Ist Genderneutralität wirklich dass was wir wollen?
Hannover schafft, wie ich gelesen habe "Mann" und "Frau" ab. Das kann man hier lesen. Es heißt dann in politischen Reden nicht mehr Wähler und Wählerinnen, sondern "Wählenden" oder nicht mehr Mann und Frau, sondern "Personen".
Was haltet ihr davon? Findet ihr es nicht albern, dass kein Unterschied mehr gemacht wird? Ist das nicht sehr übertrieben? Oder denkt ihr, dass Genderneutralität schon lange überflüssig ist wegen des dritten Geschlechts?
Eigentlich ist das konsequent, nachdem das dritte Geschlecht eingeführt worden ist. Ich finde das Partizip Präsens dafür allerdings nicht so geeignet, weil dieses eine Gleichzeitigkeit ausdrückt und in meinen Augen weniger zum Beispiel für einen Beruf oder eine Funktion geeignet ist. Als Mitarbeiter ist man ja nicht immer, zum Beispiel im Urlaub, ein Mitarbeitender.
Ich müsste dann als Rentenbeziehende (aber da gibt es ja auch wieder weibliche und männliche Form). Auch der Studierende sagt ja je nach Mann oder Frau: Ich als Studierender beziehungsweise Ich als Studierende. Ich finde diese neuen Sprachregelungen nicht sehr durchdacht. Mir wäre es lieber, allgemein als Mitarbeiter, Rentner oder Student angesprochen zu werden. Ich habe darunter immer schon Männer, Frauen und diverse Geschlechter verstanden.
Anlupa, damit verkennst du aber die Wirkung der Sprache. Ich finde eine Anpassung überfällig, denn Sprache hat mehr Auswirkungen auf unser Leben, als du denkst. Hinterfrage doch mal genau, warum du lieber als Frau mitgemeint in der männlichen Bezeichnung bist, als weiblich oder neutral angesprochen zu werden.
Die männliche Bezeichnung hat nämlich einen höheren Stellenwert. Dort, wo Frauen explizit gemeint sind, wo die weibliche Bezeichnung sozusagen Standard ist, ist das Ansehen geringer. Der Rentner ist gefühlt eine ehemaliger Arbeitnehmer, die Rentnerin dagegen sein Anhängsel oder Witwe, also eigentlich Hausfrau.
Bei der Krankenschwester steht nicht die fachliche Kompetenz im Fokus, man denkt an Fürsorge, Zuwendung und einfache Pflege. Ähnlich ist es bei Arzthelferinnen. Da ist Organisationstalent, Fürsorge und Sauberkeit gefragt. Fachkompetenz? Ach wo, die arbeiten nur dem im Kopfkino männlichen Arzt zu.
Und die nackten Zahlen zeigen genau, was Sprache macht. Wird bei einem typischen Männerberuf auch die weibliche Form benutzt, trauen sich nicht nur mehr Frauen den Job zu. Auch mehr Männer sind überzeugt, den Job zu schaffen. Und machen dann mehr Frauen den Job, sinken selbst bei bestehenden Tarifverträgen in fast allen Bereichen die Löhne. Wenn es Frauen können, ist es bis heute weniger wertvoll.
Drittes Geschlecht bin oder her, selbst ohne diese Minderheit zu berücksichtigen, ist eine neutrale Sprache vorteilhaft. Denn dann unterstützt man nicht weiter die vermeintliche Höherwertigkeit männlich bezeichneter Aktivitäten. Davon profitieren auf Dauer alle.
Was heißt es wird kein Unterschied mehr gemacht? Wenn explizit nur Frauen angesprochen werden sollen, weil zum Beispiel eine Gruppe für Schwangerschaftsgymnastik beworben wird, dann wird da sicher auch weiterhin "Frauen" stehen. Und Prostatavorsorgeuntersuchungen werden wahrscheinlich weiterhin exklusiv für Männer angeboten werden.
So wie ich das sehe geht es doch nur darum ein Wortkonstrukt, das teilweise etwas holprig klingt, zu vereinfachen. Und zwar ohne, dass sich mindestens die Hälfte der Bevölkerung nicht angesprochen fühlt.
Ich als Studierender beziehungsweise Ich als Studierende.
"Student" ist Singular männlich, "Studentin" ist Singular weiblich, "Studierende" ist der Plural in beiden Fällen. Was ist daran so schwer zu verstehen? Es gibt Sprachen die eine deutlich komplizierte Grammatik haben. Ich glaube der Durchschnittsdeutsche wird in der Lage sein sich das zu merken.
Eine "Neutralität" ist nicht allein wegen dieses "dritten Geschlechts" notwendig. Ich hätte aber - um die Wirkung zu verdeutlichen - auch nichts dagegen gehabt, wenn zunächst immer die weibliche Form genommen wird und dabei beide (bzw. alle "drei") Geschlechter gleichermaßen gemeint wären. So wie es heute auch ist, wenn z.B. von "Schülern" gesprochen wird und dabei Jungen und Mädchen gemeint sind.
Ich glaube, dass das einen viel größeren Aufschrei gebracht hätte. Aber eben auch das Problembewusstsein geschärft hätte, wie wichtig Sprach ist! So wir sich wohl ein Großteil der Bevölkerung lustig machen. Leider ohne daran zu denken, dass das Ganze einen ernsten Hintergrund hat.
Mit dem "Neutrum" werde ich mich aber tatsächlich deshalb schwer tun, weil vermutlich die Sprache noch gar nicht so weit ist bzw. deren Entwicklung in diese Richtung eben erst angestoßen wurde. Unter Umständen werden es unsere Enkelkinder hier massiv einfacher haben und über unsere Sprachgewohnheiten so amüsiert sein, wie wir von der Vorstellung, dass unverheiratete Frauen tatsächlich auch offiziell mit "Fräulein" angesprochen wurden.
Ich weiß nicht, ob die Genderneutralität uns wirklich glücklicher macht oder ob es dazu führt, dass sich in den Köpfen endlich mal etwas ändert. Es werden ja auch weiterhin solche Worte wie herrlich und dämlich bleiben, die einfach schon ein wenig vorgeben, wie von Herren bzw. Damen gedacht wird. Und Frauen werden alleine durch diese Wortverdrehungen nicht mehr wertgeschätzt.
Ich kenne diese Art und Weise schon etwas länger aus Gesetzestexten, wo dann etwa von studierenden und mietenden Personen die Rede ist. Es macht die Texte dann aber auch nicht einfacher zu lesen. Und am Denken hat es gar nichts geändert. Es ist also im Endeffekt nur Augenwischerei. Ich sehe es ähnlich wie mit der Putzfrau, die inzwischen zu einer Raumpflegerin aufgestiegen ist, aber in der Wertschätzung immer noch die Putze geblieben ist.
Die Politiker sollten sich mal lieber mit wichtigen Dingen beschäftigen, anstatt mit solchen Sachen, die absolut überflüssig sind und keinem irgendetwas bringen, aber viel Geld kosten, weil alles umgeschrieben werden muss! Dafür sind die nicht gewählt worden und für solchen Mumpitz sollten sie nicht mit Steuergeldern bezahlt werden!
Wer meint, dass eine Änderung der Sprache nichts bringt, der sollte mal den Zeitrahmen der ganzen Geschichte bedenken. Sprachlich gesehen ist die Norm männlich, das Weibliche ist die Ausnahme und etwas anderes gibt es schon gar nicht. Dass das nicht mehr so ist, das ist noch nicht lange her.
Als mein Vater geboren wurde, durften Frauen nicht wählen. Als meine Mutter geboren wurde, wurden Lehrerinnen entlassen, Ärztinnen durften keine Praxen haben und an der Universität durften maximal zehn Prozent Frauen eingeschrieben sein. Ehedarlehen, die wie in der DDR abgekindert werden konnten, gab es nur, wenn die Frau die Arbeit aufgab. Frauen hatten kein passives Wahlrecht.
Als meine Mutter volljährig war, fiel das Vermögen der Frau mit der Hochzeit noch komplett an den Mann. Wenige Jahre vor meiner Geburt war ein uneheliches Kind nicht mit dem Vater verwandt. Und die ledige Mutter hatte keine Erziehungsgewalt, über das Anlegen eines Sparbuchs, eine medizinische Behandlung oder die Ausbildung entschied ein Vormund, der vom Gericht bestellt wurde.
Als ich geboren wurde, durften Frauen nur mit Erlaubnis des Gatten arbeiten und mussten neben Kindern und Haushalt unentgeltlich in seinem Betrieb mitarbeiten. Als Frauen in dritter Instanz endlich gleichen Lohn erstritten haben, ging ich schon zur Schule. Als Frauen auch Nachtarbeit in der Produktion leisten durften, war ich grob volljährig. Bis Frauen in der Bundeswehr nicht mehr nur im Sanitätsdienst und als Musiker arbeiten durften, musste das neue Jahrtausend anbrechen. Und die Sprache zeigt deutlich, wie der Hase oft noch läuft und vor wenigen Jahren generell gelaufen ist.
Und als die Vergewaltigung in der Ehe als Straftat anerkannt wurde, war ich 16! Cooper hat mal wieder so recht. Dass die Worte "herrlich" und "dämlich" mit dem "Herrn" bzw. der "Dame" etwas zu tun haben sollen, ist übrigens nachweislich absoluter Schwachsinn, aber das nur am Rande,
Dass die Sprache etwas Lebendiges und Bewegliches ist und auch unser Denken (oder denkt hier jemand in Grunzlauten?) ebenso wie unsere Werte und Ideale und damit auch unsere Kultur und Gesellschaft beeinflusst, kann ja wohl kaum jemand leugnen. Und gerade weil die Sprache immer im Fluss ist, können wir ja auch nach Herzenslust damit experimentieren. Manches bleibt hängen, anderes verschwindet wieder in der Versenkung, aber das ist ein ganz normaler Prozess.
Und ich würde ehrlich gesagt schon lieber in einer Gesellschaft leben, in der ich nicht "mitgemeint" bin, kein Anhängsel, welches gerade, wenn es um Geld und Anerkennung geht, immer noch die Abweichung von der Norm, die Alternative oder die zweite Wahl darstellt. Wieso sollte ich mich ganz objektiv gesehen darum reißen? Ist es so toll, im Hintergrund und im Schatten mit durchgeschleppt zu werden? Ich finde nicht.
Natürlich wird nicht alles besser dadurch, wenn aus dem Rednerpult das Redepult wird, aber wenn z.B. aus den Richtern des Bundesverfassungsgerichts die Richterschaft oder als Zwischenlösung die "Richterinnen und Richter" werden, macht das schon einen Unterschied. Da geistern nämlich durchaus ein paar Frauen herum. Und immerhin regen derlei Debatten zum Nachdenken an, auch wenn sich nicht jede Änderung durchsetzen wird.
Als übrigens das "Fräulein" aus Gründen der Diskriminierung abgeschafft wurde, war das Theater sicher auch groß, aber danach sehnt heutzutage auch niemand mehr bzw. votiert für die Wiedereinführung einer Bezeichnung, die die Verfügbarkeit auf dem Heiratsmarkt erkennen lässt.
Mich stört es überhaupt nicht, wenn diese Neutralität auch beim Herr und bei Frau entsprechend angewandt wird. Ich kriege regelmäßig Post und dort steht nicht selten „Herr...“, wo ich mich auch immer frage, wo holt ihr das „Herr“ jetzt her. Es stört mich nicht, aber ich finde es auch dämlich, weil ich mir vorstellen kann, gerade Menschen mit dem dritten Geschlecht würden sich da sehr schlecht fühlen.
Der Wahn mit Frau und Mann hat aber auch andere Ausgüsse. Student/Studentin, Polizeianwärter/Polizeianwärterin usw. Überall sucht man auch die weibliche Form und wo es sie nicht gibt, sucht gerne auch mal die Politik eine Möglichkeit, Frau gleich zu behandeln und alles. Wieso dann nicht einfach in vielen Belangen neutral direkt beide meinen? Macht vieles im alltäglichen Sprachgebrauch sicherlich leichter und keiner fühlt sich auf dem Schlips getreten. So stelle ich mir das jedenfalls vor.
Gucken wir uns mal die Krankenschwester an. Der Berufszweig wird weiblich gehalten, obwohl es auch Krankenpfleger gibt. Wieso eigentlich nicht Krankenbruder . Nein Scherz bei Seite. Kenne manch einen Kerl, den man trotzdem mit „Krankenschwester“ ansprechen möchte, weil ist ja ein reiner Weiberberuf, so setzt das bei einigen sich dann in den Kopf. Die Hausfrau ist auch so ein Ding. Beim Hausmann wird direkt doof geguckt.
Man merkt im alltäglichen Sprachgebrauch schon, wo das Weibliche dominiert, aber nicht immer zum Guten und der Mann durchaus auch etwas doof da steht, wenn er es denn auch machen möchte. Das 3. Geschlecht kommt ja dann im Grunde auch noch dazu. Da tut es mir nicht weh, wenn man Genderneutral bleibt.
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