Können Dritte Erinnerungen auslöschen?

vom 10.11.2014, 04:43 Uhr

Ich war am gestrigen Sonntag bei einer Gedenkveranstaltung zur Reichskristallnacht. Die findet hier vor Ort jedes Jahr am 9. November dort statt, wo früher mal die jüdische Synagoge stand. Dort halten dann verschiedene Redner eine Rede, Schüler erinnern an die Opfer und so weiter.

Einer der Redner sprach davon, dass die Nazis versucht haben nicht nur die jüdische Bevölkerung auszurotten, sondern auch die Erinnerungen an jüdische Menschen und die jüdische Religion und Kultur auszulöschen. Sicherlich passend, da die Synagoge, die einst an der Stelle stand, an der wir standen, erfolgreich niedergebrannt wurde, nach dem man sie geschändet und geplündert hatte. Damit wurde klar ein Teil der jüdischen Geschichte ausgelöscht. Aber ich denke, die Erinnerung kann man nicht löschen oder?

Selbst wenn die Nazis Erfolg gehabt hätten und sämtliches jüdisches Leben hätten eliminieren können, hätte es doch trotzdem Erinnerungen gegeben oder nicht? Und wenn es nur der Nachbar gewesen wäre, der sich an die jüdische Familie erinnert, deren Tochter immer so schöne Kleider getragen hat. Oder der Bäcker, der sich an die Kinder der jüdischen Kundin erinnerte, die immer so freundlich gegrüßt haben.

Menschen wie Kurt Tucholosky, Gustav Mahler, Franz Kafka und Sigmund Freud und ihre Werke und Errungenschaften, hätte man die Erinnerung an sie wirklich löschen können? Selbst wenn man von jüdischen Schriftstellern die Werke in Deutschland verbrannte, gab es ja noch Werke der Künstler weltweit.

Klar erinnert sich heute keiner mehr an Menschen, deren ganze Familien während des Holocausts ausgerottet wurden und die keine Nachkommen mehr haben. Aber hätte man die Erinnerung an jüdisches Leben wirklich auslöschen können?

Beziehungsweise können Dritte Erinnerungen auslöschen? An einem anderen Beispiel erklärt. Wenn jemand jemand nicht mag und der jemand stirbt, dann wird sich trotzdem jemand an den Toten erinnern, auch wenn der erste jemand versucht, die Erinnerungen an den Toten auszulöschen. Erinnerung ist doch auch irgendwie im Herzen. Oder eben in Werken und so weiter.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Du solltest vielleicht bedenken, dass man ein tausendjähriges Reich angestrebt hat. Irgendwann kann man dann die Erinnerung an die normalen jüdischen Einwohner auslöschen. Denn spätestens die Generation, die geboren wird, wenn diese Menschen nicht mehr leben, haben die Erinnerung ja gar nicht. Sicherlich können sie von Eltern und Großeltern etwas erzählt bekommen. Aber die Menschen um die es geht, haben sie nie gekannt.

Und eine Generation später wird man gar nicht mehr darüber reden. Sicherlich wären vielleicht Werke von Künstlern erhalten geblieben. Aber man dürfte über diese Menschen nicht reden und somit würde auch die Erinnerung an sie verblassen. Es ist also durchaus möglich, dass Dritte die Erinnerung auslöschen. Einfach weil sie die Menschen und ihre Werke vernichten und mit der Zeit niemand mehr da ist, der sich an sie erinnern kann.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Ich glaube schon, dass Erinnerungen ausgelöscht werden können, wenn man sie einfach nicht erwähnt und dann eben totschweigt. Mit der nächsten Generation verblassen solche Erinnerungen und irgendwann existieren sie einfach nicht mehr.

So gibt es sehr viele Aussiedler, die in der ehemaligen UdSSR gelebt haben. Die meisten sind dorthin eingewandert im 18. Jahrhundert unter Katharina II. von Russland, die ihnen Privilegien versprach wie Steuervorteile und Befreiung vom Wehrdienst. Die Aussiedler gingen also dorthin, bauten sich ihr Leben dort auf und haben ihre Muttersprache gepflegt und ihre Traditionen beibehalten.

Aber durch den zweiten Weltkrieg haben viele Aussiedler erhebliche Nachteile erhalten, sie wurden sanktioniert, deportiert, in Arbeitslager gesteckt, weil man ihnen heimliche Zusammenarbeit und Solidarität mit Hitler unterstellte. Viele Aussiedler fingen daraufhin an, sich anzupassen, ihre ursprüngliche Muttersprache wurde gezielt verdrängt und vergessen, die ursprünglichen Traditionen nicht mehr gepflegt, sodass man sich immer mehr den Einheimischen anpasste und vorgab, zu ihnen zu gehören und einer von ihnen zu sein. Viele Menschen der jüngeren Generationen wissen nicht mal mehr, dass sie überhaupt jemals "deutsche" Traditionen und eine derartige Muttersprache hatten, derartige Erinnerungen wurden einfach gezielt ausgelöscht durch den Einfluss Dritter.

Daher kann ich mir schon vorstellen, dass auch ähnliche Beispiele vorkommen können, auch aus der Nazi-Zeit wegen den Juden beispielsweise. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Nazis irgendwann Erfolg damit gehabt hätten und wenn sie ihre Ziele vom 1000 jährigen Reich durchgesetzt hätten, hätten wir Menschen das jüdische Volk vielleicht für eine Märchengestalt gehalten, aber nicht für richtig existierend.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



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