Klammern Mütter von Frühchen besonders stark?

vom 03.07.2017, 05:24 Uhr

Ich habe mich neulich mit einer Freundin über Kinder unterhalten, wobei wir beide keine Kinder haben. Sie hat eine sehr interessante These aufgestellt, die ich hier diskutieren möchte. Ihre Tante hat wohl vor kurzem ein Kind bekommen, welches ein Frühchen war und nun fährt die Tante alle paar Stunden ins Krankenhaus, um nach dem Baby zu sehen. Nun hat meine Freundin die These aufgestellt, dass Mütter von Frühchen besonders viel klammern würden und hinterher Probleme mit dem Loslassen hätten, weil sie sich so viel sorgen würden um ihre Kinder. Ihrer Meinung nach wird das auch nicht nachlassen, wenn das Kind älter wird und sich gut entwickelt.

Wie seht ihr das? Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass jede "Helikopter-Mama" ausschließlich Frühchen zur Welt gebracht hat oder seht ihr das anders? Ist das nicht eher eine Frage der Einstellung und des Charakters, ob sich nach der anfänglichen Sorge und dem Beistand eine Helikopter-Mama entwickeln wird? Gerade am Anfang, wenn das Kind noch im Brutkasten drin ist, kann ich die Sorge schon verstehen, aber das ist doch keine Prognose für die Zeit danach oder doch?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Da ihr beide keine Kinder habt, hattet ihr auch nie weiteren Kontakt mit dem Thema Frühchen. Es ist mit den Wochen die es zu früh gekommen ist nicht getan, je nach dem wann das Kind kam, stehen dahinter Folgeerkrankungen die das komplette Leben beeinflussen und dauerhaft auch Therapiert werden müssen. Diese Kinder haben die "Arschkarte" wenn man es mal formuliert, sind meistens Unterentwickelt auch im späteren Verlauf, nicht nur vom Geist her sondern auch von der Motorik und dem Körperbau. Diese brauchen auch im weiteren Verlauf "mehr" Aufmerksamkeit als Kinder die Reif geboren worden sind und keine Entwicklungsverzögerungen haben.

Aber das direkt mit Klammern abzustempeln ist einfach nur Frech und Unwissend. Jede Mutter sorgt sich um ihr Kind und wenn du am Anfang jeden Tag darum bangen musst, dass dein Kind überlebt und hinterher, dass es keine Folgeschäden hat, man die Entwicklungsverzögerungen noch rein holen kann usw. dann stehst du ein wenig anders da, als mit einem normalen Kind welches seine Schritte genau zum Zeitpunkt geht. Es erfordert auch mehr Zeit, Ergotherapie, Krankengymnastik, Logopädie und Co sind hinterher bis in das spätere Schulalter dein Begleiter.

Prognose für danach kann man schon im Brutkasten erkennen. Von einem Kollegen die Tochter kam in der 24. Woche als Extremfrühchen in einer Sturzgeburt auf die Welt, als seine Freundin auf der Rettungswache zu Besuch war. Obwohl direkt alles eingeleitet wurde und die nächste Frühchenstation "nur" 25 Kilometer entfernt war, hat das Kind bis heute damit zu kämpfen. Das Mädel wird nun 8 Jahre alt in diesem Jahr, die Eltern gehen jede Woche 3 mal zur Krankengymnastik, 2 mal die Woche zur Ergotherapie und 3 mal die Woche zur Logopädie. Alles nicht im Ort, sondern in der Stadt.

Dazu kommen weitere Klinikaufenthalte in den ganzen Jahren, da auch die Organe durch die frühe Geburt einen Schaden haben und sich nicht alle entwickelt haben, wie sie es sollte und auch Transplantationen standen daher schon auf dem Plan. Dass nach einer Transplantation das Leben anders läuft wie wenn man keine hatte, sollte ebenfalls bedacht werden. Klar sorgt man sich, weil man dann auch weiß, dass diese Organe nur eine begrenze Zeit halten und dann ein neues her muss. Weißt du ob in diesem Moment eines zur Verfügung steht welches passt? Das Kind kann nicht raus wie es ihm beliebt und auch nie ohne Aufsicht. Selbst wenn sie zu Freunden zum spielen will, muss einer der Eltern mit dabei sein wegen der kompletten Gerätschaften die immer mit dran hängen und du kannst nicht erwarten, dass die Eltern der Freunde oder die Freunde selbst diese bedienen können und wissen was man macht wenn diese anfangen ihre Alarme zu verbreiten.

Mit klammern hat das bei beiden nichts zu tun und die Beziehung ist auch auf Sparflamme selbst, da die Zeit in das Kind investiert werden muss. Seit die Tochter auf der Welt ist, waren die Eltern selbst vielleicht 5 mal abends alleine zusammen aus. Nachts sieht es so aus, dass sie im Wechsel aufstehen und schauen und nebenbei gehen beide noch Arbeiten. Dort stehen sie auch immer unter Strom und Standby wenn das Telefon klingelt, nicht nur weil mit dem Kind was sein kann, sondern auch weil ein Organ gefunden sein kann. Im Endeffekt sind die zwei eher wie Zombies unterwegs und alles läuft nach Routine, ich denke nicht, dass man sich das so gewünscht hat oder darauf anlegt und jeder gerne seine Ruhe mal hätte vor der Verantwortung und den Aufgaben.

Eine Kameradin hat ebenfalls einen Sohn der Frühchen war. Heute ist der Bub 7 Jahre alt, dauerhaft krank, schwaches Immunsystem und wiegt fast nichts. Von der Größe und Gewicht her, sieht er aus wie ein Kind mit 3-3,5 Jahren. So verhält er sich auch, meinst du ihr gefällt das, dass sie nach Feierabend noch in die diversen Therapiestunden rennen darf? Sie ist dazu noch Alleinerziehend und hätte gerne mal mehr Zeit für sich selbst alleine, denn ausgegangen ist diese seit das Kind auf der Welt ist noch nie. Durch die Unterentwicklung klammert der Junge auch extrem an ihr mit der Bezugsperson, den Vater kennt der Junge nicht, hat sich nicht dafür interessiert, Verwandte leben keine in der Nähe. Kita bzw. Kindergarten hat nach fast 1,5 Jahren Eingewöhnung geklappt, aber auch nicht mehr als 4-5 Stunden am Tag.

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» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge


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