Kritisches Denken in Schule und Studium zu wenig gefördert?
Seitdem ich denken kann haben Lehrer immer Recht. Das hat mich besonders in der Oberstufe genervt, wenn ich bei Interpretationen andere Eindrücke und Ansichten hatte und der Lehrer nie damit einverstanden war. Seine Meinung war die einzig richtige und Abweichungen wurden gar nicht erst toleriert.
In der Schulzeit hatte ich keine Lehrer, die auch nur im Ansatz kritisches Denken gefördert haben, was ich persönlich ziemlich schade fand. Aber im Studium hat sich das dann geändert. Ich erinnere mich nämlich an zwei Dozenten aus meiner früheren Universität, die kritisches Denken sogar gefördert haben.
Der eine Dozent gehörte deswegen zu meinen Lieblingsdozenten. Er stand tatsächlich vorne während der Vorlesung und hat immer wieder betont, dass wir alles hinterfragen sollen, was er sagt und auch das was in Büchern steht. Denn nur so würden wir im Leben voran kommen. Ich fand das schon ziemlich bemerkenswert, weil ich weder davor noch danach erlebt habe, wie ein Dozent auffordert, dass man ihn kritisieren und nicht alles direkt glauben soll was er sagt. Ich kenne das sonst eher so, dass Lehrende sich eher für "allwissend" halten und kaum Kritik an den Lehrinhalten dulden.
Die andere Dozentin hatte ich in einem Seminar und auch sie förderte kritisches Denken. Sie meinte sogar, dass wir vermeintliche Studien hinterfragen sollen, da die Geldgeber keinen unerheblichen Einfluss auf das Ergebnis haben. Wissenschaft ist nun mal nicht objektiv, sondern immer subjektiv, aber das wird gerne mal vergessen oder verschwiegen.
Ich hätte mir gewünscht, dass es in Schulzeiten aber auch in der Uni viel mehr Dozenten gegeben hätte oder auch geben wird, die kritisches Denken gezielt fördern. Meiner Ansicht nach gibt es viel zu wenig davon. Wie seht ihr das? Wird kritisches Denken in Schule und Studium zu wenig gefördert oder ist das in euren Augen ausreichend? Welche Erfahrungen habt ihr zu diesem Thema gemacht?
Ich finde auch, dass man kritisches Denken weit mehr fördern sollte. Aber die Umsetzung ist nicht ganz einfach. Ich hatte einige Lehrer und Dozenten erlebt, die kritisches Denken propagiert haben. Bei einigen ist das sogar nach hinten los gegangen. Bei anderen war das methodisch gut eingebaut und hat prima funktioniert. Lass mich mal erklären, warum.
Im Gymnasium hatten wir damals mehrere Lehrer aus der berüchtigten 68 er Generation. Eigentlich eine tolle Sache. Bis auf das eine Exemplar, der uns dazu anregte, alles und jedes zu hinterfragen. Aber als einige dann auf die Idee kam, ihn und seine Meinungen, Methoden und die die von im vergebenen Zensuren zu hinterfragen, war plötzlich alles zu spät. Wie wir denn ihn in Frage stellen können? Und wie wir an der absoluten Richtigkeit der von ihm verteilten Zensuren zweifeln können? Anmaßung! Zumindest in seinen Augen. Und das, obwohl kaum ein Lehrer in meiner Laufbahn (außer in Kunst) so willkürlich zensiert hat, wie dieser Deutschlehrer. Was dazu führte, dass er sich total selbst demontiert hat und zur Witzfigur wurde, die keiner mehr ernst nahm.
An der Uni habe ich auch einzelne Dozenten erlebt, die es für unabdinglich für intellektuelle Bildung hielten, dass man lernt, kritisch zu denken. Gerade Studien sollte man wirklich sehr kritisch beleuchten. Wer gab das Geld dafür? Wie viele Probanden wurden analysiert und welche und wann? Sind Methodenfehler und Messungenauigkeiten anzunehmen? Da kann man vieles finden. Viele Studien sind einfach wesentlich weniger hieb- und stichfest, als man das auf den ersten Blick denken könnte. Und auf der Uni klappt das auch in der Regel ganz gut, denn die Dozenten strahlen meist eine natürliche Autorität aus, alleine durch ihre Kompetenz. Und die Studenten auch meist so fair, dass sie kritisches Denken reif und human nutzen können.
Interpretationen sind, wie ich finde ein gutes Beispiel. Ich habe selbst den klassischen Literaturunterricht bei den Meisten Lehrern in der Schule überleben müssen. Wenn man nicht zufällig das gleiche geschrieben hat, was in der Muster-Interpretation stand, die ein renommierter Germanist in einem renommierten Verlag veröffentlicht hat, dann war das Gedicht falsch interpretiert. Das war tödlich für die geistige Entwicklung. Daher hatte ich Jahre lang bei Lesen von Gedichten Gefühle der Übelkeit und Angst empfunden. Diese Beklemmung habe ich erst an der Uni überwunden, als ich in einem Seminar bei einem tollen Dozenten lernen durfte, wie viele Freiheiten das Lesen von Gedichten eröffnet und und wie man es heute in der Wissenschaft sieht. Das war schon ein spätes Triumph-Gefühl, dass die Lehrer damals wirklich Mist geredet haben. Und ich habe das schon als Schüler geahnt.
Letztlich kann ich heute aber meine Lehrer, die so rigoros albern Gedichtinterpretationen zensiert haben fast verstehen, auch wenn ich es nach wie vor für falsch halte. Als Lehrer ist man gezwungen, objektiv zu zensieren. Man legt also vor der Ausgabe der Aufgaben an die Schüler einen Bewertungshorizont an. Man schreibt sich also alle Musterlösungen auf, die man gelten lassen wird. So kann man eben gute und schlechte Zensuren begründen. Bei Mathe geht das ganz leicht. Da Mathe klar zwischen richtig und falsch unterscheidet, kann man da so arbeiten. Bei Gedichtinterpretationen geht das eben nicht. Eigentlich sollte man Gedichtinterpretationen meiner Ansicht nach besser nicht zensieren, weil diese kaum fair zensierbar sind. Aber so lange in der Schule eben Zensuren vergeben werden müssen, wird es häufiger mal solche Absurden Dinge geben. Gerade in Fächern wie Sprachen und künstlerischen Fächern.
Gerade bei den Interpretationen habe ich damals in der Schule etwas ganz anderes erlebt und das bei den verschiedensten Lehrern. Natürlich mussten wir Homo Faber lesen, wie kann es anders sein? Und in der Arbeit stellte jeder den Widerspruch zwischen Natur und Technik heraus. Ich dagegen schrieb über das Buch als die Geschichte einer gescheiterten Liebesbeziehung. Die Note war wie gewohnt sehr gut, obwohl ich mich damit weit aus dem Fenster gelehnt habe.
Aber diese Erfahrung habe ich in der ganzen Schulzeit gemacht. Wir durften etwas vollkommen anders sehen, wenn wir es ordentlich begründen konnten. Wir durften hinterfragen, das war nie ein Thema. Selbst wenn seine gesamte Arbeit anders aufgebaut hat, als es eigentlich vorgesehen ist, gab das keine schlechte Note, wenn man es eben wieder begründen konnte.
So habe ich beispielsweise auch die mündlichen Prüfungen zur Externenprüfung beim Abitur überstanden. Die Prüfungskommission kannte man gar nicht. Aber mit einer Begründung, die Hand und Fuß hatte, kam man problemlos durch. Auch später an der Uni war das nicht anders, zumindest im geisteswissenschaftlichen Bereich. In der Tiermedizin durfte man weniger hinterfragen.
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