Mitwirkungspflichten des Unfallopfers noch am Unfallort

vom 07.02.2023, 14:39 Uhr

A ist Rollstuhlfahrer. Zur Mittagszeit fuhr er an einer großen, mehrspurigen, stark frequentierten Kreuzung über eine grüne Fußgängerampel, als er von einem rechtsabbiegenden LKW erfasst wurde, der laut späteren Polizeiermittlungen auf jeden Fall zu schnell gewesen war. Der LKW-Fahrer bemerkte die Kollision, hielt an, beschimpfte aus dem Fahrerhaus A, der mit seinem Rollstuhl halb unter dem LKW stand, hupte und fuhr dann weiter.

A reagierte noch so geistesgegenwärtig und fuhr mit seinem Rollstuhl zurück, sodass er nicht schwerer verletzt wurde. Trotzdem erwischte der LKW ihn nochmals und drehte den ganzen schweren Elektrorollstuhl um 180°. A versuchte noch, mit seinem Smartphone Fotos zu machen, hatte aber noch nicht einmal bemerkt, dass er gedreht worden war und somit in die falsche Richtung stand und fotografierte.

Eine Frau hatte neben A die Straße überqueren wollen, war aufgrund des Vorfalls aber auch zurückgeschreckt. Sie half A in keinster Weise und ging einfach weiter, meldete sich aber später wegen dieses Unfalls bei der Polizei, wobei sie keinerlei dienliche Hinweise zu dem LKW (Aussehen, Marke, Kennzeichen) machen konnte. Ansonsten gab es niemanden, der A geholfen hätte, der eingeschritten war, keinen, der sich überhaupt für diesen Vorfall interessiert hätte.

A fühlte sich unverletzt, war nur schwer geschockt, konnte nicht fassen, was gerade passiert war. Der Rollstuhl schien im ersten Moment auch noch okay, nur das Gestänge, mit dem die Steuerung befestigt war, schien verbogen. Erst später, teilweise erst Tage später, stellte sich heraus, dass er komplett verzogen war, die Befestigung der Plastikverkleidung innen stark beschädigt war und auch die Sensoren der Elektrik nicht mehr funktionierten.

Ca. fünf Stunden später musste die Freundin von A, die beim Unfall nicht dabei gewesen war und der A nur häppchenweise erzählt hatte, was passiert war, den Rettungswagen rufen, nachdem A neurologische Ausfälle hatte: Taubheit in den Beinen, plötzlich starke Müdigkeit, Krampfanfälle. Wie sich herausstellte, hatte A eine Gehirnerschütterung, ein mittelschweres Schleudertrauma und einen kleinen Riss in der Leber.

Vier Monate später bekam A nun ein Schreiben seiner Krankenkasse, die ihm vorwarf, dass er sich falsch verhalten hätte am Unfallort. Er hätte sofort die Polizei und den Rettungswagen rufen müssen. Und er hätte aktiv Zeugen suchen müssen für den Unfall. Der LKW-Fahrer hätte doch gehupt, da würden doch viele aufmerksam geworden sein. Warum A sich das Kennzeichen denn nicht gemerkt habe? Er hätte doch sein Smartphone dabei gehabt und hätte alles dokumentieren können.

A und seine Freundin finden diese Forderung an ein Unfallopfer nach Mitwirkung noch am Unfallort für überspitzt. A war gerade zweimal vom selben LKW angefahren worden! Die Mordkommission ermittelte immerhin, weil es dem Fahrer als Mordversuch ausgelegt wurde, dass er weitergefahren ist, als A noch halb unter dem LKW stand! Die Krankenkasse weiß auch, dass A ein Schleudertrauma und eine Gehirnerschütterung beim Unfall erlitten hatte.

Trotzdem verlangt sie von ihm, dass er bei einem Unfall besonnen reagiert und sich das Kennzeichen notiert, Fotos vom LKW macht, sofort die Polizei ruft und einen Rettungswagen, wobei er sich zu dem Zeitpunkt noch gar nicht verletzt fühlte. (Obwohl A im Rollstuhl sitzt, hat er genug Gefühl in den Beinen, um auch deren Zustand beurteilen zu können.) Außerdem hätte er aktiv gucken und eventuelle Zeugen ansprechen müssen.

Was meint Ihr zu diesen Forderungen der Krankenkasse? Habt Ihr schon einmal einen Unfall erlebt und sind solche Forderungen an Euch gestellt worden bzw. habt Ihr so besonnen reagiert? Wäre es normal, dass ein Unfallopfer am Unfallort aktiv nach Zeugen sucht? Ich kenne es eher, dass die Zeugen auf das Opfer zukommen und Hilfe und ihre Aussage anbieten. So habe ich es selbst nach einem Unfall vom Auto vor mir auch gemacht.

» SonjaB » Beiträge: 2698 » Talkpoints: 0,98 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Nun ja also was soll man dazu schon sagen. Wenn man es mal völlig unemotional betrachtet, kann ich die Krankenkasse völlig verstehen. Bleiben wir doch einfach bei den beweisbaren Fakten. Das sind die Verletzungen des Rollstuhlfahrers und für die Kosten der Behandlung musste jetzt seine Krankenkasse aufkommen. Das sind ja die einzigen Fakten, die wir haben und die völlig unstrittig beweisbar sind. Denn dafür gibt es zum einen die Rechnungen von Krankenhaus und Ärzten an die Krankenkasse und es muss ja auch Befundberichte und Arztbriefe dazu geben.

Alles andere ist ja zunächst einmal nicht sofort beweisbar. Nun dürfte aus den Unterlagen des Krankenhauses und der behandelnden Ärzte für die Krankenkasse hervorgehen, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat, der zu der Behandlung des Rollstuhlfahrers geführt hat. Und daraus entsteht für die Krankenkasse die für sie einzig entscheidende Frage. Wenn es sich um einen Unfall handelt und es einen Unfallgegner gibt, besteht dann die Möglichkeit die entstandenen Kosten auf diesen abzuwälzen. Um nichts anderes geht es der Krankenkasse hier in diesem Fall. Die Behandlung führen ja die Ärzte durch, die Behandlungen werden auch erst einmal von der Kasse übernommen, dafür ist sie ja da. Aber nichts desto trotz versucht jede Krankenkasse die Ausgaben zu minimieren und wenn es hier einen Unfallgegner gibt und dieser zweifelsfrei Schuld hätte, dann kann man die Kosten auf diesen oder seine Haftpflichtversicherung abwälzen.

Ja aber nun kommt eben hier das große Problem. Es gibt keine belastbaren Zeugen. Auch wenn da jetzt gesagt wird, da waren genug Leute oder es gab jemanden, der nachher auch zur Polizei gegangen ist. Wirklich etwas Belegbares hat niemand zu Protokoll gegeben, selbst wenn er es gesehen hat. Und damit hat dann eben auch die Krankenkasse keinen greifbaren Beteiligten außer den Rollstuhlfahrer. Der muss ja im Falle eines Unfalles nun einmal zweifelsfrei dabei gewesen sein. Und somit ist es natürlich für die Krankenkasse am naheliegendsten diesen aufzufordern sich darum zu kümmern den Vorfall irgendwie zu dokumentieren und wenn es eben nur in der Art passiert, dass man sich von ein paar Leute, die dabei waren die Daten geben lässt und damit später Zeugen zu haben und sich eben auch darum zu kümmern, dass die Unfallfolgen so zeitnah wie möglich erfasst werden.

Denn ganz ehrlich, wer kann denn jetzt beweisen, dass der Rollstuhl bei dem Unfall beschädigt wurde und nicht erst später kaputt gegangen ist? Wer kann denn beweisen, dass die Gesundheitsschäden wirklich durch den Unfall passiert sind und gesponnen nicht dadurch, dass er mal versuchen wollte einen steilen Abhang mit voller Geschwindigkeit herunterzufahren? Das will ich jetzt natürlich nicht unterstellen, aber das sind halt die Fragen, die sich in solchen Fällen Polizei, Krankenkasse und Versicherung stellen.

Und abgesehen davon, als völlig Außenstehender, der nur deine Schilderung liest, finde ich es zumindest in einigen Teilen zumindest ein wenig ungewöhnlich was deinem Rollstuhlfahrer da passiert ist. Aber gut, das ist subjektiv und darum geht es auch nicht. Könnte aber eben auch die ein oder andere ungewöhnliche Nachfrage der Krankenkasse erklären.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


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