Leiden Stadtmenschen eher an psychischen Erkrankungen?

vom 20.07.2017, 12:26 Uhr

Angeblich leiden Menschen die in der Stadt wohnen schneller und häufiger an psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen als Menschen, die auf dem Land leben. Das soll daran liegen, dass Stadtmenschen oft viel beengter wohnen und obwohl sie in der Stadt wohnen nur wenige Freunde und Bekannte haben. So würde man sich auch unter Menschen oftmals trotzdem einsam fühlen.

Menschen auf dem Land haben das so angeblich nicht. Dort kennt man normal viele Leute aus der Nachbarschaft und es ist alles nicht ganz so anonym. Ich muss sagen, dass ich das so nicht bestätigen kann. Ich kenne auch einige Menschen, die ländlich wohnen und trotzdem psychische Erkrankungen haben.

Meint ihr, dass Stadtmenschen wirklich häufiger an psychischen Erkrankungen leiden? Habt ihr da schon Beobachtungen gemacht oder etwas darüber gehört? Ist das Leben auf dem Land für die Psyche wirklich besser?

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Nur weil Menschen in der Großstadt eher an psychischen Erkrankungen leiden, heißt das ja nun nicht, dass die Landbevölkerung automatisch gesünder ist. Bei Depressionen und Schizophrenie beträgt der Faktor ungefähr 1,4. Das spricht nun nicht für eine kerngesunde Landbevölkerung.

Außerdem kommt es immer darauf an, wie man lebt. Ursache für psychische Erkrankungen ist durchaus die große Bevölkerungsdichte bei gleichzeitig großer Isolation. Aber diese Isolation muss es in der Stadt nicht automatisch geben. Ein Beispiel sind Untersuchungen bei Migranten. Die müssten aufgrund der großen Enge, der Lautstärke und der Probleme in sozialen Brennpunkten eigentlich häufiger erkranken.

Das tun sie aber nicht. Trotz der schlechten Lebensbedingungen hält der enge soziale Zusammenhalt im eigenen Viertel die Menschen ziemlich gesund. Das ändert sich schlagartig, wenn das Einkommen steigt und die Migranten in vergleichsweise anonyme Mischgebiete ziehen. Dann steigt die Erkrankungsrate, weil der Zusammenhalt und der enge soziale Kontakt fehlt. Dabei haben sich die Lebensbedingungen objektiv verbessert.

Wer sich auf dem Land einsam fühlt, der hat ein ebenso hohes Risiko wie ein Stadtbewohner. Und ein Stadtbewohner, der in seinem Viertel gut eingebunden ist, der wird nicht schneller krank als ein Landbewohner. Denn fühlt sich der Mensch heimisch und verbunden, dann ist die hohe Einwohnerdichte wenig problematisch.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Nur, weil es auf dem Land weniger anonym zugeht, muss das doch nichts heißen. Ich kenne mehr Beispiele von Menschen, die ländlich wohnen und psychisch krank sind als von psychisch kranken Stadtbewohnern und dabei lebe ich in einer Großstadt und habe ein großes Umfeld hier. Das liegt dann eben daran, dass man auf dem Land zwar theoretisch jeden kennt und sogar die Krankheitsgeschichte und die ganze Ahnengeschichte einer jeden Person kennt, aber das heißt noch lange nicht, dass man täglichen Kontakt hat.

Stattdessen wird auf dem Land sehr viel bewertet und gelästert und die soziale Kontrolle ist sehr groß. Man kann nicht einfach machen was man möchte und muss direkt befürchten, schlecht bewertet zu werden. Durch die soziale Kontrolle und den gesellschaftlichen Druck, bloß nicht aus der Reihe zu tanzen und sich selbst zu verwirklichen, gehen manche Menschen eben kaputt, es nagt am Selbstwertgefühl und man wird depressiv.

Ich bin in einer Stadt-Gruppe bei Facebook und ich bekomme immer wieder mit, wie sich wildfremde Menschen aus meiner Stadt treffen. Da kommen dann solche Posts wie: "Suche Anschluss, wer hat Interesse?" oder so etwas wie "Ich will heute um 19 Uhr ins Kino/ in die Bar/ baden etc. wer kommt mit?" Teilweise werden so neue Freundschaften geschlossen und man kommt unter Menschen, wenn man das denn möchte.

Als ich damals zum Beispiel in die Großstadt gezogen bin, hatte ich erst Kontakt zu Kommilitonen, weil ich eben studiert habe. Jetzt, wo ich nicht mehr arbeite und die Kommilitonen alle weiter gezogen sind wegen Arbeit etc. knüpfe ich eben auf andere Weise Kontakte. Ich habe schon über meine Facebook-Stadtgruppe viele Menschen treffen können und es haben sich einige gute Freundschaften entwickelt.

Also sozial isoliert bin ich keinesfalls trotz Anonymität, ich komme auch gut mit den Nachbarn klar und pflege Kontakt zu Kollegen und Bekannten. In einer Stadt kann man sehr gut leben ohne psychisch krank zu werden. Auf dem Land sieht es - für mich persönlich - wegen der sozialen Kontrolle anders aus, weil man da in seiner Selbstverwirklichung gehemmt wird, gerade wenn man wie ich dazu neigt aus der Reihe zu tanzen und ambitioniert ist.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Die Frage ist doch erst mal, wie man zu dieser Aussage kommt. Wenn man rein nach den Zahlen geht werden in einer Stadt wahrscheinlich mehr Menschen an allen verfügbaren Krankheiten leiden als auf dem Land, weil es dort schlicht und einfach mehr Menschen gibt.

Und wenn man schaut wie viele Menschen pro 100 oder 1000 Einwohner in Behandlung sind um die Tatsache auszugleichen, dass in einer Stadt mehr Menschen leben müsste man bedenken, dass eine Erkrankung nicht automatisch bedeutet, dass man auch in Behandlung ist. Der Mangel an Anonymität auf dem Land sorgt wahrscheinlich eher für größere Hemmungen bei dem Umgang mit einer psychischen Erkrankung.

Es klingt immer so idyllisch wenn man davon spricht, dass sich die Nachbarn auf dem Land ja noch kennen würden und so weiter. Aber schön ist das doch nur für die Leute, die in das Raster passen und nicht irgendwie aus dem Rahmen fallen.

Wo würdest du es angenehmer finden eine stationäre Therapie zu machen? In einer Großstadt, in der jeder sein Ding macht, oder in einem Dorf, in dem nach spätestens einer Woche jeder weiß, warum du wirklich im Krankenhaus bist, über dich tratscht und bei deiner Rückkehr tuschelt und dir verstohlene Blicke zu wirft wenn man denkt du merkst es nicht?

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



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