Kürzeres Leben, aber dafür in vollen Zügen genossen?
Da ich im Krankenhaus arbeite, sehe ich häufig Menschen, die dem Tod ins Auge blicken und auf ihren letzten Metern in den letzte Wochen, Tagen oder vielleicht auch Stunden sehr leiden müssen. Wenn es nur wenige Tage sind, mag es noch auszuhalten sein, aber bei manchen Menschen zieht sich der Todeskampf nach langer Krankheit sehr hin, bis sie im Tod die Erlösung finden.
Ich selbst empfinde es immer als traurig die Menschen so leiden zu sehen. Viele der Patienten leiden unter Krebs oder anderen Tumoren, an denen sie letztendlich sterben. Ein Großteil davon klammert sich, trotz schlechter Diagnose, bis zum Schluss an die Hoffnung, dass Chemotherapie, Strahlentherapie oder eine massive Operation ihr Leben retten können. Das will ihnen natürlich auch keiner absprechen, aber viele leiden dann doch zunehmend unter den Nebenwirkungen und Folgen, mehr, als sie es unter der Krankheit getan hätten.
Ich habe mir deshalb öfter die Frage gestellt, ob ich vielleicht lieber ein kürzeres, aber dafür erfüllteres Leben haben möchte - frei von Krankenhaus, ständigen Arztterminen, Nebenwirkungen von Medikamenten - und dafür aber vielleicht 5 Jahre weniger lebe und früher sterbe, anstatt ständig darunter zu leiden und am Ende vielleicht doch nur ein paar Monate zu gewinnen. Ich würde mich definitiv für das kürzere, aber dafür erfülltere Leben entscheiden.
Wie ist es bei euch? Würdet ihr lieber auf ein paar Jahre eures Lebens verzichten, aber euch dafür besser fühlen und die Zeit intensiv nutzen und nicht im Krankenhaus verbringen? Dass einem keiner garantieren kann, dass man auch dann eine gewisse Zeit lebt oder nicht lebt, ist leider klar.
Das ist eine Entscheidung, die so unglaublich schwer zu treffen ist, dass ich es so aus dem Stehgreif nicht wüsste, wie ich entscheiden würde. Sicher ist es schöner, wenn man noch etwas vom Leben hat und ohne die entsprechende Behandlung eben auch nicht die heftigen Nebenwirkungen. Aber bei der Behandlung hoffen die Patienten eben auf Heilung und wenn man diese Hoffnung nicht hat, macht das auch viel aus.
Leider wird man selten vor die Entscheidung gestellt und weiß genau, was einen erwartet. Hätte ich die Entscheidung 10 Jahre unter ärztlicher Betreuung oder 5 Jahre das Leben genießen, dann würde ich mich auch für die 5 Jahre entscheiden. Aber so eine Entscheidung haben die wenigsten Menschen. Meistens heißt es, dass man eine Therapie ausprobieren kann und sehen wird, was passiert. Vorher weiß man nicht, was passiert. Man kann viel Lebenszeit dazugewinnen oder sogar geheilt werden oder aber man stirbt während der Chemo und hatte nichts von seinen letzten Lebensjahren. Wer weiß das schon.
Ich denke das es diese Ungewissheit ist, wegen der sich die meisten Menschen dann doch für eine Therapie entscheiden. Es könnte halt sein, dass man doch noch Glück hat. Viele Menschen wird diese Entscheidung aber auch abgenommen. Wenn man beispielsweise eine Familie und junge Kinder hat, wird doch niemand nachvollziehen können, dass man sich ein paar schöne Jahre macht und die Familie dann verlässt. Es wird erwartet, dass man kämpft und die meisten Menschen tun es dann auch.
Letztendlich ist es für viele Menschen auch schwierig damit umzugehen, zu wissen das jemand stirbt. Wer weiß wie sehr man die letzten 5 Jahre noch genießen könnten, wenn der Partner neben einem zusammenbricht, weil er es nicht ertragen kann. Zu wissen das der Partner bald stirbt ist sehr belastend. Viele können nicht damit umgehen und einige werden es sogar als Verschwendung von Lebenszeit ansehen, weil man die Zeit nutzen kann um mit jemandem anderen ein Leben und eine Familie aufzubauen. Insofern kann man mitunter gar nicht selbst entscheiden, ob man die 5 Jahre genießen könnte oder nicht. Vielleicht würde man es gerne, entscheidet sich aber doch für den Kampf, weil der Partner damit besser zurecht kommt.
Mir persönlich wäre Qualität wichtiger als Quantität und wenn klar ist, dass die Qualität bei einem quantitativ längeren Leben leiden würde, dann würde ich mich eher für die kürzere Lebensdauer entscheiden. Aber wie Crispin schon angemerkt hat, haben wir Menschen diese Wahl oft nicht, da man nie weiß wie gut eine Behandlung anschlagen wird, da jeder Mensch eben anders darauf reagiert ohne dies bewusst steuern zu können.
Ich bin der Meinung, dass man in der Theorie (gesund und munter) sehr wohl behaupten kann, man würde lieber 3 Monate ohne Chemo leben als ein Jahr oder so mit Behandlung und Strapazen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sich viele Leute (ich eingeschlossen), wenn es hart auf hart kommt und man tatsächlich dem freundlichen Arzt gegenübersitzt, der einem mitteilt, dass die Uhr tickt, doch eher ans Leben klammern und an die Hoffnung, dass die Medizin vielleicht doch noch etwas herausreißen kann.
Oft genug trifft es dich nämlich nicht erst mit 89, wo sich wohl tatsächlich etliche Leute sagen können: Nun ja, ich hatte ein schönes Leben!, sondern vielleicht schon mit 45. Oder 35. Oder 20 Jahren. Und dann braucht es schon eine ganz spezielle Lebenseinstellung, dass man sich wirklich sagt: Nun gut, ich hatte zwar nur ein Drittel der üblichen Lebenserwartung und nur 5 Jahre lang die Gelegenheit, wirklich zu tun, was ich wollte, aber das ist nun mal so!
Die Hoffnung ist bekanntlich ein starker Antrieb, den man, wie ich finde, nicht unterschätzen sollte. Schließlich könnte es ja sein, dass man zu den wenigen gehört, die die Statistik überlisten, oder man hält lange genug durch für eine neue Behandlungsmethode, oder man möchte die Einschulung des jüngsten Kindes noch erleben. In meinen Augen gibt es durchaus viele Gründe, am Leben festzuhalten, auch wenn es nicht gerade nicht rosig aussieht.
Das klingt in der Theorie natürlich toll, aber wenn du vom Fach bist solltest du doch wissen, dass das in der Realität so nicht funktionieren kann. Sicher gibt es Zufallsbefunde und Befunde aufgrund von Vorsorgeuntersuchungen, aber warum landet der durchschnittliche Patient denn in der Onkologie? Genau, weil er schon irgendwelche Beschwerden und Symptome hat.
Und die werden ja nicht besser wenn du die Krankheit nicht behandeln lässt. Mit einem Hirntumor wirst du je nach Art dein Leben nicht lange in vollen Zügen genießen können weil du früher oder später zum Pflegefall werden wirst. Bei anderen Krebsarten ist das wahrscheinlich nicht ganz so dramatisch, aber unbehandelte Knochenmetastasen reichen doch schon um deinem Traum vom schönen kurzen Leben ein Ende zu setzen weil die Gefahr von Knochenbrüchen dann sehr hoch ist.
Außerdem kenne ich mehrere Fälle, die eine sehr gute Prognose hatten. Warum sollte man dann eine Behandlung ablehnen wenn man die Aussicht hat danach wieder ganz gesund zu werden?
Ich könnte gar nicht sagen, wie ich entscheiden würde, wenn ich in einer solchen Situation bin und die Wahl hätte. Nach meiner Erfahrung haben viele Menschen noch bis zum Schluss Hoffnung. Ich glaube, ich würde mich auch bis zum Schluss ans Leben klammern und auf ein Wunder hoffen. Ich kann es aber wirklich nicht sagen, ohne in dieser Situation zu sein. Deshalb fällt es mir auch so schwer, eine Patientenverfügung zu treffen. Einen Tag habe ich mich dazu entschieden, solange wie möglich an Geräten zu hängen, den Tag drauf wollte ich, dass möglichst früh alles abgeschaltet wird. Manche Leute sind da sehr klar in ihrer Entscheidung. Ich gehöre nicht dazu.
Ich glaube dass man wenn man vom Fach ist eine andere Sache nicht außer Acht lassen darf, nämlich dass man so einen Krebs selten mal einfach so beim Arzt nebenbei feststellt. Meistens gibt es eine Vorgeschichte und der Patient hat vielleicht schon einige Probleme und Komplikationen im Alltag.
Ich würde in jedem Fall eine Behandlung vorziehen. Niemand kann einen sagen, ob man es nicht doch schafft und natürlich ist das ein harter Kampf, aber das ist ja dennoch eine Zeit, in der man auch noch lebt und etwas machen kann, nicht alles sicher, aber man kann etwas machen. Ich habe Kinder und natürlich würde ich gerne viel schöne Zeit mit ihnen haben, aber wenn es darauf ankommt dann wird ihre Mama jeden Schmerz aushalten um nur ein paar Jahre länger bei ihnen bleiben zu können.
Ich bin kein Mensch, der aufgibt und in den meisten Fällen ist es doch einen Versuch wert. Man hat ja auch so Beschwerden und da macht es durchaus Sinn sich nicht gehen zu lassen, sondern die Chance zu nutzen, die man noch hat. Sollte es dann schiefgehen, kann man sich selber nichts vorwerfen, man hat es versucht und verloren. Damit könnte ich aber besser leben und ich würde auch wollen, dass meine Kinder wissen ich habe für sie gekämpft und nicht für mich. Mir wäre es egal, irgendwann muss man eh sterben, aber ich glaube dass es für Kinder nicht schön ist die eigene Mama sterben zu sehen und ich möchte dann doch eher vermitteln, das man nicht sofort aufgibt, wenn etwas passiert.
Ich denke auch, dass es mitunter sehr schwer ist, solche eine gravierende Entscheidung zu treffen. Oft weiß man ja gar nicht, wie die Prognosen aussehen und was alles an Komplikationen oder Unvorhergesehenem passieren kann. Ich kenne jemanden, der sich für den Kampf gegen den Krebs entschieden hat und dann kurz nach der ersten Strahlentherapie plötzlich verstarb. Allerdings war es wohl das Herz, dass dann aufhörte zu schlagen. Ich denke, dass der Körper diese Tortur nicht verkraften konnte und so eben die Bremse gezogen hat. Man weiß ja nie was kommt und oft nicht wie die Chancen stehen. Die meisten Betroffenen möchten nicht kampflos aufgeben und gerade, wenn ein Mensch noch jung ist, dann ist so eine Entscheidung schwer.
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