freundschaft hat, kommt es natürlich schnell zu Diskrepanzen.
Ich muss Täubchen Recht geben. Der Begriff ist relativ. Wobei ich noch ganz viele Personen habe, die irgendwo dazwischen angesiedelt sind. Von denen ich mir nicht nur eine Schere geliehen habe, die ich seit vielen Jahre kenne und auch viele schöne Erinnerungen mit ihnen teile.
Aber wenn es hart auf hart kommt, bin ich mir nicht so sicher, wie sehr ich tatsächlich auf sie zählen kann. Bei einer Person bin ich mir ganz sicher. Da könnte ich zur Not auch mal ein halbes Jahr wohnen, die würde mich zur Chemotherapie begleiten oder mir stundenlang zuhören, wenn ich über meine Probleme reden will.
Aber das hat doch immer alles Grenzen. Meine Freunde sind mittlerweile alle verheiratet, viele haben Kinder. Da ist doch klar, dass man nicht ganz oben auf der Liste steht. Egal, welches Problem ich habe. Wenn ich damit ihr Leben mit Partner und Kind(ern) zu sehr beeinträchtige, ist einfach Schluss.
Aber wenn wir es einfach nur auf die Gefühle reduzieren. Auch da mache ich mir nicht allzu viel Illusionen. Ich kenne meine Freunde schon seit über 20 Jahren. Wir haben uns alle verändert. Ich mag auch nicht alles an meinen Freunden und würde ich sie nicht schon so lange kennen, sondern gerade erst kennen lernen, fände ich sie womöglich gar nicht so toll.
Dennoch sind sie definitiv mehr als Bekannte. Und sie sehen mich auch als mehr an. Aber ob ich nun an Platz 10, 15 oder 20 stehe weiß ich nicht. Manchmal merkt man es, wenn man nicht zu einer Hochzeit eingeladen wird. Aber ich finde das nicht so schlimm. Ich habe Menschen, bei denen ich bestimmt in den Top 5 bin. Die meisten sind Familienmitglieder.
Ich bin in dieser Hinsicht wahrscheinlich ziemlich merkwürdig gepolt. Keine Ahnung, ob bei mir etwas defekt ist, ob es an meinem Charakter oder meiner Lebenserfahrung liegt, aber ich tue mir schwer mit der Vorstellung, als Erwachsener Freundschaften im klassischen Sinne zu pflegen. In meiner Kindheit und Jugend hatte ich Spielkameraden, dann die übliche Teenager-Clique, und auch im Studium Kurskollegen und -kolleginnen, die ich als meine Freunde bezeichnet hätte.
Aber seit ich offiziell "erwachsen" bin, finde ich für mich persönlich, dass ich zwar Bekannte und Kollegen habe, mit denen ich mich gut verstehe, aber ehrlich gesagt keine "Freunde", die mit mir durch "dick und dünn gehen", wie man so schön sagt. Ich empfinde dies, wenn ich so darüber nachdenke, auch als ziemlich viel verlangt:
Wie Bienenkönigin schon schreibt, haben die Leute alle Jobs, eigene Familien und Hobbys und selber so viel um die Ohren, dass sie schon ganz gerne einmal im Vierteljahr mit mir Kaffee trinken gehen, aber mich garantiert nicht zweimal die Woche zur Behandlung ins Krankenhaus fahren oder mir mit Rat und Tat zur Seite stehen, obwohl ich eigentlich groß und erwachsen bin und selber denken kann. Das macht sie in meinen Augen weder zu schlechten Menschen noch zu schlechten Freunden, sondern ich sehe es einfach ganz normal an, dass ich keine Hilfstruppen um mich versammeln kann, wenn ich mal wieder mit dem Leben überfordert bin.
Ich bin daher weniger der Meinung, dass die Hälfte aller "Freundschaften" nichts taugen, sondern eher, dass es vielleicht angemessen wäre, über die Definition des Begriffs genauer nachzudenken. Schließlich kann man jemanden auch mögen, ohne ihm oder ihr ständig aus der Patsche zu helfen, oder umgekehrt zu jemandem ein enges Verhältnis pflegen, ohne dass allzu extreme positive Gefühle im Spiel sind. Ich finde die Hollywood-Definition von Freundschaft selber weder besonders hilfreich noch realitätsnah.
Ich denke, das ist ein gesellschaftliches Problem und war früher anders, als man mehr gemeinsam unternommen hat. Ich würde fast vermuten, dass mehr als die Hälfte der Freundschaften recht lose Beziehungen sind, einfach weil echte Freundschaft gemeinsame Zeit braucht und die sich heute nur noch wenige gönnen. Im Grunde ihres Herzens sind heute wahrscheinlich mehr Menschen einsam, als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren. Ich denke gerade deshalb ist es so verbreitet, eine lange Freundesliste in den sozialen Medien zu führen, um das ein wenig zu vertuschen.
Ob eine Freundschaft was taugt, merkt man eigentlich erst im Nachhinein, wenn man sein Leben stark ändert. Zum Beispiel, wenn die ersten Kinder kriegen und ein Teil der Freunde nicht. Wenn die Freundschaft dann zwar etwas auf Distanz geht aber bestehen bleibt, ist alles OK, wenn man sich dann irgendwann gar nicht mehr sieht, ist da nicht viel übrig.
Letztlich will ich aber gar nicht zuviel darüber nachdenken und das ganze zerreden. So lange man sich miteinander wohl fühlt, geht man freundschaftlich einen Weg miteinander, wenn es Zeit ist, sich zu trennen, ist es eben so weit. Wenn man vorher schon überlegt, ob die Freundschaft möglicherweise nicht so intensiv wie erwartet sein könnte, zerstört man womöglich etwas, das besser ist als gedacht.
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