Menschen mit schwerem Schicksal mehr durchgehen lassen?

vom 16.10.2017, 19:39 Uhr

Eine Kommilitonin von mir hat ein vergleichsweise schweres Leben. Ihre Mutter ist unheilbar krank und hat geistig auch viel abgebaut. In meinem Studiengang ist sie die einzige, die einen Nebenjob am Wochenende hat. Das ist schon eine große Leistung, da wir das Wochenende meist für die Aufarbeitung der Vorlesungen und Seminare nutzen, da in der Woche neben den Praktika keine Zeit dafür ist. Das spiegelt sich auch sehr in ihren Noten wieder.

In letzter Zeit ist sie auch immer mehr auf Gefallen angewiesen. Häufiger bittet sie Kommilitonen darum, von den Professoren aufgestellte Zeitpläne und Terminplanungen zu verändern, damit sie beispielsweise zu einem späteren Zeitpunkt ihren Vortrag halten kann. Ich wurde mehrfach darum gebeten Protokolle für sie auszudrucken und abzugeben. In letzter Zeit ist sie auch häufig gereizt und schnauzt gerade mich an, da ich viel mit ihr zu tun habe.

Normalerweise hätte ich längst ein Machtwort gesprochen und sie in ihre Grenzen gewiesen. Ich finde es unverschämt, dass sie mich immer noch um Gefallen bittet, während sie mich gleichzeitig unverschämt behandelt. Im Moment sage ich allerdings nichts, da ich Mitleid habe. Ich habe den Eindruck, dass sie ohnehin schon am der Grenze des Machbaren ist und Kritik nicht verkraften würde.

Kennt ihr das, wenn man Menschen nicht die Meinung sagt und ihnen mehr durchgehen lässt als anderen, weil man Mitleid hat und sich einfach nicht traut etwas zu sagen? Wie würdet ihr an meiner Stelle handeln? Würdet ihr ihr weiterhin einen Gefallen tun, selbst wenn sie häufig frech ist?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Es gibt so viele Menschen mit einem schweren Schicksal und ich bin bestimmt die Letzte, die einen in Watte packt, aber auch die Letzte, die einen jetzt trotzdem voll in Anspruch nimmt. Es kommt halt auch auf die Situation an, in der sich die betroffene Person befindet. Ich habe schon sehr großes Mitleid mit Menschen, deren Eltern im Sterben liegen oder sowas. Da erwarte ich auch nicht, dass die auf der Arbeit wirklich richtig bei der Sache sind. Logisch!

Ich mag es aber auch nicht, jetzt jeden dauerhaft in Watte zu packen, weil ich der Meinung bin, das hilft am Ende auch niemanden weiter. Wer zum Beispiel in einem Job arbeitet, wo nur Ergebnisse zählen, dem hilft es nicht, wenn man sie in Watte packt und am Ende derjenige auf den Deckel kriegt. Das kann passieren.

Zumal dieses "schwere Schicksal" von vielen wie "schlechte Kindheit" ausgenutzt wird, was mir sehr gegen den Strich geht. Denn viele nutzen dieses Mitleid haben oder vieles durchgehen lassen, alles entschuldigt wissen auch massiv aus. Das geht natürlich auch nicht, aber bei Leuten die ich kennen, kann ich das natürlich ganz anders einschätzen und würde nicht entsprechend das Gefühl vom "ausnutzen" einer schweren Situation bekommen.

Es kommt halt immer auf die Umstände an. Wenn die Mutter krebs hat, der Papa gerade gestorben ist, der Ehemann einen betrogen hat und man direkt einen Tag später irgendwo hin muss, dann habe ich schon mehr Verständnis für die Betroffenen, weil das schon manchmal schwerer ist. Doch das kann man auch übertreiben auf die Dauer oder meinst Du nicht?

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


Ich glaube Mitleid ist etwas, worauf die Gesellschaft ziemlich anspringt und man wird konditioniert, darauf zu reagieren. Man denke nur an diese ganzen Casting-Sendungen, wo ab einem gewissen Punkt die traurigsten und schwersten Storys rausgekramt werden, sodass alle Mitleid bekommen und der Person auch mal was gönnen wollen nach so einer schweren Zeit. Wie viel das Fernsehen da aufgebauscht hat, weiß man natürlich nicht, aber Fakt ist, dass diese Leute bei Castings weiterkommen, je schwerer das Schicksal zu sein scheint. So zumindest mein Eindruck.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich würde an deiner Stelle versuchen, solches Verhalten direkt anzusprechen und nicht zu "sammeln"-das staut sich dann nur auf und am Ende wirst du dann wegen einer Nebensächlichkeit laut, die das nicht gerechtfertigt hätte, wenn ein normales Verhältnis bestehen würde.

Ich würde die Person sachlich darauf hinweisen, dass man sich durch ihr Benehmen verletzt fühlt. Man verstehe zwar ihre Lage, aber das rechtfertigt nicht das Verhalten, zumal du ja überhaupt nicht verpflichtet bist, etwas für sie zu tun.

Sage ihr, dass du ihr gerne hilfst, aber sollte sie sich weiterhin dir gegenüber verletzend verhalten, dann würdest du in Zukunft keine Hilfe mehr leisten.

Die Situation deiner Bekannten ist sicherlich nicht einfach, aber du trägst keinerlei Verantwortung daran, bist demzufolge auch in keiner Bringschuld ihr gegenüber. Es gibt genügend Leute, die ein schlimmes Schicksal haben und Hilfe benötigen, die aber im Umgang freundlicher sind.

Wenn du also gerne hilfst, dann helfe denen, die dir gut tun-nicht denen, die dafür sorgen könnten, dass du am Ende auch Hilfe brauchst.

» Cola79 » Beiträge: 7 » Talkpoints: 2,91 »



Ich finde weder eine sachliche noch ein vorwurfsvolles Ansprechen ihres Verhaltens sind der richte Weg, ein Verschweigen aber auch nicht.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie mit ihrer Energie und ihrer Kraft einfach am Ende ist und sehr wohl weiß, dass sie im Umgang zwischendurch sehr zickig zu ihren Mitmenschen ist. Die Belastung vor allem die emotionale in Bezug auf ihre Mutter ist einfach enorm hoch und sie wird wissen, das im Moment einfach alles zu viel ist und sie auf Hilfe von anderen angewiesen ist, obwohl sie das wahrscheinlich in dem Masse auch gar nicht möchte, da nützt es nichts, noch zusätzlich Öl in das Feuer zu gießen. Genauso wenig wie es der falsche Weg ist, das ganze zu verschweigen und nicht anzusprechen, denn dann wird es irgendwann eskalieren.

Wenn dir etwas an dieser Kommilitonin liegt und sie dir nicht völlig egal ist, würde ich ein ruhiges Gespräch mit ihr suchen und ihr zu verstehen geben, das du merkst wie angespannt sie in letzter Zeit wäre und das die Belastung im Moment wohl sehr hoch wäre, weil sie eben durchaus mal etwas zickiger ist oder sich leicht im Ton vergreift. Gleichzeitig gibst du ihr zu verstehen das sie sich keine Gedanken machen solle, wenn sie dich mal um Mitschriften oder ähnliches bittet, die würde sie von dir bekommen. Damit signalisierst du ihr, dass du ihr in dem Punkt helfen wirst und nimmst ihr damit einfach viel Druck und vielleicht auch Schamgefühl.

Manchmal hilft in solchen Situationen einfach nur, dass derjenige der den Druck hat weiß, das er jemanden hat, den er fragen kann und sich dabei denn nicht mehr so doof vorkommt. Nicht jedem fällt es immer leicht um Hilfe, Mitschriften etc. zu fragen, weil man sich damit ja eingestehen muss, das man es im Moment alleine nicht schafft. Ich finde das das immer noch nicht heißt, das man alles durchgehen lässt oder Mitleid hat, aber es zeigt auch, das man kein Mensch ist mit einem Herz aus Stein oder alles auf die Goldwaage legt.

» StarChild » Beiträge: 1405 » Talkpoints: 36,05 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ich glaube, dass man das nicht immer sagen kann und dass es auf die Umstände ankommt. Wenn es ihr wirklich so schlecht geht und sie vor allem darum zu kämpfen hat nicht unterzugehen, dann würde ich es ihr nicht noch schwerer machen und ihr doch versuchen zu helfen. Grade dann, wenn du sagst, dass sie die Einzige ist, die einen Nebenjob hat und sich trotzdem die Mühe gibt, dann würde ich sie nicht auflaufen lassen und versuchen ihr zu helfen.

Jedoch muss ich sagen, dass ich mir ihre Art auf Dauer nicht gefallen lassen würde. Ich helfe gerne Leuten, die in Schwierigkeiten sind, sofern es mir möglich ist. Jedoch erwarte ich dafür auch einen ordentlichen Umgangston, auch dann, wenn sie gestresst ist. Ich würde an deiner Stelle einfach mal mit ihr ruhig unter vier Augen sprechen und ihr mitteilen, dass dir in letzter Zeit aufgefallen ist, dass sie sehr gestresst ist und viel zu tun hat und du das Gefühl hast, dass sie es manchmal an dir auslässt.

Sage ihr, dass du das nicht mehr möchtest und dir wünscht, dass sie in Zukunft anders mit dir redet, grade, weil du auch bereit bist ihr weiterhin zu helfen. Wichtig ist, dass du dabei keine Anschuldigungen verwendest und ruhig mit ihr umgehst. Sie wird merken, dass du ihr nichts böses willst und vielleicht in Zukunft ihr Verhalten ändern.

» Hufeisen » Beiträge: 6056 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


Generell würde ich sagen, dass ich Menschen schon viel mehr durchgehen lasse, wenn ich über deren Schicksal bescheid weiß und diese Menschen sich gerade in einer sehr schweren Situation befinden. Das ist dann eben eine Ausnahmesituation und ich helfe auch gerne, wenn ich etwas tun kann, damit es dem Menschen besser geht, bzw. er ein wenig entlastet wird.

Trotzdem finde ich es wichtig, dass man sich nicht ausnutzen oder permanent von diesen Menschen vereinnahmen lässt, selbst wenn es Freunde sind. Man muss auch immer schauen, wo man selber bleibt und wenn dieses "Durchgehen lassen" an den eigenen Kräften zehrt und einen selber unzufrieden mach, würde ich irgendwann die Bremse ziehen.

Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft sind gut und schön, solange man etwas gerne macht und jemanden unterstützt, weil man es gerne möchte. Anschnauzen lassen würde ich mich aber wohl nur eine gewisse Zeit und wenn mir das alles zu viel wird, würde ich meine Hilfsbereitschaft irgendwann auch sehr stark einschränken.

» Sandra980 » Beiträge: 1011 » Talkpoints: 12,41 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ich finde so etwas schwierig und würde es auch immer von der jeweiligen Situation abhängig machen. Im Falle deiner Kommilitonin würde ich auch vermuten, dass sie mit ihrer Kraft einfach am Ende ist und darum auch schon mal zickig reagiert. Dafür hätte ich bis zu einem gewissen Punkt auf jeden Fall auch Verständnis und würde sicher nicht sagen, dass ich ihr nicht mehr helfen möchte, wenn sie mich dann so anschnauzt.

Aber sagen würde ich schon etwas, weil ich es auch von mir kenne, dass ich dann auch heftiger reagiere als es in der Situation angemessen wäre, wenn dann eine Kleinigkeit das Fass zum Überlaufen bringt. Somit würde ich auf jeden Fall schon reagieren, bevor dieser Punkt bei mir erreicht wird.

Ich würde sie dann auch mal zur Seite nehmen und ihr unter vier Augen sagen, dass ich ja gerne bereit bin, ihr zu helfen und dass ich auch ihre spezielle und sehr schwierige Situation verstehe. Aber gleichzeitig würde ich eben auch sagen, dass es mich verletzt, wenn ich dann trotz meiner Hilfe so frech behandelt werde. So weiß sie, dass ich auch weiterhin helfen werde, aber eben auch, dass sie vielleicht mal an ihrem Tonfall arbeiten muss.

» Barbara Ann » Beiträge: 28945 » Talkpoints: 58,57 » Auszeichnung für 28000 Beiträge


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