Können Freunde die Familie jemals ersetzen?
Es gibt bereits einige Beiträge in diesem Forum, in denen es primär darum geht, ob Freunde bereits zur Familie gehören. Darauf möchte ich nicht hinaus. Ich frage mich, inwiefern Freunde überhaupt die eigene Familie ersetzen können.
Ich beobachte das zum Beispiel bei einer Freundin. Sie ist vor über einem Jahrzehnt alleine nach Deutschland eingewandert und ihre ganze Familie ist in der Heimat zurückgeblieben. Sie sieht ihre Familie nicht sehr oft, hat aber einen großen Freundeskreis aufgebaut und pflegt die Kontakte sehr intensiv. Sie ist ein Familienmensch, ohne Frage. Aber inwiefern können Freunde die Familie ersetzen?
Wie seht ihr das? Können Freunde eurer Ansicht nach die Familie komplett ersetzen oder sind sie bestenfalls eine Ergänzung? Welche Erfahrungen und Beobachtungen habt ihr in dieser Hinsicht gemacht?
Ich glaube nicht, dass Freunde die Familie wirklich ersetzen können. Gerade zu den Eltern und Geschwistern hat man doch meist ein enges Verhältnis und das fühlt sich nun mal anders an, als zu guten Freunden. Ich denke, dass man keinen richtigen Ersatz schaffen kann oder wenn nur schwer und eben auch nicht so ein familiäres Gefühl bekommen wird.
Ich bin durchaus der Meinung, dass ein enger Freundeskreis einem Menschen persönlich, emotional und zwischenmenschlich genauso viel geben kann wie eine biologische Familie. Das Leben ist schließlich kein Disney-Film, in dem alle Familienmitglieder immer ein "enges Verhältnis" haben und nie jemand von Mama und Papa misshandelt wurde oder zwischen Familienmitgliedern hin und her geschubst, damit nicht auffällt, dass Mama säuft und Papa das wenige Geld für Koks und Nutten rausschmeißt.
Und auch mit Geschwistern muss man sich nicht zwangsläufig sein Leben lang vertragen. Selbst wenn es nicht zum Zerwürfnis kommt - Menschen wandern aus, machen Karriere, haben ihre eigene Familie und treffen die unterschiedlichsten Lebensentscheidungen, die auch enge Verwandte nicht immer teilen oder gutheißen können. Freunde kann man sich dagegen aussuchen, und im Regelfall sind sie auch oft "pflegeleichter" als die älter werdenden Eltern oder Großeltern.
Und vielen Leuten bleibt auch nichts anderes übrig, wenn ihre biologische Familie entweder nie stattgefunden hat oder schon gestorben ist. Es wäre ja traurig, wenn ein Freundeskreis so überhaupt nichts gilt, weil man nicht die gleichen Gene teilt.
Sicher funktioniert das, wenn man entsprechende Freundschaften pflegt. Meine Familie ist längst tot und mir fehlt nichts. Denn es gab längst Beziehungen, die längst ebenso eng und tief waren, wie zu den nächsten Familienmitgliedern. Natürlich fehlen einzelne Personen, aber das wäre auch nicht anders, wenn ein enger Freund stirbt. Aber Menschen, zu denen man gehört, die immer für die anderen da sind und einem notfalls den Kopf waschen, die gibt es auch ohne Familienbande. Und die krümmeligen Nervensägen, die man nur erträgt, weil man verwandt ist, fehlen dabei sogar.
Ich denke schon, dass richtige Freunde eine Familie ersetzen können. Meine Familie und ich haben nun nicht so das Verhältnis, dass alles so eng ist, wie es vielleicht sein sollte. Letztendlich habe ich durchaus auch einen Freund, der mir näher ist als meine Familie. Ich glaube bei richtigen Freunden schon, dass sie ein Ersatz sein können und man sich mit ihnen besser fühlt.
Warum sollte das nicht funktionieren? Nur weil man eine Familie hat, muss es ja nicht zwangsläufig bedeuten, dass man sich auch gut miteinander versteht. Ich erlebe es ganz oft, dass Menschen überzeugt davon sind, sich mit irgendwelchen Familienmitgliedern und Verwandten verstehen zu müssen und sich regelmäßig zu treffen, weil es ja eben einfach die Verwandten sind. Das sehe ich selbst gar nicht so.
Sicher ist es schön, wenn man sich mit den Verwandten versteht, aber es ist eben nicht immer so und das sollte man auch nicht erzwingen. Weshalb können dann Freunde nicht quasi die Familie ersetzen, wenn man sich mit ihnen im Gegensatz zur Familie sehr gut versteht und wenn diese immer für einen da sind?
Wobei ich da aber nicht unbedingt von "ersetzen" sprechen würde. Man kann es ja auch nicht miteinander vergleichen. Die Verwandtschaft besteht ja nun einmal aus Personen verschiedeneren Altersklassen und normalerweise ist der Freundeskreis ja nicht entsprechend groß gefächert - zumindest bei mir nicht.
In etlichen Fällen bleibt einem ja gar nichts anderes übrig, weil es keine Familie (mehr) gibt. Beispielsweise ist meine Familie inzwischen auf meine Mutter und mich zusammengeschrumpft, und da meine Mutter bereits über 80 Jahre alt ist, werde ich familiär gesehen bald allein dastehen. Insofern müssen Freunde und Bekannte natürlich mehr oder weniger auch als eine Art Familienersatz gesehen werden, da ich mir keine neue Familie aus dem Hut zaubern kann.
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