Kinderbetreuungsmöglichkeiten seit Jahrzehnten unverändert?

vom 18.05.2017, 17:20 Uhr

Eine Bekannte von mir meinte neulich, dass sie schon vor 3 Jahrzehnten, als ihre Kinder geboren worden sind, Probleme damit hatte, einen passenden Platz in einem Kindergarten zu finden. Sie bezeichnet es als "Farce", dass sich inzwischen immer noch nichts geändert hat und es immer noch derartige Probleme mit der Kinderbetreuung gibt. Da ich gar nicht so alt bin, kann ich dazu nicht wirklich etwas sagen und weiß auch gar nicht, ob ihre Aussage so stimmen kann oder nicht.

Weiß jemand von euch zufällig mehr darüber? War die Situation mit der Kinderbetreuung schon vor Jahrzehnten so schlecht wie heute? Oder spielt die Erinnerung einem einen Streich? Habt ihr die Zeit vielleicht miterlebt und könnt aus eigener Erfahrung berichten wie das damals war? Warum hat die Politik nicht gehandelt, wenn es vor 30 Jahren schon so schlimm gewesen sein soll wie heute?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Oh, es hat sich sehr viel getan. Dummerweise hat sich allerdings auch das Leben sehr verändert, sodass diese Veränderungen nicht wirklich viel helfen. Meine Mutter musste für mich eine Tagesmutter finden, weil es einfach keine Betreuung für Kinder unter drei Jahren gab.

Ab drei wurde es nicht besser, denn es gab zwar einen Kindergarten und so ziemlich jeder schickte sein Kind dahin, aber um 12 Uhr mittags war die Betreuung zu Ende. Man nutzte den Kindergarten eigentlich nur von 9 bis 12, damit die Hausarbeit ungestört erledigt werden kann oder damit Zeit für das neugeborene Geschwisterkind zu haben. Theoretisch hat die Betreuung um halb 8 begonnen, aber da kam kaum jemand.

Man nutzte den Kindergarten eigentlich nur zur Sozialisation und Entwöhnung der Kinder, damit die Einschulung nicht so ein harter Schnitt ist. Meine Tagesmutter hat mich auch fein nach dem gemeinsamen Frühstück mit ihren Kindern und dem Ehemann zum Kindergarten gebracht und mittags wieder abgeholt.

Wenn dann die Grundschule kam, wurde die Betreuungssituation noch schlimmer. Oft fing der Unterricht erst in der zweiten oder dritten Stunde an, Ende war nicht selten schon vor oder um 12. Während man heute bei den meisten Grundschulen eine Betreuung von 8 bis 13 Uhr buchen kann, musste man damals nette Nachbarn, eine Oma in der Nähe oder das Geld für eine Tagesmutter haben.

Mütter arbeiteten in unserem Umfeld nicht. Allerdings gab es in meinem Kindergarten und in meiner Grundschule auch nur ein Scheidungskind. Da lebte die Mutter von Sozialhilfe und wurde schief angeguckt, weil sie sich von einem Mann getrennt hat, der den Unterhalt nicht aufbringen kann. Eigentlich weil sie sich überhaupt getrennt hatte oder den Mann nicht halten konnte, denn man trennte sich nicht.

Mütter arbeiteten nur halbtags, wenn sie jemanden hatten, der aufpassen konnte. Schließlich hatten sie auch den Haushalt allein an der Backe. Wir hatten eine selbstständige Friseurin, die nachmittags den Salon den Angestellten überlassen hat, und eine Apothekerin, die nur vormittags gearbeitet hat, wo die Großeltern im Haus waren und mich mit Mutter mit Vollzeitstelle. Alle anderen Mütter von 400 Kindern waren Hausfrau und stiegen wenn überhaupt nach etwa 10 oder 12 Jahren wieder ein.

» cooper75 » Beiträge: 13423 » Talkpoints: 517,99 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Das kommt sicherlich auch auf die Region an. In meiner Kindheit war es kein großes Problem einen Platz zu bekommen, hingegen bekommt man heute schlecht einen Platz. Kinder gab es natürlich immer schon, wobei man auch mehr Erzieher und letztendlich auch Einrichtungen braucht um der Nachfrage gerecht zu werden. Wie sich das Ganze verändert hat mag ich aber nicht zu bewerten.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Es hat sich doch einiges getan. Für Kinder unter 3 Jahren hattest du keinen Anspruch auf einen Betreuungsplatz, da warst du gezwungen die vollen 3 Jahre Zuhause zu sitzen oder hast mit ein paar Scheinen extra dir deinen Platz gesichert oder bist auch Türklinken putzen gerannt, damit es etwas wird. In manchen Regionen gab es auch gar nichts für Kinder unter 3 Jahren.

Gehe ich von meinem Kaff aus in dem ich aufgewachsen bin, dann konntest du dort mit 4 Jahren den Kindergarten besuchen. Es waren 15 Plätze und mehr Kinder, entsprechend war das schon eine Glückssache ob du einen bekommen hattest oder nicht. Erst ab 3 Kindern im Haushalt stand dir ein Platz zu, als Entlastung. Ob beide Eltern arbeiten gegangen sind, beide Arbeitslos waren oder nur einer arbeiten war und der andere Zuhause, spielte gar keine Rolle. Ebenfalls nicht das Einkommen, die Plätze waren für jeden gleich teuer. Eine Tagesmutter gab es nicht im kompletten Umkreis.

Die Betreuung ging von 10-14 Uhr und später dann nochmals von 15-17 Uhr. Die Stunde in der Pause musste das Kind abgeholt werden und alleine bespaßt. Mittagessen und Frühstück gab es dort nicht, dass musste man vorher Zuhause alleine erledigen. Von den Kosten her war der Platz ebenfalls nicht billig, meine Eltern zahlten dafür 180 DM pro Platz und erst als das dritte Kind geboren worden war, bestand der Anspruch auf einen, vorher war nichts. Mein Bruder blieb Zuhause, meine kleine Schwester ebenfalls und ich ging in die Kita.

Schaue ich mir das Kaff heute an. Dann nimmt dieser Kindergarten nun ab 2 Jahren. Zwischen 8-16 Uhr kann man seine Kinder dort abgeben und wieder holen. Es spielt inzwischen eine Rolle ob man arbeitet oder nicht, wie viele Geschwisterkinder man hat und der Preis berechnet sich am Einkommen der Eltern. Auch von den damals 15 Plätzen wurde aufgestockt auf 45 Plätze die inzwischen nicht einmal komplett genutzt sind, da weniger Kinder in dem Kaff wohnen und schon von außerhalb Kinder mit dazu genommen worden sind. Dennoch bekommt man dort immer einen Platz, meldest du heute an, kann dein Kind ab morgen in die Kita gehen.

Hier in der Stadt meldest du in der Schwangerschaft an und bekommst keinen Platz. Zahlst dich dumm und dämlich und musst erst einmal einen finden bei dem die Öffnungszeiten dann auch für deine Arbeitszeiten passen. Soziale Dinge spielen angeblich eine Rolle, so sollen Alleinerziehende mit Vollzeitjob bevorzugt werden aber davon merkt man rein gar nichts. Ich habe bei 3 Vergaberunden eine Absage kassiert auf alle Plätze, obwohl ich zu den bevorzugten Gruppen gehöre.

Zeiten zur Betreuung sind hier unterschiedlich wie Tag und Nacht, so gibt es einige von 9-12 Uhr, wie willst du da Vollzeit arbeiten gehen? Oder ein paar wenige die von 7-17 Uhr nehmen oder auch 6-18 Uhr, wobei die 45 Stunden die Woche nie überschritten werden dürfen. Sprich du darfst dein Kind nicht an 5 Tagen die Woche von 6-18 Uhr da abgeben, da steigt man dir ebenfalls aufs Dach. Zahlen darfst du es, aber nicht nutzen. Ich habe nun 7-17 Uhr, darf pro Woche mein Kind maximal 40 Stunden abgeben in diesem Zeitraum, brauch ich einen Tag die vollen 10 Stunden, dann muss es an einem anderen weniger sein oder das Kind ganz Zuhause lassen. Am Dorf bzw. in meinem alten Kindergarten spielt das keine Rolle.

Zahlen tun hier die mit weniger Einkommen das gleiche wie die besser gestellten damit das weniger werden würde, kann man sich den Teil beim Jugendamt erstatten lassen auf Antrag. Diese Vorgabe ist allerdings auch eng und man darf weniger als 1200 Euro Netto verdienen für eine 3 Personen Haushalt inklusive der Miete. Da du hier aber auch keine Wohnung mit 3 Zimmern unter 1000 Euro bekommst, ist das schon wieder ein Witz und kaum jemand der arbeiten geht, bekommt diese Förderung auch. Denn arbeitest du nur Teilzeit, dann reduziert sich der Satz auch auf 600 Euro Netto. Sonst könnte ja jeder nur Teilzeit arbeiten damit es billiger wird, diese Masche zieht aber ebenfalls nicht.

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» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge



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