Jahresrückblick als Brief an Freunde und Verwandte

Am Ende eines Jahres bekomme ich immer einen Brief von einer Freundin aus den USA, der ein persönlicher Jahresrückblick ist. Darin erzählt sie auf einigen Seiten, was Wichtiges in ihrer Familie passiert ist und legt einige Fotos bei. Dieses Jahr waren es zum Beispiel eine Hochzeit, die Geburt eines Enkels und eine Operation, die sie hatte.

Ich finde es immer ganz schön, noch Briefe in Papierform zu bekommen. Es ist zwar vielleicht altmodisch, aber ich lese so etwas lieber als eine WhatsApp-Nachricht, die ich natürlich auch bekomme. Diese Briefe und die beigelegten Fotos sammle ich in einem extra Karton.

Den jährlichen Jahresrückblick bekomme nicht nur ich, sondern den bekommen alle ihre Freunde und Verwandte. Kennt ihr diese Tradition auch, dass man am Jahresende einen Jahresrückblick an viele Personen gleichzeitig schickt? Tut ihr das auch? Vielleicht nicht als Brief, sondern per WhatsApp, E-Mail oder Telegram?

Ich kenne diese Tradition aus Büchern und Erzählungen aus den USA. Hierzulande habe ich noch nie einen "Jahresrückblick" bekommen und auch noch keinen verschickt. Wenn es Tradition ist, schön und gut, aber für mich fühlt sich das Ganze doch reichlich egozentrisch an. Bei Leuten, die mir wirklich nahestehen, werde ich schließlich live und in Farbe über Ereignisse aller Art informiert, und beim Rest interessiert es mich eigentlich nicht, ob, wann und wo sie im Urlaub waren, wie lange die Reha gedauert hat und wie weit Klein-Beonce beim Buchstabierwettbewerb gekommen ist.

Und umgekehrt, wüsste ich auch nicht, was aus meinem biederen Alltag so interessant zu erzählen sei, dass ich die gesamte Verwandtschaft damit belästigen müsste, ohne irgendwen versehentlich zu kränken oder als dümmliche Angeberin dazustehen. Möchte Cousin Herbert, der seinen bettlägerigen Vater pflegt, von meinen Urlaubsreisen hören? Was fängt Tante Hildegard, die auf den Kanaren überwintert, mit der Information an, dass wir uns einen gebrauchten Corsa leisten konnten? Ich würde lieber allgemein gute Wünsche senden, das macht weniger Arbeit, und ich muss niemanden mit meinen mageren Erfolgen und langweiligen Niederlagen belästigen.