Mediziner - der Proll unter den Wissenschaftlern?
Mediziner haben ein Imageproblem. Zunächst war der Besuch bei ihnen meist tödlicher, als das Überstehen der Krankheit selbst, dann wurden sie zu den Halbgöttern in weiß und inzwischen vertrauen wieder immer weniger Menschen den Medizinern. Ich kenne nur noch sehr wenige Menschen die sich auf die Diagnosen ihrer Ärzte verlassen und sie nicht hinterfragen oder überprüfen lassen.
Auf unter den Naturwissenschaftlern sind Mediziner unbeliebt und das hat auch gute Gründe, denn Mediziner haben eine sehr stumpfe und oberflächliche Ausbildung in Naturwissenschaften wie Mathematik, Chemie oder Physik, meinen aber nicht selten, den Physikern erklären zu können, was Quantenphysik ist und natürlich wissen sie über die Auswertung jeder Studie besser Bescheid, als jeder Biometriker. Ziehen andere Wissenschaftler zur Auswertung ihrer Studien Statistiker und Mathematiker zu Rate, meint der Mediziner das ganz alleine zu können.
Deswegen sind Mediziner unter den Naturwissenschaftlern nicht gern gesehen und an meinem Institut gibt es immer großes Theater, wenn ein Arbeitskreis für einige Wochen zu den Medizinern soll um zu helfen. Jeder sträubt sie wie er nur kann und die meisten geben lieber vor krank zu sein, als dort hin zu gehen. Auch bei Konferenzen und anderen Veranstaltungen glänzen viele Mediziner durch ihr Halbwissen und unter den Fachleuten ist Fremdschämen angesagt.
Natürlich gibt es auch wenige Mediziner die auch Fachwissen außerhalb der Medizin haben, allerdings haben diese dann nicht einen Kurs belegt der sich ''Chemie für Mediziner'' nennt und von dem Tutor geleitet wird, der dafür bestraft worden ist das größte Chaos im Labor angerichtet zu haben. Diese Mediziner weisen meist ein Doppelstudium vor, sind aber selten. Das Oberlehrerhafte Verhalten der Mediziner ist bereits 1919 von Eugen Bleuler in seinem Buch ''Das autistische-undisziplinierte Denken in der Medizin und seine Überwindung'' kritisiert worden. Seitdem gab es immer wieder Schriften zu diesem Thema, die aber ungern beachtet worden sind.
Ich selbst habe auch Mediziner in meiner Familie und bei einem Onkel und einer Tante inklusive ihrer Kinder, ist es ebenso wie beschrieben. Das ließ dann etwas nach, als ich als Assistenten in einem Praktikum für Mediziner arbeitete und sehen konnte, was die Mediziner in Chemie machen. Seitdem bin ich mir sicher, dass jeder Abiturient mehr Chemie kann, als ein Mediziner, aber welcher Mediziner hört das schon gern.
Nicht selten beschweren sich Mitarbeiter meines Institutes über die mangelnden Kompetenzen der Mediziner. Habt ihr selbst auch schon mal mit Medizinern arbeiten müssen und wenn ja, wie ist es euch dabei ergangen? Hattet ihr auch das Gefühl, dass diese meinen über allem zu stehen und durch Halbwissen geglänzt haben? Warum hat die Medizin unter den Naturwissenschaftlern dieses Image und wie bekommt sie es wieder los?
Ich denke alleine die Tatsache, dass man solche erheblichen Vorurteile gegenüber einer ganzen Personengruppe hat und sich noch nicht einmal die Mühe macht, das ganze auf einzelne Individuen zu beziehen, sagt auch etwas über die eigene Persönlichkeit. Es deutet auch darauf hin, dass man sich seine Meinung lediglich durch einen oberflächlichen Kontakt mit der jeweiligen Personengruppe gebildet hat. Selbst wenn man dann welche kennt, seien das natürlich die absoluten Ausnahmen.
Es gibt natürlich immer gewisse Feindseligkeiten zwischen verschiedenen konkurrierenden Gruppen. Ob das jetzt Chemiker und Mediziner oder Juristen und Betriebswirte sind, spielt da jetzt keine Rolle. Aber außerhalb der Gruppe sieht das ganze meistens völlig anders aus. Wir hatten auch immer wieder Konflikte mit anderen Studiengängen; trotzdem waren wir auf persönlicher Ebene oft befreundet und später im Berufsleben gute Kollegen.
Wenn man selbst allerdings auch auf Einzelpersonen mit diesem ablehnenden Verhalten begegnet, braucht man kein offenes Verhalten von der anderen Seite erwarten. Mediziner haben einfach eine unheimlich breite Ausbildung. Die können gar nicht so tief in den Naturwissenschaften drin stecken wie die Spezialisten, obwohl deren Ausbildung oft viel kürzer ist. Und natürlich können sie auch oft nicht ahnen, wie tief ihr Wissen wirklich geht.
Dieser Effekt ist mit in anderen Zusammenhängen schon häufig begegnet, das betrifft eigentlich alle Lebensbereiche, in denen es um Wissen geht. Davor sind also auch die absoluten Spezialisten überhaupt nicht verschont. Und als Student steckt man da noch ganz tief drin. Deshalb wäre ich als solcher ganz vorsichtig, wenn ich das Wissen anderer bewerten würde. Schließlich hat man selbst auch nur gerade mal an der Oberfläche gekratzt.
Davon abgesehen halte ich diese Feindseligkeiten für ziemlich irrelevant, da sie im Berufsleben kaum noch auftreten. Sicherlich gibt es hin und wieder Dispute zwischen Ärzten und Apothekern, aber selbst das ist eher selten und läuft sicherlich nicht auf der von dir beschriebenen Ebene ab. Alle anderen Naturwissenschaftler kommen wohl sehr selten regelmäßig mit Ärzten in Kontakt.
Ich muss sagen ich sehe da ein sehr konträres Bild in meinem Umfeld, Mediziner genießen doch ein sehr hohes Ansehen, der Beruf ist sehr prestigeträchtig. Natürlich gibt es darunter auch schwarze Schafe, die dieses Prestige, welches teilweise auch durch hohe NCs getragen wird, ausnutzen und aus naturwissenschaftlicher Sicht eigentlich nicht viel auf dem Kasten haben
Crispin hat geschrieben:Ziehen andere Wissenschaftler zur Auswertung ihrer Studien Statistiker und Mathematiker zu Rate, meint der Mediziner das ganz alleine zu können.
Also so pauschal würde ich das nicht sagen. Ich arbeite in einem medizinischen Forschungsinstitut als Naturwissenschaftlerin und habe dementsprechend mit 95% Ärzten zu tun. Hier ist es aber keineswegs, dass die Studien alle selbst ausgewertet werden, sondern dass regelmäßig Statistiker konsultiert werden ohne sich dafür zu schämen oder da irgendwelche Berührungsängste zu haben.
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