Menschen in sozialen Berufen häufig psychisch gestört?
Ich habe vor kurzem eine Aussage von einer Bekannten mitbekommen, die meinte, dass alle Menschen, die soziale Berufe ausüben würden, psychische Probleme hätten. Denn soziale Berufe würden häufig von Menschen ergriffen und erlernt werden, die das Helfersyndrom hätten und zu diesem Krankheitsbild würde gehören, dass man ein instabiles Selbstwertgefühl hätte und sich durch Hilfsbereitschaft versuchen würde, aufzuwerten.
Würdet ihr sagen, dass Menschen in sozialen Berufen wie Lehrer, Arzt, Altenpfleger, Pfarrer, Psychologe und Sozialarbeiter grundsätzlich psychische Probleme hätten und nur dadurch bedingt diese Berufe erlernen? Ich würde das pauschal nicht behaupten, da man bei manchen Jobs (siehe Altenpfleger) froh sein kann, dass man überhaupt eine Ausbildung findet und eine Arbeit hat. Nicht in jedem Beruf findet man gut Arbeit, daher muss man manchmal nehmen, was man bekommt.
Da hast du aber einen wunden Punkt getroffen, denn mit deiner Aussage hast du doch wieder alle über einen Kamm geschert. Du behauptest, dass jemand nur diese Berufe ergreift weil er ein Helfersyndrom hat? Kamst du auch schon einmal auf die Idee, dass man sich einfach für diesen Bereich interessiert und deswegen diesen Beruf ergreift? Einem Schreiner unterstelle ich auch keine Intimen Beziehungen zu Holz, wobei es davon sicherlich auch einige geben wird.
Ich habe einen solchen Beruf ergriffen und nach meiner Schule Rettungsassistentin gelernt. Diesen Beruf musste man zu diesem Zeitpunkt noch selbst bezahlen, hat nur ein Praktikantengehalt im zweiten Jahr bekommen von 140 Euro pro Monat. Warum ich mich dafür entschieden haben ist sicherlich nicht das Helfersyndrom. Ich fand Medizin halt schon immer spannend, für ein Studium hat es mangels Abitur nicht gereicht. Krankenschwester oder Altenpfleger kam nicht in Frage, denn dort werden Tätigkeiten gefordert die nur wenig mit Medizin zu tun haben. Arzthelfer haben auch eher weniger mit Medizin zu tun als mit der Verwaltung und Organisation. Da bleibt einfach nichts viel übrig wenn man das bereits abzieht in diesem Bereich.
Im Hauptamtlichen Bereich findet man das eher selten, die meisten wurden damals über den Zivildienst rekrutiert. Sie mussten diesen Leisten und haben hinterher eine Stelle angeboten bekommen. Als das ganze weggefallen ist, sind auch die Zahlen der Ausbildung deutlich eingebrochen da diese Ausbildung eben selbst bezahlt werden musste. Nach der Novellierung wurden Rettungsassistenten aber dringend gebraucht, also hat auch das Arbeitsamt viele auf diese Umschulung geschickt.
Die wenigsten kommen wegen dem "Helfersyndrom". Die deswegen diesen Beruf ergreifen hatten schon vorher einen an der Klatsche und sich mehrere Stunden pro Woche im Ehrenamt engagiert und waren mehr dort vertreten als Zuhause bei ihrer Familie zu sein. Diese findet man hauptsächlich im Ehrenamt, Übermotivierte, schlechter ausgebildete Kollegen (meistens sind diese nur Rettungshelfer oder Rettungssanitäter) die meinen die komplette Welt retten zu können und die 12 Stunden Dienste auch für 20 Euro und eine Pizza erledigen oder ganz umsonst. Das sorgt dafür, dass die hauptamtlichen Mitarbeiter entsprechend wenig verdienen, denn es findet sich immer ein "blöder" der das ganze günstiger oder umsonst macht, somit auch eine schlechte Ausgangsbasis für Gehaltsverhandlungen.
Was aber passiert, dass eben hauptamtliche Mitarbeiter mit der Zeit emotionslos werden und auch teilweise das Taktgefühl verlieren. Das ist dann eine Art Schutzmechanismus, denn man sieht und bekommt dort schon vieles mit, was man eigentlich nicht erleben möchte. Da alles unter die Schweigepflicht fällt, kann man auch nicht einfach zur Polizei rennen wenn man vermutet das jemand sein Kind misshandelt, nein es müssen umständliche Wege genommen werden damit man seine Fresse aufmachen darf.
Man versucht einfach das ganze nicht mehr an sich heran zu lassen, ansonsten ist man in diesem Beruf bereits nach wenigen Jahren psychisch kaputt. Dazu noch Belastende Einsätze z.B. verbrannte Kinder, Massenanfälle mit vielen Toten usw., durch die langen Schichten läuft es meistens auch privat nicht gut und schon hat man die perfekte Grundlage für entsprechende psychische Erkrankungen. Diese sind dann aber eher einer anderen Natur als dem "Helfersyndrom". Von der Umwelt wird das dann gerne als "abgestumpft" und "emotionslos" abgetan oder einfach "du hast einen an der Klatsche" und reagieren mit wenig Verständnis wenn man keine Regung mehr zeigt wenn die dritte erfolglose Reanimation am Tag gelaufen ist.
Mir sind dabei auch schon Fettnäpfchen passiert die ich leider laut ausgesprochen habe. So habe ich nach einem Einsatz mit jemanden der vor den Zug gesprungen ist Hunger bekommen und fragte den Kollegen ob er anschließend noch Lust auf einen Abstecher bei Mc Donalds hätte. Die umstehenden Zugpassagiere haben uns beide entsetzt angeschaut und einer fragte nach ob ich jetzt nichts anderes als Essen im Kopf hätte. Nein hatte ich tatsächlich nicht, denn zu diesem Zeitpunkt war ich bereits 14 Stunden ununterbrochen im Einsatz, hatte richtig Hunger und das war auch nicht mein erster der vor den Zug gesprungen ist.
Ein Helfersyndrom habe ich nicht, mein Job frustrierte mich über die ganzen Jahre aus verschiedenen Gründen immer mehr. Beziehungen sind deswegen kaputt gegangen, Freundschaften haben sich aufgelöst, Bereitschaftszeiten die nicht bezahlt werden, arbeiten von 48 Stunden die Woche wovon nur 38 bezahlt werden. Nach 10 Jahren habe ich quasi 1 Jahr komplett umsonst gearbeitet! Von den 20 Tagen Urlaub mal abgesehen zu denen noch vier weitere Urlaubstage kommen wegen den Nachtschichten.
Dazu beschissene Dienstzeiten die kein Freiraum für Privatleben lassen, mit Familie als Alleinerziehende unvereinbar sind und das immer mehr gefordert wird für das gleiche Gehalt. Rechtliche Absicherung dabei natürlich nicht gegeben und man müsste sich zusätzlich privat versichern gegen Schadensersatzansprüche, das man von seinem Minigehalt noch bezahlen soll.
Für mich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass dieser Job nichts mehr für mich ist und habe bereits vor Jahren mit meiner zweiten Karriere begonnen und hänge diesen Beruf an den Nagel. Danach wird man mich auf keinem Rettungswagen mehr finden, weder hauptamtlich, noch nebenamtlich oder gar ehrenamtlich.
Man braucht schon eine gute Portion Naivität und darf finanziell auch keine großen Sprünge vorhaben, wenn man sich heute noch für eine Ausbildung in diesem Bereich entscheidet. Auch muss man sich im klaren sein, dass dann Feiertage nicht existieren, man am Wochenende und Nachts arbeitet. In jungen Jahren kommen damit viele zurecht, aber mit dem steigenden Alter kommen damit auch weitere Probleme.
Ich denke vielen ist überhaupt nicht bewusst, was für eine Arbeit von diesen Berufen geleistet wird und auch die Öffentlichkeit interessiert sich nicht dafür. In meinen vielen Jahren im Rettungsdienst habe ich oft die Aussage gehört, dass ich das ganze ja umsonst ehrenamtlich mache. Natürlich arbeite ich umsonst, ich muss ja auch keine Miete bezahlen und habe keine Ausgaben wie jeder normale Mensch.
Ich könnte es mir bequem leisten immer ohne Geld arbeiten zu gehen. Die meisten waren entsetzt wenn sie erfahren haben, dass ich für meine Arbeit Geld bekomme. Für mich ist es nichts weiter als ein ganz normaler Job. Wer hat dann also die psychischen Probleme? Ich oder die Menschen die glauben das alle im Rettungsdienst nur "aus der Liebe zum Menschen" umsonst dort arbeiten?
Unter den Lehrern kenne ich auch viele Machtmenschen, die es unheimlich genießen, Autorität auszuleben. Gerade gegen Schwächere geht das besonders gut. Allerdings ist das überall ein Tabuthema. Wenn man in der Lehramtsausbildung von Macht und Autorität redet, wird man von Mitstudenten schnell heftigst kritisiert. Deshalb werde doch niemand Lehrer. Da frage ich mich dann nur, woher als die machtgeilen Lehrer kommen, die ich in meiner eigenen Schulzeit und in Praktika erlebt habe.
Das verrückte ist, dass das in einem sozialen Beruf gleich wieder negativ belegt ist und das keiner offen gestehen will. Wenn man aber sagt, die Chefetage vom Großkonzern XYZ ist mit Menschen besetzt, die ihre Machtposition genießen, ist das was ganz tolles. Ich fasse mir dann manchmal an den Kopf über so viel unsachliche Beurteilung.
Im Übrigen, wie viel Prozent der Menschen arbeiten in einem Land in sozialen Berufen ? Geschätzt ist das vermutlich ein fünftel der Menschen und über ein Drittel der Frauen. Will man denen allen eine psychische Erkrankung unterstellen? Das wäre doch absurd. Eine Erkrankung ist immer eine Abweichung von einer Norm. Wie kann dann so ein großer Teil der Bevölkerung von der Norm abweichen?
Ich sehe das eher als gesellschaftliches Problem unserer Wirtschaftsordnung. Ich finde es eher krank, dass man es für krank hält, wenn sich Menschen sozial verhalten wollen und nicht nur auf ihre eigenen Vorteile achten. Wenn diese vermeintliche Krankheit mehr Leute ausleben würden, dann wäre die Welt ein Stück sozialer.
Viel kranker finde ich, dass Arbeit in sozialen Berufen so wenig geschätzt wird. Nirgends verdient man (von vielen Künstlern oder Geisteswissenschaftlern mal abgesehen) weniger als studierter Mensch als als Lehrer. Und in wenigen Berufen ist der Stundenlohn für gelernte Facharbeiter niedriger, als im sozialen Bereich. Das finde ich eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
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